Tierärztin Tanja Wagner bei der Besamung einer Kuh
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Tierärztin Tanja Wagner bei der Besamung einer Kuh

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Traumjob? Großtierärzte unter Druck – Die Kontrovers-Story

Hohe Arbeitsbelastung, weite Wege und bürokratische Hürden: Kontrovers – Die Story zeigt, unter welchem Druck Tierärztinnen auf dem Land für das Wohl der Tiere sorgen und ergründet, warum es immer weniger Großtierärzte gibt.

Über dieses Thema berichtet: Kontrovers am .

Wer entspannte Arbeitstage und einen pünktlichen Feierabend wünscht, der sollte sich wohl einen anderen Job suchen. Denn bei Großtierärzten wie Dr. Tanja Wagner aus dem mittelfränkischen Rohr ist schon um sieben Uhr morgens viel los. Ob Festnetz oder Handy: Immer klingelt etwas in der Praxis. Am anderen Ende der Leitung sind Landwirte, die einen Termin vereinbaren wollen.

Dr. Wagner würde es anders auch gar nicht haben wollen, erzählt sie in der Reportage von Kontrovers - Die Story. Mit jedem Telefonklingeln am frühen Morgen gewinnt sie "pure Zeit", indem sie dadurch ihre Termine gleich morgens gut koordinieren kann: "Wir fahren ungefähr 30 Kilometer im Radius. Das muss abgedeckt werden, weil es zu wenige Nachbarkollegen gibt."

Bayern: Immer weniger niedergelassene Großtierarztpraxen

Zwar nimmt Dr. Wagner es mit Galgenhumor und scherzt, beizeiten sei sie "Kraftfahrerin mit Nebenberuf Großtierarzt", doch tatsächlich steht die Branche vor einem Problem. Immer weniger Praxen müssen immer größere Einzugsgebiete versorgen. Gab es 2014 in Bayern noch rund 1.200 niedergelassene Tierärzte für Nutztiere, sind es derzeit - nur zehn Jahre später - noch knapp 740.

Die Bayerische Staatsregierung will gegensteuern und hat in jüngster Zeit Programme angestoßen. Eine Landtierarztquote, ähnlich wie in der Humanmedizin, soll etwa den Zugang zum Studium erleichtern. Der Erfolg wird sich allerdings erst in einigen Jahren beurteilen lassen können.

Im Video: Großtierärzte: Weite Wege, lange Arbeitstage, viel Bürokratie

Wenige Praxen, mehr Arbeit

Bis dahin müssen Dr. Tanja Wagner und die anderen rund 740 niedergelassenen Großtierärzte in Bayern den Versorgungsengpass kompensieren. Es bräuchte jedoch mehr Praxen, damit das Versorgungsnetz in Bayern nicht noch dünner wird.

Doch viele Tierärzte für Nutztiere wollen gar nicht mehr ihre eigene Praxis leiten und schätzen die Vorteile, angestellt zu sein. So etwa Theresa Stöger aus Oberbayern. Sie hat extra das Abitur nachgemacht, um nach dem Studium Großtierärztin zu werden, arbeitet inzwischen als angestellte Großtierärztin bei Tierarzt Kruno Ilakovac in Lengdorf.

Um in Bayern Tiermedizin studieren zu dürfen, braucht es einen Abiturschnitt von 1,4. Inzwischen sind es vor allem Frauen, die diesen Beruf ausüben. Stöger hat Tiermedizin in München studiert: Der Studiengang an der Ludwig-Maximilians-Universität hat einen Frauenanteil von 86,7 Prozent. "Weil die Jungs in der Schule meistens nicht so gern lernen wollen und dann dieses Abitur nicht zusammenbekommen", vermutet sie.

Technologisierte Betriebe ermöglichen frühzeitige Diagnosen

Viele Absolventen behandeln nach dem Studium vor allem Haustiere. Für Theresa Stöger aber musste es eine Großtierpraxis sein: "Kühe und Kälber sind einfach faszinierende Tiere für mich. Und das möchte ich nicht wieder hergeben müssen." Dafür nimmt die Tierärztin  sogar tägliche Strecken von 150 bis 200 Kilometer in Kauf.

Oft geht es im Alltag um die Besamung von Kühen: Kühe müssen Kälber bekommen, sonst geben sie keine Milch, ein ständiger Kreislauf. Die Kühe dabei optimal zu betreuen, richtiges Futter für gute Gesundheit, richtiger Samen für möglichst einfache Geburten - all das ist inzwischen so komplex, dass sich viele Praxen ganz auf die Rinder spezialisieren müssen, und zusätzlich keine anderen Tiere mehr behandeln.

Auch heute ist ihr Kalender prall gefüllt. Am Hof von Bernhard Frank soll etwas mit einer Kuh nicht stimmen. Der Landwirt hat erhöhte Entzündungszellen in der Milch der Kuh Vicky festgestellt. Inzwischen ermöglicht die Technik eine sehr enge gesundheitliche Überwachung der Tiere.

