Israelische Soldaten haben bei Kämpfen im Gazastreifen drei Geiseln versehentlich getötet. Die Streitkräfte hätten sie während eines Einsatzes in der Hamas-Hochburg Schedschaija im Norden des abgeriegelten Küstenstreifens fälschlicherweise als Bedrohung identifiziert und auf sie geschossen, teilte der Sprecher des israelischen Militärs, Daniel Hagari, am Freitagabend mit.
Zu dem Vorfall kam es demnach am Freitagmorgen. Hagari sagt, es sei bisher unklar, wie die drei Geiseln in das Gebiet des Kampfgeschehens geraten konnten. Das Militär geht allerdings nach einer ersten Rekonstruktion der Ereignisse davon aus, dass sie entweder ihren Entführern entkommen oder absichtlich zurückgelassen worden seien. "Wir kennen die Details noch nicht", sagte der Armeesprecher.
Netanjahu: Versehentliche Tötung "unerträgliche Tragödie"
Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu sprach von einer "unerträglichen Tragödie". "Der gesamte Staat Israel trauert an diesem Abend", erklärte Netanjahu am Freitag. Er bekundete sein Mitleid mit den Angehörigen der drei Geiseln.
Die israelischen Streitkräfte identifizierten die versehentlich Getöteten als den 26-jährigen Alon Schamris und den 28-jährigen Heavy-Metal-Schlagzeuger Jotam Haim, die beide aus dem Kibbuz Kfar Asa entführt worden waren. Die dritte getötete Geisel ist demnach der 25-jährige Beduine Samer El-Talalka aus dem Kibbuz Nir Am. Den Namen von Schamris hatte die israelische Armee zunächst nicht genannt, was sie mit einem entsprechenden Wunsch der Familie begründete. Später nannte sie den Namen dann doch.
Kurz nach dem Zwischenfall sei bereits der Verdacht aufgekommen, es könne sich bei den Toten um Geiseln handeln, sagte Hagari. Die Leichen seien daraufhin zur genaueren Untersuchung auf israelisches Territorium gebracht worden. Dabei wurde bestätigt, dass es sich um drei israelische Geiseln handelte.
"Ein trauriger und schmerzhafter Vorfall"
"Dies ist für uns alle ein trauriger und schmerzhafter Vorfall, und die Armee trägt die Verantwortung für alles, was passiert ist", sagte Hagari weiter. Das Militär begann demnach sofort mit der Untersuchung des Vorfalls. Dieser werde untersucht, "sofortige Lehren" seien daraus gezogen und an alle israelischen Einheiten übermittelt worden.
Hagari erklärte, dass es sich bei Schedschaija um ein "aktives Kampfgebiet" handele, in dem es in den vergangenen Tagen immer wieder zu anhaltenden Kämpfen gekommen sei. Er sprach den Familien der Geiseln sein Beileid aus.
Kirby: "Herzzerreißend und tragisch"
Die US-Regierung bezeichnete den Tod der drei Geiseln durch israelische Soldaten als herzzerreißend und tragisch. "Natürlich ist das kein Ergebnis, das sich irgendjemand gewünscht hat", sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby. Er gehe davon aus, dass die Israelis sich den Vorfall genau ansehen würden, um herauszufinden, wie es dazu kommen konnte. Der Fall eigne sich aber nicht, um ein allgemeines Urteil darüber zu fällen, ob das israelische Militär in der Lage sei, im Gazastreifen präzise vorzugehen, sagte Kirby.
Die US-Regierung hatte zuletzt nach Gesprächen mit der israelischen Führung die Erwartung geäußert, dass Israel von einem militärischen Vorgehen mit "hoher Intensität" im Gazastreifen zu "gezielteren" Militäroperationen übergehen werde. Einen Zeitraum dafür nannte Washington allerdings nicht.
Tausende protestieren in Tel Aviv für einen Geiseldeal
Während sich die Nachricht von der versehentlichen Tötung der drei Geiseln verbreitete, versammelten sich am Abend vor dem Verteidigungsministerium in Tel Aviv hunderte Demonstranten. Unter ihnen waren Angehörige von Geiseln. Die Protestierenden forderten ein rasches neues Abkommen zur Freilassung der verbliebenen Geiseln. In der Menge wurden israelische Fahnen geweht und Plakate mit Porträts von Geiseln hochgehalten. "Jeden Tag stirbt eine Geisel" stand auf einem der Plakate. Wie die Nachrichtenseite ynet berichtete, schütteten die Demonstranten rote Farbe auf die Straße. "Ihre Zeit wird knapp! Bringt sie jetzt nach Hause", riefen die Menschen.
"Wir sind nach einem niederschmetternden Abend hier versammelt, und ich sterbe vor Angst", sagte der Demonstrant Merav Svirsky, dessen Bruder als Geisel in den Gazastreifen verschleppt wurde. "Wir fordern, dass es jetzt ein Abkommen gibt."
Im Video: Protest vor dem israelischen Verteidigungsministerium
Bericht: Verhandlungen zu zweiter Feuerpause
Im Rahmen einer zwischen Israel und der Hamas vereinbarten Feuerpause waren Ende November im Verlauf einer Woche etwa hundert Geiseln freigelassen worden. Im Gegenzug ließ Israel 240 palästinensische Häftlinge aus den Gefängnissen frei. Das Abkommen war von Katar, Ägypten und den USA vermittelt worden.
Das Nachrichtenportal "Axios" berichtete am Freitagabend, dass der Direktor des israelischen Geheimdienstes Mossad, David Barnea, an diesem Wochenende mit dem katarischen Regierungschef Mohammed ben Abdelrahmane Al-Thani in Europa zusammentreffen werde. Dabei solle es um eine zweite Feuerpause zur Freilassung von Geiseln gehen. Angaben zum genauen Ort des Treffens und zur Zahl der Geiseln, die freigelassen werden könnten, machte "Axios" nicht.
Hamas hält weiter über 130 Geiseln
Die Hamas hatte am 7. Oktober Israel überfallen. Kämpfer der von den USA und der EU als Terrororganisation eingestuften Palästinenser-Organisation drangen in israelische Städte und Dörfer ein und verübten Gräueltaten an Zivilisten. Israelischen Angaben zufolge wurden etwa 1.140 Menschen getötet und rund 250 Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Mehr als 130 von ihnen befinden sich nach israelischen Angaben weiterhin in der Gewalt der Hamas.
Als Reaktion auf den Hamas-Angriff begann die israelische Armee, Ziele im Gazastreifen zu bombardieren und startete eine Bodenoffensive. Dabei wurden nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums, die nicht unabhängig überprüft werden können, bislang mehr als 18.700 Menschen getötet.
Mit Informationen von dpa und AFP
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