Ein Tablet lehnt an einer Obstschale auf dem Küchentisch einer Wohnung im niederbayerischen Arnbruck im Landkreis Regen. Von hier aus wählt sich die sechsjährige Sonja ins ukrainische Homeschooling ein. Das Mädchen sitzt mit Stift und Block vor dem Tablet, lernt Schreiben oder Mathematik.
In Kriegszeiten: "Wenigstens der Schulalltag soll weitergehen"
Man kennt das alles technisch von deutschen Kindern aus Coronazeiten. Für die Flüchtlingskinder ist die Situation aber eine andere. Denn Sonjas ukrainische Grundschullehrerin ist in Kiew und damit im Krieg geblieben.
Die Kinder ihrer Klasse leben Hunderte von Kilometern entfernt und überall verstreut in Deutschland, so wie Sonja, oder aber in Frankreich oder in sichereren Regionen der Ukraine, in die sie mit ihren Müttern geflüchtet sind. Aber wenigstens der Schulalltag soll weitergehen, sagt Sonjas Mutter Anna:
"Erstens ist Schule Pflicht und außerdem müssen die Kinder etwas machen und etwas lernen. Sonst sitzen sie den ganzen Tag zuhause. Das ist langweilig und am Ende stressig für alle." Sonjas Mutter Anna
Sonjas Papa ist in Kiew geblieben. Auch zu ihm gibt es im Moment nur den Kontakt per Telefon, WhatsApp oder Skype. "Er sagt uns, es ist noch zu früh, um mit Kindern nach Kiew zurückzukehren", so Anna.
Im September wieder zuhause in der alten Schule?
Trotzdem hofft Mama Anna, dass ihr Kind vielleicht schon im September, wenn das neue Schuljahr beginnt, wieder ganz normal in Kiew zur Schule gehen kann. Ob das klappt, weiß momentan keiner:
"Manchmal hast du ganz helle Gedanken, manchmal ganz dunkle. Manchmal beginnst du, etwas zu planen, und dann denkst du wieder, wozu überhaupt planen. Wenn mich jemand fragt, wann kommst du zurück in die Ukraine, dann sage ich, ich weiß es nicht." Sonjas Mutter Anna
Wenn der Krieg nicht so schnell endet, soll Sonja ab September in eine deutsche Grundschule gehen. Dafür muss sie aber zuerst Deutsch lernen. Ein erster Anfang: Die Sechsjährige besucht seit dieser Woche die Nachmittagsbetreuung der Grundschule Arnbruck.
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Der 14-jährige Maxim geht schon in eine deutsche Realschule
So wie Sonja und ihre Mutter sind auch Natalia und ihr 14-jähriger Sohn Maxim bei einer Familie in Arnbruck untergekommen. Lydia und Thomas Gampe haben ihnen seit 11. März eine leerstehende Einliegerwohnung in ihrem Haus zur Verfügung gestellt.
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Maxim hatte zunächst auch wochenlang Homeschooling mit seiner Schule in Kiew. Aber er spricht gut Deutsch, weil er das in der Ukraine neben Englisch seit Jahren als zweite Fremdsprache hatte. Seit dieser Woche geht er in die Realschule Viechtach, macht nur noch das Fach Chemie per Leitung nach Kiew.
"Am Tag vor dem ersten Schultag in Viechtach war er am Abend nervös. Ich habe dann versucht, ihm die Angst zu nehmen und die Schule hat ihn gut und locker empfangen. Maxim ist nach dem ersten Schultag freudestrahlend heimgekommen und er geht weiter gerne hin." Thomas Gampe
Der Elektrotechnik-Ingenieur findet es selbstverständlich, zusammen mit seiner Frau zu helfen, auch bei der Bürokratie. "Wir können nicht fremde Familien hierher zu uns holen und dann sagen, jetzt schaut mal, wie ihr mit allem klarkommt", findet er.
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Technisch gibt es im ländlichen Arnbruck keine Probleme mit der Internetverbindung. Thomas Gampe arbeitet momentan wegen eines Büro-Umbaus in seiner Firma selbst im Homeoffice. Trotzdem ruckelt es nicht, nicht einmal wenn drei Computer im Haus gleichzeitig am Netz hängen.
Ukrainische Lehrerin sitzt nicht im Luftschutz-Keller
Für die ukrainische Grundschullehrerin Natalia Zigman ist das Homeschooling ein Stück Alltag im Krieg. Sie unterrichtet die Kinder, deren Einzelbilder sie momentan nur ganz klein am Bildschirm sieht, täglich von ihrer Wohnung in Kiew aus, auch bei Sirenenenalarm. Einen Luftschutzkeller gibt es in ihrem Wohnhaus nicht:
"Die Kinder müssen etwas lernen. Alle Leute in der Ukraine arbeiten da, wo sie müssen, auch wenn es momentan schwierig ist." Lehrerin Natalia Zigman
Sie hofft, dass sie spätestens in Herbst zum neuen Schuljahr alle Kinder wieder in ihrem Kiewer Klassenzimmer unterrichten kann - eine Hoffnung, die auch Eltern und Kinder in der Ferne antreibt.
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