Heute begann der Reichsbürger-Prozess am Oberlandesgericht München.
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Heute begann der Reichsbürger-Prozess am Oberlandesgericht München.

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"Gruppe Reuß" – Reichsbürger vor Gericht

Heute hat vor dem Oberlandesgericht München der letzte von drei Prozessen gegen die "Gruppe Reuß" begonnen. Sie soll einen gewaltsamen Umsturz geplant haben. BR-Recherchen liefern Hinweise darauf, wie die Gruppierung in Bayern vernetzt war.

Über dieses Thema berichtet: Der Funkstreifzug am .

Es war eine Razzia, die bundesweit Aufmerksamkeit erregte: An mehreren Orten nahmen Polizisten im Dezember 2022 mutmaßliche Mitglieder einer Gruppierung fest, die einen gewaltsamen Umsturz in Deutschland geplant haben soll. Bekannt wurde sie als "Patriotische Union" oder "Gruppe Reuß". Der Name geht zurück auf Heinrich XIII. Prinz Reuß. Er gilt den Ermittlern als Schlüsselfigur.

In Stuttgart und Frankfurt laufen bereits Prozesse gegen mutmaßliche Mitglieder der Gruppe. In München beginnt ein weiteres Verfahren. BR-Recherchen liefern Hinweise darauf, wie die Gruppierung in Bayern vernetzt war. Im Freistaat gehörten ihr den Erkenntnissen zufolge mehrere Männer mit militärischer Ausbildung an.

Oberst wollte KSK zum "Aufräumen" nach Berlin schicken

Prominentestes Beispiel: Maximilian Eder. Eder war Stabsoffizier bei der Bundeswehr, Dienstgrad Oberst. Er war in Führungsfunktion auch beim Kommando Spezialkräfte (KSK) eingesetzt. In einer Rede forderte Eder, "man sollte das KSK mal nach Berlin schicken und hier ordentlich aufräumen". Zuletzt lebte er im Bayerischen Wald. Er muss sich derzeit im Frankfurter Prozess gegen mutmaßliche Mitglieder der Gruppe Reuß verantworten.

Eder wird vorgeworfen, Teil des militärischen Arms der Gruppierung gewesen zu sein. 2021 soll er sich laut Anklage bei einem Treffen mit weiteren Verschwörern zum gewaltsamen Sturz der Regierung verabredet haben. Doch es blieb offenbar nicht bei Gesprächen.

Vorwurf: Bundestag ausgespäht

Mit den beiden mutmaßlichen Mitverschwörern Peter W. und Harald P. fuhr Eder laut Bundesanwaltschaft im August 2021 nach Berlin, zum Bundestag. Dort soll die damalige AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, die selbst Teil der Gruppe sein soll, die Männer eingeschleust haben. Ihnen wird vorgeworfen, die Gebäude ausgekundschaftet zu haben, um einen Putsch vorzubereiten.

Ankündigung per "Adventsbotschaft"?

Im November 2022 schickte Eder aus Italien eine Video-Botschaft an seine Anhänger. Er nennt sie die "erste Adventsbotschaft aus dem Fronturlaub". Eder spricht darin über "einen Zeitenumbruch", der in den nächsten Wochen kommen werde. Wenig später wurde Eder in Italien verhaftet und später nach Deutschland ausgeliefert.

Bayerischer Mitverschwörer?

Peter W., der ebenfalls nach Berlin gefahren sein soll, kennt Eder schon länger. Auch er muss sich in Frankfurt verantworten, kommt aber aus dem Landkreis Bayreuth. Auch W. soll dem Führungsstab des sogenannten "militärischen Arms" der Gruppe Reuß angehört haben. Beide sind ehemalige Bundeswehrsoldaten. Peter W. war zunächst Fallschirmjäger, später beim KSK.

Schießlehrer der Gruppe Reuß?

Peter W. soll das als Soldat Erlernte weitergegeben haben – an andere Mitglieder der Gruppe Reuß. Etwa auf einem Schießplatz bei Bayreuth. Spritkosten sollen aus einer sogenannten Patriotenkasse finanziert worden sein. W. wandte sich Ermittlungserkenntnissen zufolge im Jahr 2021 auch an Führungspersonal der Bundeswehr. Im Raum steht, dass er es für ein militärisches Vorgehen gegen die Bundesregierung gewinnen wollte. Unter anderem kontaktierte er einen Dreisternegeneral.

Ermittler wurden fündig

Als die Polizei im Dezember 2022 das Haus von Peter W. durchsuchte, fand sie unter anderem Schusswaffen, Munition und Schutzwesten. Das zuständige Landratsamt hatte ihm bereits 2019 die Waffenbesitzkarte entzogen. W. muss sich nun nicht nur wegen der Gründung einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vor Gericht verantworten, sondern auch wegen Verstößen gegen das Waffengesetz sowie einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.

