In den vergangenen Wochen ist Charkiw verstärkt von der russischen Armee angegriffen worden. Die Folgen sind auch in Bayern spürbar, denn der Partnerschaftsvereins Charkiw-Nürnberg e.V. unterstützt die Einwohner der Stadt seit Jahren.
Russland versuche, die Menschen in der Nähe der Grenze mit allen Mitteln zu demoralisieren, sagt die stellvertretende Vorsitzende des fränkischen Vereins, Ella Schindler. Die Journalistin stammt selbst aus der Ukraine. Sie hält ständig Kontakt mit den Menschen vor Ort. Am Montag hatten russische Raketen den Fernsehturm der Partnerstadt von Nürnberg getroffen, sodass der obere Teil abbrach. Für viele Menschen, gerade auf dem Land, sei der Fernseher die wichtigste Informationsquelle, so Schindler im Gespräch mit dem BR.
Menschen in Charkiw: "Werden unsere Heimat nicht aufgeben"
Die Lage sei sehr angespannt, berichtet Schindler aus ihren Kontakten mit den Menschen vor Ort. Russland versuche, die Bevölkerung zu zermürben, mit gezielten Angriffen auf wichtige Infrastruktur, wie Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen und die Stromversorgung. "Das macht was mit den Menschen", so Schindler. "Wir sehen auf der einen Seite die Müdigkeit der Menschen, die seit zwei Jahren diesen Terror aushalten." Gleichzeitig kenne sie aber auch ganz viele Menschen, die sagen: "Egal was kommt, wir werden diese Stadt nicht verlassen, werden unsere Heimat nicht aufgeben."
Lebenswillen trotz aller Widrigkeiten
Charkiw ist die zweitgrößte Stadt der Ukraine, in der vor dem russischen Angriffskrieg rund 1,5 Millionen Menschen lebten. Ungefähr die Hälfte hätte die Stadt zunächst verlassen, inzwischen seinen aber viele Bewohner und Bewohnerinnen zurückgekehrt. Wie viele es genau sind, könne niemand sagen, so die Journalistin, aber schätzungsweise halten sich derzeit rund eine Million Menschen in Charkiw auf. "Wir sehen ganz viel Lebenswillen, viele Menschen gehen trotz aller Widrigkeiten weiterhin ihrem Leben nach, arbeiten und machen alles, was zu einem 'normalen' Leben dazugehört", berichtet Schindler.
Hilfe für rund eine Million Menschen
Doch vor allem die Stromausfälle seien ein großes Problem. Der Partnerschaftsverein ist deshalb dabei, Generatoren und Powerbanks zu organisieren und nach Charkiw zu schicken. Diese seien überlebenswichtig, beispielsweise für Krankenhäuser. Gleichzeitig finanziert der Verein auch Lebensmittelpakete etwa für ältere Menschen oder Familien. Denn viele seien derzeit ohne Job und auf diese Hilfe angewiesen.
Wiederaufbau der Infrastruktur
Hinter dem Angriff auf den Fernsehturm vermutet Ella Schindler eine gezielte russische Strategie, um die Bevölkerung zu destabilisieren und zu demoralisieren. Denn viele Menschen auf dem Land seien auf das Fernsehen angewiesen, da es dort kein verlässliches Internet gebe. Und auch für viele ältere Menschen sei der Fernseher die wichtigste Informationsquelle. Der Verein versuche deshalb, wichtige Infrastruktur wieder aufzubauen. Mit Unterstützung der Bayerischen Staatskanzlei sei es gelungen, zwei Schulen wieder aufzubauen, eine habe bereits den Betrieb wieder aufgenommen.
Unterstützung für Kinder und Pflegebedürftige
Zudem werde ein Kinder-Zentrum finanziert, um den Kleinen ein bisschen Normalität zu bieten. Auch psychologische Hilfe für traumatisierte Kinder finanziert der Partnerschaftsverein sowie finanzielle Unterstützung für pflegebedürftige Menschen. "Wir versuchen an alles zu denken", so Schindler, "dabei ist uns aber eine Begegnung auf Augenhöhe ganz wichtig. Nicht wir sagen den Menschen in Charkiw, was sie brauchen, sondern sie sagen uns, was sie brauchen." Dem Verein ist es gelungen, schon mehr als zwei Millionen Euro an Hilfe für Charkiw zu organisieren, weiterhin zähle aber jeder Cent, erklärt Schindler. Denn ein Ende der Zerstörung sei nicht abzusehen.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!