Enge Zusammenarbeit mit Bauern

Theresa Stöger untersucht die Euter der Kuh mit einem sogenannten Schalmtest: Aus jedem Euterviertel wird dabei etwas Milch gemolken und mit einer Testflüssigkeit geprüft. "Und jetzt sieht man hier: Diese drei Viertel sind wunderschön, da schliert nichts. Und in dem vorderen Viertel, das schleimt da so richtig runter", erklärt Stöger. Irgendwas ist tatsächlich im Argen, Theresa Stöger untersucht die Kuh rektal.

Noch scheint es der Kuh relativ gutzugehen, sie hat auch kein Fieber. Doch dann entdeckt die Großtierärztin ein geschwollenes Bein. Hier hat sich wohl etwas entzündet. Und es könnte schlimmer werden. Bauer Bernhard Frank hat jetzt mehrere Möglichkeiten.

Hat er Zweifel, dass sich die Milchkuh sinnvoll heilen lässt, muss er sie möglichst bald schlachten lassen und das Fleisch verkaufen, "um eben den wirtschaftlichen Verlust zu reduzieren. Aber das ist bei uns schon immer der letzte Ausweg." Erlaubt ist das nur, solange das Tier nicht noch schwerer erkrankt oder gar Antibiotikum erhält. Der Bauer will die Kuh behalten. Vorerst wird ihr jedoch nur ein Entzündungshemmer gespritzt, kein Antibiotikum. Für den Notfall hat Theresa Stöger dem Landwirt eine Spritze dagelassen.

Behandlung mit Medikamenten: viele Richtlinien

Lässt sich der Einsatz von Antibiotika bei Nutztieren nicht verhindern, wird es bürokratisch: Eine EU Richtlinie verlangt einen Überblick über den Antibiotikaeinsatz in der Landwirtschaft. Sparsamer Umgang ist aus Perspektive von Tierärzten und Bauern gleichermaßen vernünftig, damit keine Resistenzen entstehen. Doch die Bürokratie dahinter spannt die ohnehin viel beschäftigten Großtierärzte zusätzlich ein.

Dr. Tanja Wagner in Mittelfranken etwa musste vor einiger Zeit eine Kuh mit Antibiotika behandeln. Inzwischen ist die Kuh zwar wieder gesund, doch das Thema noch nicht abgehakt. Bei ihrem Termin mit Bauer Michael Dechet wird sie deswegen keinen Fuß in seinen Stall setzen, sondern Unterlagen ausfüllen.

Wagner: "Meine Bürozeit hat sich verdoppelt!"

Eine neue Vorschrift verlangt, dass ein Maßnahmenplan mit sehr detaillierten Angaben zum Betrieb verfasst wird. Mehrere Seiten müssen die beiden gemeinsam ausfüllen. Zu monitoren mache bestimmt Sinn, räumt Wagner ein, "aber für uns ist die Bürokratie und der Aufwand, das zu machen, so wie es gemacht werden muss, enorm! Der Hintergrund ist, dass es ein EU-Gesetz ist, dass wir die Antibiotikaabgaben melden müssen, und wir in Deutschland leider immer nochmal eines draufsetzen und es noch ein bisschen genauer und noch ein bisschen detaillierter machen."

Auf Anfrage von Kontrovers - Die Story lässt das Bundeslandwirtschaftsministerium wissen, dass diese Arbeit im Verhältnis zum Nutzen stehe. Tanja Wagner jedoch bemerkt bei der Bürokratie einen klaren Trend nach oben, seit sie vor etwa zehn Jahren ihre Praxis eröffnet hat: "Meine Bürozeit hat sich verdoppelt!"

Selbstständige vs. angestellte Großtierärzte

Zu den gesetzlichen Auflagen kommt bei Wagner zusätzlich die Praxisverwaltung hinzu. Denn für Angestellte gilt im Grunde der ganz normale Acht-Stunden-Tag. Notfälle bei Großtieren warten jedoch selten auf reguläre Öffnungszeiten der Praxen, erzählt Dr. Tanja Wagner. Je weniger Großtierärzte es gibt, desto größer werden Aufwand und Verantwortung der übrigen Praxen:

"Die Praxis muss 24h besetzt sein. Und durch die gesetzlich vorgegebenen Ruhezeiten und Arbeitszeiten ist es oft sehr schwierig. Da braucht es viel Personal. Und das wäre für viele leichter und es würden sich auch viele Angestellte wünschen, dass man da flexibler gestalten kann, wenn man z.B. eine Art Wochenarbeitszeitkonto hat." Dr. Tanja Wagner

Eine solche Flexibilisierung sei jedoch nicht geplant, teilt das Bundesarbeitsministerium auf Nachfrage von Kontrovers - Die Story mit. Im Zweifel muss also die Chefin selbst ran: Für die gilt keine Höchstarbeitszeit. Und auch sonst gelten für eine Selbstständige andere Regeln: Als Tanja Wagner vergangenes Jahr ein Kind bekommen hat, hat sie bis wenige Wochen vor der Geburt gearbeitet. Eine schwangere Angestellte hingegen muss sofort freigestellt werden. Wagner vermutet, dass auch dieser krasse Unterschied ein Grund sein könnte, warum wenige Nachwuchstierärztinnen eine Großtierpraxis übernehmen wollen.

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