Nach BR-Recherchen fanden die Ermittler bei ihm auch einen Ausweis der Ordensgemeinschaft der Ritterkreuzträger. Das ist ein Verein, der klar der extrem rechten Szene zugeordnet wird. Bundeswehrsoldaten ist der Kontakt mit diesem Verein schon seit den 1990er-Jahren untersagt. Ein NPD-Funktionär bezeichnete Peter W. nach BR-Informationen als "Kameraden", in dessen Online-Shop für Ausrüstung es "Nazi-Rabatt" geben würde.

Warb W. weitere Männer an?

Der "militärische Arm" der Gruppe Reuß bestand den Ermittlungen zufolge jedoch nicht nur aus der Führungsriege. Vor dem Oberlandesgericht München müssen sich drei weitere mutmaßliche Mitglieder verantworten. Auch sie kommen allesamt aus Bayern. Unter ihnen: zwei weitere Ex-Soldaten, Harald P. und Tomas M.. Peter W. soll sie angeworben haben.

Mann aus dem Landkreis Schweinfurt in München vor Gericht

Harald P. aus dem Landkreis Schweinfurt war in den 1980er-Jahren als Zeitsoldat auf dem Fliegerhorst Neuburg an der Donau stationiert. Ihm wird vorgeworfen, die terroristische Vereinigung mitgegründet und eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben.

Er soll an den Schießtrainings von Peter W. teilgenommen und gemeinsam mit Peter W. und Eder den Deutschen Bundestag ausspioniert haben. Offenbar sah ihn die Gruppe auch als Personenschützer von Heinrich Prinz Reuß vor, der den Tatvorwürfen zufolge als Kopf der Gruppe gilt.

Auch weiterer Angeklagter soll Schießtraining absolviert haben

Der zweite Ex-Soldat, der in München angeklagt ist, ist Tomas M.. Der 52-Jährige kommt aus einer kleinen Gemeinde im Landkreis Forchheim. Er wollte Offizier werden, war in den Jahren 1995 und 1996 Soldat und absolvierte einen französischen Einzelkämpferlehrgang. Doch aus der Offizierskarriere wurde nichts – M. gründete einen Sicherheitsdienst.

Tomas M. soll dabei gewesen sein, als Peter W. im April 2022 ein Schießtraining organisierte – laut Generalbundesanwalt sollte dort das Personal für den geplanten Angriff auf den Deutschen Bundestag ausgewählt werden. Am Tag des Umsturzes sollte Thomas M. demnach die Militäraktionen leiten – und zwar von einer Bundeswehrkaserne aus: der Lechfeldkaserne bei Augsburg.

Auch Rocker soll beteiligt gewesen sein

Ebenfalls angeklagt ist Thomas T. aus dem Kreis Ansbach: T. war nach übereinstimmenden Angaben verschiedener Quellen Mitglied bei der Rockergruppierung "Gremium MC". Diese zählt unter den Motorradclubs zu den selbsternannten "One Percentern". Sie gelten als gewaltbereit und stehen unter Beobachtung der Sicherheitsbehörden, weil sie in die Organisierte Kriminalität verstrickt sein sollen.

Thomas T. soll zudem einer der engsten Mitarbeiter des Hauptangeklagten Heinrich Prinz Reuß gewesen sein. Laut den Ermittlern haben Reuß und er zusammen konkrete Pläne für die Zeit nach dem Umsturz entworfen – etwa wie Verwaltung und Militär organisiert werden sollen. Thomas T. sei außerdem dafür vorgesehen gewesen, mit Waffengewalt den Deutschen Bundestag zu stürmen.

Auf BR-Anfrage nahm keiner der Anwälte der Angeklagten zu den im Raum stehenden Vorwürfen Stellung. Ein ehemaliger Verteidiger von Maximilian Eder bezeichnete die Umsturzvorwürfe der Generalbundesanwaltschaft in der Vergangenheit als "reinen Unsinn".

Mammutprozess beginnt

Die Vorwürfe aufzuarbeiten, das ist nun Aufgabe des Oberlandesgerichts in München. Am 18. Juni beginnt dort das dritte Verfahren rund um die Gruppe Reuß. Laut Laurent Lafleur, dem Pressesprecher des Oberlandesgerichts München, ist es ein Verfahren von "ungewöhnlichem Umfang" – auch, weil an drei Standorten parallel verhandelt wird. Für ein einzelnes Gericht wäre die Zahl der Angeklagten offenbar zu hoch gewesen.

Laut Lafleur fordert das Verfahren die Justiz auf besondere Art und Weise heraus. Angeklagte in einem Verfahren könnten in einem anderen als Zeugen wichtig sein.

Bekannter Gerichtssaal

In München wird im selben Sitzungssaal verhandelt, in dem fünf Jahre lang der Prozess gegen die Neonazi-Terrorgruppe NSU lief. Angesichts dieser Erfahrung sieht OLG-Sprecher Laurent Lafleur die Münchner Justiz auch für das außergewöhnliche Verfahren gegen die Gruppe Reuß gut gewappnet. Mit einem Urteil wird Ende Januar 2025 gerechnet.

Dieser Artikel ist erstmals am 16.06.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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