Teppichboden, haufenweise Weihnachtsdeko, ein digitales Kaminfeuer lodert auf dem Fernseher. Die Familie von Nathalie Frank hat es sich gemütlich gemacht im Wohnwagen, der neben den zwei blau-weißen Zirkuszelten auf dem Schweinfurter Volksfestplatz steht. Drinnen ist es überraschend geräumig. Am Tisch sitzen der zwölfjährige Louis und sein neunjähriger Bruder Jordan und beackern ihre Schulaufgaben: Louis Deutsch, Jordan Mathematik. Der eine konjugiert Verben, der andere kämpft sich durch schriftliche Addition mit Überschlag. Dazwischen behält Mama Nathalie den Überblick und kümmert sich geduldig um ihre Jungs.
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Regelung für Kinder beruflich Reisender
Die Familie Frank ist seit Generationen eine Zirkusfamilie und kommt aus Bergen in Niedersachsen. Dort gehen Louis und Jordan normalerweise auch zur Schule, in ihre sogenannte Stammschule. Die beiden gehören zu über 2.000 Kindern in Deutschland, die regelmäßig die Schule wechseln, weil ihre Eltern als beruflich Reisende unterwegs sind. Für diese schulpflichtigen Kinder gibt es eine Sonderregelung: Wenn die Familie mit dem Zirkus auf Tour geht, wie jetzt für den Weihnachtszirkus von Anfang Dezember bis Anfang Januar, ist die Ersatzlösung die sogenannte Stützpunktschule.
Mit eigenem Lehrplan in fremder Klasse
Bisher war Louis immer an Schulen, die nicht weit vom Zirkus entfernt lagen. In Schweinfurt ist das die Frieden-Mittelschule. Dort hatte er immer schnell Anschluss gefunden, was die sozialen Kontakte betrifft – im Unterricht gestaltete sich der vorübergehende Schulbesuch schwieriger. Den Lehrerkräften macht seine Mutter Nathalie Frank aber keine Vorwürfe: "Die haben ja schon 26 Kinder in der Klasse, die sie unter einen Hut bringen müssen. Dann kommt noch ein Junge dazu, nur für wenige Wochen und einen anderen Lernstoff – das ist unmöglich."
Da der Lehrplan in Bayern ein anderer als in Niedersachsen ist, musste sich Louis an der Stützpunktschule immer an die Lehrbücher seiner Stammschule halten und sozusagen mitten in einer fremden Klasse als einziger seinem eigenen Lernplan folgen. So kam Louis kaum voran, blickt Nathalie Frank zurück.
Homeschooling dank Corona möglich
Wegen der Weihnachtsshows in Schweinfurt verpasst Louis zuhause drei Schulwochen. Gerade für eine derart kurze Zeit war die Familie auf der Suche nach einer effektiveren Lösung. Ausgerechnet die Corona-Pandemie trug dann dazu bei: Homeschooling war plötzlich nicht nur möglich, sondern sogar notwendig. In Absprache mit der Stammschule in Niedersachsen und der Bereichslehrerin, die sich um die Schulkinder beruflich Reisender kümmert, hat man sich dann nach der Pandemie für einen neuen Umgang bei kürzeren Zirkusreisen geeinigt.
Online schicken die Lehrer die Aufgaben mit Abgabeterminen, die Nathalie Frank dann fertig ausgefüllt wieder einscannt und zurückmailt. Der Fortschritt wird im verpflichtenden Schultagebuch festgehalten. "Das funktioniert sehr gut", sagt sie, "wenn ich Fragen habe, stehen die Lehrer auch immer gerne zur Verfügung. Die Zusammenarbeit funktioniert super." Verpflichtend sind die Kernfächer Deutsch, Mathematik und Englisch, die übrigen Fächer müssen, zurück an der Stammschule, nachgeholt werden.
Unterricht statt Manege
Mindestens zwei Stunden am Tag stehen Schulaufgaben auf dem Plan. So früh es geht, will der zwölf Jahre alte Louis aber in der Show auftreten, zum Beispiel als Jongleur und Clown. Die Begeisterung für Deutschhausaufgaben hält sich dagegen in Grenzen. Mutter Nathalie Frank ist selbst als Artistin Teil der Zirkusshow und kann den Unmut verstehen. Trotzdem legt sie Wert auf einen Schulabschluss: "Wer weiß schon, was Louis in zehn Jahren will oder was mit dem Zirkus ist?"
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