Arzt misst Blutdruck bei einem Patienten.
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Ärztin Karin Berger könnte schon in Rente sein: Doch sie praktiziert weiter: Sie will ihre Patienten nicht im Stich lassen.

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Hausärzte in Bayern: Gibt es genug oder zu wenige?

Hausärzte in Bayern: Gibt es genug oder zu wenige?

Der Versorgungsgrad der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns soll zeigen, wo Hausärzte fehlen und wo es sogar zu viele gibt. So weit, so klar. Aber: Die Zahlen decken sich oft nicht mit den Eindrücken vor Ort, wie das Beispiel Schrobenhausen belegt.

Von
Daniela Olivares
Claudia Kohler

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Hausärztin Karin Berger aus Schrobenhausen misst Blutdruck, informiert über eine Impfung und impft schließlich einen ihrer Patienten. Im Wartezimmer warten noch vier weitere. Karin Berger ist gut beschäftigt und das, obwohl die 67-Jährige eigentlich schon im Ruhestand sein könnte. "Ich mache weiter, weil ich meine Patienten nicht im Stich lassen will", sagt sie.

Vor allem die rund 60 Menschen in den Pflege- und Seniorenheimen, die sie betreut, sind auf einen Hausarzt angewiesen, der auch regelmäßig ins Heim kommt. Als ihr Kollege in den Ruhestand gehen wollte, machte sich Karin Berger gemeinsam mit ihm auf die Suche nach einem Nachfolger. Zehn Jahre suchten sie – ohne Erfolg.

  • Zum Artikel: Verband: Warum die Kassenärzte vor dem Kollaps stehen

Verzweifelte Suche nach Ärzten

Als die Praxis im Januar schloss, war die Not bei vielen Patientinnen und Patienten groß. "Ich habe überall nachtelefoniert und keinen Arzt gefunden, der mich aufnehmen wollte", sagt Ursula Salvamoser aus Schrobenhausen. Monatelang war sie ohne Hausarzt. Ein anderer erzählt: "Da stehst du plötzlich dumm da. Gerade im Alter ist der Hausarzt wichtig."

Karin Berger entschloss sich dann weiterzumachen. Das Kreiskrankenhaus Schrobenhausen übernahm den Kassensitz, seit April behandelt sie nun in einer Filialpraxis des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ). Doch noch immer ist die Lage angespannt: Eine Praxis hat weiterhin einen Aufnahmestopp für neue Patienten. In der nahegelegenen Gemeinde Hohenwart (Landkreis Pfaffenhofen), die zum Versorgungsbereich Schrobenhausen gehört, wird seit vielen Monaten verzweifelt nach einem Nachfolger gesucht.

Auf dem Papier scheint alles gut

Betrachtet man die offizielle Statistik, ist die Lage im Bereich Schrobenhausen auf den ersten Blick nicht dramatisch. Im von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) veröffentlichten Versorgungsatlas liegt Schrobenhausens Versorgungsgrad bei 99,8 Prozent. Das ist ganz knapp unter der Zielmarke von 100 Prozent – ab diesem Wert gilt ein Bereich als "ausreichend versorgt". Von einer drohenden Unterversorgung ist im Versorgungsatlas nichts zu lesen.

Grafik: Hausärztliche Versorgung in Bayern nach Versorgungsgraden

Bürgermeister werben um Hausärzte

Zahlen, die nicht die Realität widerspiegeln, wie die Bürgermeister aus Schrobenhausen und Hohenwart meinen. Vor Ort würden sie alles tun, um es Ärzten leicht zu machen, sich hier niederzulassen. "Wir helfen Ärzten, wenn sie eine Wohnung brauchen – oder einen Betreuungsplatz für ihre Kinder", meint Schrobenhausens Bürgermeister Harald Reisner (Freie Wähler). Und Hohenwarts Bürgermeister Jürgen Haindl (ebenfalls Freie Wähler) will demnächst eine neue Werbekampagne starten: "Wenn ich durch den Ort gehe, fragen die Leute immer, ob es jetzt schon einen neuen Arzt gebe", sagt er.

Planung nicht nahe an der Realität

Doch wie kommen diese Gegensätze zustande?

Bei der Berechnung der Versorgungsgrade geht es vor allem um das Verhältnis Arzt pro Einwohner, wie der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) mitteilt. Er ist das höchste Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen und für die bundeseinheitliche Planung verantwortlich. In dem Ausschuss sitzen Vertreter von gesetzlichen Krankenkassen, Ärzten und Patientenverbänden. In die Planung fließen weitere Punkte wie beispielsweise das Alter der Bevölkerung mit ein. Die Planung sei nicht immer nahe an der Realität, kritisiert wiederum die KVB. Die wichtige Zahl "Arzt pro Einwohner" werde am "grünen Tisch" entschieden – ohne Bezug zur Praxis, so der Vorwurf der KVB. Dadurch könne es zu der Diskrepanz zwischen Zahl und Realität kommen.

