Die Kommunalpolitikerin Dagmar Levin aus Kolbermoor
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Die Kommunalpolitikerin Dagmar Levin aus Kolbermoor

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Hass und Hetze in der Kommunalpolitik – wie Betroffene reagieren

Hass und Hetze in der Kommunalpolitik – wie Betroffene reagieren

Viele Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker kämpfen seit ein paar Jahren vermehrt mit Hass und Hetze gegen sie. Eine Betroffene erzählt, wie sie damit umgeht. Immerhin: Es gibt Möglichkeiten, sich zu wehren.

Über dieses Thema berichtet: STATIONEN am .

Dagmar Levin-Feltz ist seit 22 Jahren Stadträtin in Kolbermoor bei Rosenheim. Die SPD-Politikerin hatte immer wieder mit Hassnachrichten zu tun. Zuerst streute man vor vielen Jahren Korruptionsgerüchte, als Häuser in einem Park gebaut werden sollten. Dann ging es immer weiter, selbst bei kleinen Anlässen. Zum Beispiel bei der Frage, ob ein Radweg auf der rechten oder auf der linken Seite einer Straße gebaut werden sollte. Dagmar Levin sagt, von der Verwaltung her sei es egal gewesen. Aber "dann kamen die Leute von der einen Straßenseite, haben gesagt, Sie, wenn Sie da zustimmen, dann kaufen wir nicht mehr bei ihnen ein und umgekehrt."

Dann kamen Beleidigungen aus dem Coronaleugner-Milieu dazu, als es um Impfgegner in Volkshochschulveranstaltungen ging. Auch als ein Krematorium am Friedhof gebaut werden sollte, wurde sie angegangen. "Das sind Beleidigungen. Und dann kommen natürlich, ob ich will, dass meine Kinder sterben, weil sie die Luft atmen müssen, die vom Krematorium ausgeht und lauter so Zeug."

Es gibt schon Phasen, wo sie denkt, "warum tue ich mir das eigentlich an? Und dann hängt man auch mal durch. Dann rede ich halt in der Familie oder mit Freunden drüber und dann rückt sich das wieder zurecht". Wichtig ist ihr, dass die, die Hass und Hetze verbreiten, nicht Recht behalten.

Hass und Hetze in der Kommunalpolitik massiv angestiegen

Was ihr passiert, passiert vielen Kommunalpolitikern in Deutschland. Doch kaum jemand will offen darüber reden, aus Angst, dass der Hass dann noch mehr wird. Etliche halten den Druck nicht aus, und engagieren sich nicht mehr.

Der Würzburger Rechtsanwalt Chan-jo Jun beschäftigt sich seit Jahren mit dem Hass im Netz, der sogenannten Hate Speech. Und er sagt: "Interessanterweise sind die Stärkeren gerade nicht die Mehrheit, sondern es sind diejenigen, die Hass besser austeilen und einstecken können. Die Leute, die weniger sich orientieren, vielleicht auch an so Sachen wie Anstand, Höflichkeit, Menschlichkeit. Die sind im Vorteil in diesem Spiel."

Kommunalpolitiker beklagen mangelnde Unterstützung

Noch vor rund fünf Jahren habe es Hass und Hetze gegen Kommunalpolitiker in diesem Maße wie heute nicht gegeben, sagt er. Manche Bürgermeister beklagen auch, dass die Mehrheit der übrigen Leute zum Hass der Minderheit einfach schweigt. Je weniger Gegenrede, desto leichter können die Hater zündeln.

Diejenigen, die ihr Geschäftsmodell mit dem Hass machen, nehmen auch die Meinungsfreiheit für sich in Anspruch. Das führt natürlich dazu, dass die Meinungsfreiheit der Opfer beschränkt wird.

"Wir haben einen Silencing Effekt", sagt der Würzburger Anwalt, "das bedeutet, Menschen, die ihre Meinung bisher geäußert haben, trauen sich nicht mehr, etwas zu sagen, weil sie Angst haben vor Repressionen. Und dieser Silencing Effekt führt dazu, dass die Meinungsfreiheit ganz erheblich beschränkt wird."

Onlineanzeige für Kommunalpolitiker, die von Hass betroffen sind

Der Hass ist nicht nur eine Gefahr für den Einzelnen, sondern für die ganze Demokratie. Denn Hass und Hetze führen auch dazu, dass es weniger Kandidatinnen und Kandidaten für Kommunalwahlen gebe, sagt Dagmar Levin. Sie habe auch einmal jemanden angezeigt, doch die Anzeige verlief im Sande.

Das beklagen viele. Doch nun gibt es seit 2020 Hate-Speech-Beauftragte und Sonderdezernenten bei den bayerischen Staatsanwaltschaften. Melitta Hansen ist Staatsanwältin und beschäftigt sich viel mit Hate Speech. Sie sagt, die Täter würden sich nur vermeintlich anonym im Netz bewegen. Denn viele könnten sie ausfindig machen und so zeigen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist. Zum Teil hätten sie Aufklärungsquoten von über 90 Prozent, sagt die Staatsanwältin.

Niedrigschwellige Anzeigemöglichkeiten sollen ebenso helfen. So können betroffene Kommunalpolitiker zum Beispiel Screenshots bei einer Online-Anzeige hochladen. Doch auch die Staatsanwaltschaft muss die Meinungsfreiheit beachten:

"Im Hate Speech Bereich müssen wir immer die Meinungsfreiheit im Hinterkopf haben. Bei jedem einzelnen Kommentar, den wir uns anschauen, den wir prüfen, prüfen wir eben auch mit, ob die Meinungsfreiheit hier, ob der Kommentar von der Meinungsfreiheit noch geschützt ist, noch umfasst ist".

Wie Kommunalpolitikerin Dagmar Levin mit Hass umgeht

Dagmar Levin möchte sich ihre Meinung nicht einschränken lassen. Sie höre oft aus anderen Fraktionen, "Mei Dagmar, Du musst halt lernen, dass Du da einfach ruhiger wirst". Aber das sei eben nicht ihre Art. Und das kommunale Engagement gebe ihr auch viel.

Wenn sie sieht, wie sich Kolbermoor weiterentwickelt hat, würde sich das lohnen, sich im Kommunalen zu engagieren: "Also da beteiligt gewesen zu sein, dass da was Tolles entsteht – da können doch so ein paar Schreihälse und Affen mich nicht aus dem Tritt bringen."

Den eigenen Frieden finden

Und sogar mit dem Fall des Krematoriums, das damals viel Streit in den Ort gebracht hatte, hat Dagmar Levin ihren Frieden gemacht: "Damals war ja das Krematorium hier geplant, 2019. Das ist ja dann abgelehnt worden, wir sind damals als Stadtrat der Mehrheit der Bürger unterlegen. Ja war so, ist in Ordnung."

Am Ort des geplanten Krematoriums entstand ein naturnaher, schön gestalteter Bereich für Urnenbestattungen, fast wie ein kleiner Park: "Es hat eine sehr hohe Aufenthaltsqualität. Und ich finde, das ist ein schönes Symbol für die Demokratie, dass auch, wenn man mal unterlegen ist, was Neues entsteht." Produktive Kooperation, Streit mit Argumenten ist der fruchtbare Boden der Demokratie, nicht der Hass.

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