Aus Berlin heißt es vom G-BA: "Die regionalen Bedarfsplanungsgremien haben seit 2012 maximale Flexibilität, um auf lokale oder regionale Besonderheiten zu reagieren." Warum die Zahlen in Schrobenhausen und andernorts nicht mit den Erfahrungen der Menschen übereinstimmen, könne vielerlei Gründe haben, wie beispielsweise, dass die Verteilung der Praxen im Gebiet nicht optimal sei. Wenn in einem Gebiet beispielsweise im Norden viele Ärzte sind, im Süden aber nur sehr wenige, kann die Zahl für den gesamten Bereich gut ausfallen; die Menschen im Süden haben dann trotzdem Probleme.

Immer mehr Hausärzte in Bayern fehlen

Unabhängig davon: Die KVB sagt, dass in Bayern immer mehr Hausärzte fehlen. Und das belegen auch die offiziellen Zahlen, abseits des Versorgungsgrades.

Grafik: Hausärztemangel in Bayern

(Jeder Punkt steht für einen der 204 Planungsbereiche, in die Bayern bei der hausärztlichen Versorgung eingeteilt ist. Ist der Punkt nicht grün, sind hier weniger Hausarztstellen besetzt, als noch im Jahr 2019)

Hausärzte fehlen in vielen Gegenden

Insgesamt gibt es in Bayern laut KVB 486 offene Niederlassungsmöglichkeiten für Hausärzte. In 134 von 204 Planungsbereichen ist die Anzahl der besetzten Hausarztstellen pro 10.000 Einwohner im Vergleich zu 2019 gesunken. Im Verhältnis zur Einwohnerzahl war der Rückgang in Schrobenhausen, Wassertrüdingen und Uffenheim am größten.

Hier kommen Statistik und Wahrnehmung der Menschen wieder zusammen: Schrobenhausen liegt auf dem in diesem Fall traurigen Platz eins – in den vergangenen dreieinhalb Jahren sind sechs besetzte Arztstellen weggefallen. Dennoch wird der Bereich vom Landesausschuss noch nicht als "von Unterversorgung bedroht" eingestuft.

Gälte er als unterversorgt, gäbe es eine finanzielle Förderung der KVB. "Wir können Niederlassungsförderungen aussprechen bis zu einer Summe von 90.000 Euro", sagt der KVB-Vorsitzende Christian Pfeiffer. Weitere Förderungen für Weiterbildung oder Ärzte, die nicht in Rente gehen, seien dann auch möglich. Oder sogar eigene KVB-Praxen könnten dann eingerichtet werden. Die Förderung ist laut Pfeiffer ein effektives Mittel. "Von 120 gefährdeten oder unterversorgten Bereichen konnten wir dadurch 60 in die Regelversorgung bringen."

Nachwuchsproblem – vor allem auf dem Land

Bayern hat bei Ärztinnen und Ärzten aber vor allem ein Nachwuchsproblem. Das stellt die KVB fest. Das Durchschnittsalter liegt aktuell bei Hausärzten bei 55 Jahren. Die regionale Arztsuche sei in vielen Gegenden Bayerns eine enorme Herausforderung, schreibt die Vereinigung auf BR-Anfrage. Bereits seit über einem Jahrzehnt habe die KVB die Politik auf Landes- und Bundesebene auf den Nachwuchsmangel hingewiesen. Es brauche beispielsweise mehr Studienplätze.

Ein Grund ist, dass viele Hausärzte, gerade auf dem Land, nicht mehr in dem Umfang arbeiten wollen wie noch vor einigen Jahren. Teilzeit sei immer wichtiger, so die KVB. "Für das Arbeitsvolumen, das früher ein Arzt geleistet hat, braucht es künftig gegebenenfalls zwei Ärzte in Teilzeit", teilt ein Sprecher mit. Ein weiterer Aspekt sei, dass viele lieber in einem Angestelltenverhältnis arbeiten würden.

Bürokratie immer komplizierter

In Schrobenhausen bestätigt Hausärztin Karin Berger diese Erfahrungen. Dazu komme, dass die Bürokratie und die Technik auch immer mehr und komplizierter werde. Gleichzeitig habe man als Hausarzt eine große Verantwortung. Sie packt ihren Arztkoffer: Hausbesuche. Wie lange sie noch weitermacht, weiß sie noch nicht. Ihre Motivation: Nah am Patienten zu sein und den ganzen Menschen sehen – nicht nur die Befunde.

Korrekturhinweise: In einer vorherigen Fassung des Artikels hieß es "Insgesamt sind in Bayern laut KVB 430 Hausarztsitze unbesetzt." Korrekt ist aber, dass es laut den von der KVB veröffentlichten Planungsblättern vom 04.08.2023 in Bayern 486 offene Niderlassungsmöglichkeiten für Hausärzte gibt. Weiter hieß es in der Legende der ersten Karte, einige Planungsbereiche seien "nach Einschätzung der Krankenkassen von Unterversorgung bedroht". Richtig ist jedoch, dass die Einschätzungen auf den Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen in Bayern zurückgehen. Diese Punkte haben wir entsprechend korrigiert. Zudem gab es einen Fehler in den Daten: Der Planungsbereich Freyung wurde als "Nach Einschätzung des Landesausschusses der Ärzte und Krankenkassen von Unterversorgung bedroht" angezeigt. Korrekt ist jedoch, dass lediglich der Versorgungsgrad unter 100% liegt – der Landesausschuss schätzt den Planungsbereich noch nicht als von Unterversorgung bedroht ein. Dies haben wir ebenfalls entsprechend korrigiert.

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