Heute gab die Geschäftsführung des französischen Automobilzulieferers bekannt, welche Abteilungen von den Stellenstreichungen betroffen sind. In der kommenden Woche sollen die Betroffenen dann informiert werden, wer genau gehen muss. Fakt ist: Bis Ende Juni werden 310 der 510 Valeo-Beschäftigten im Elektromotorenwerk Bad Neustadt an der Saale ihren Job verlieren. Die Produktion wird nach Czechowice-Dziedzice südlich von Kattowitz verlagert. In Polen sind Produktions-, Lohn- und Energiekosten deutlich niedriger. Den betroffenen Menschen in Unterfranken bietet Valeo Abfindungen an. In einer Transfergesellschaft sollen ehemalige Beschäftigte sich für den Arbeitsmarkt weiterqualifizieren.
Keine Perspektive: “Ich bin 53 Jahre alt und Diabetiker"
Ein Mann ist verzweifelt, als er die Betriebsversammlung in der Stadthalle von Bad Neustadt verlässt. Seinen Namen möchte er nicht nennen. Er war neun Jahre lang in der Produktion bei Valeo beschäftigt. Seit 1992 war er bei Siemens, dann sei er zu Valeo gewechselt, drei Monate bevor Siemens an Valeo verkauft wurde: "Ich fühle mich verarscht! Damals habe ich keine Abfindung bekommen, weil ich zu früh gegangen bin." Der Sozialplan, den die Valeo-Geschäftsführung vorsieht, mache ihn wütend. Der 53-Jährige erklärt, er wolle Valeo verklagen oder Siemens – ganz genau wisse er es auch noch nicht. "Ich bin enttäuscht und verzweifelt! Ich bin 53 Jahre alt und Diabetiker. Ich finde nichts mehr!", klagt der Familienvater aus Bad Neustadt. "Ich brauche Zeit zum Nachdenken." Seinen Frust teilt der Familienvater mit seinen Kollegen.
Zukunftsängste wachsen
Martin Schmelzer ist seit sechs Jahren als Staplerfahrer bei Valeo beschäftigt. Als ihn die Nachricht über die Schließung der Produktion erreichte, sei er aus allen Wolken gefallen, sagt er. "Ich bin ohnmächtig geworden. Mich hat es richtig umgehauen!" Er hat große Zweifel, dass er in der Region einen ähnlich guten Arbeitsplatz findet. "Ich weiß nicht, wie es jetzt weitergeht. Ich habe keine Ahnung!"
Die Zweifel sind berechtigt, meint Reiner Gehring, zweiter Bevollmächtigter der IG Metall in Schweinfurt. Ganz so rosig sehe es hier nicht aus, dass die Kollegen gleich im nächsten Betrieb unterkämen, so der Gewerkschafter. Die Angst bei den Kollegen wachse und sei spürbar.
Sozialplan und Interessensausgleich ausgehandelt
Nach Angaben der IG Metall setzt sich der verhandelte Sozialplan aus mehreren Komponenten zusammen: Erstens, einem Sockelbetrag, der jedem Betroffenen zusteht, unabhängig des Alters und der Länge der Betriebszugehörigkeit. Hinzu kommt ein individueller Betrag, der nach einem Punktesystem ermittelt wird. Dazu kämen noch zusätzliche Festbeträge beispielsweise für Mitarbeiter mit unterhaltspflichtigen Kindern oder einer Behinderung, bestätigt Gehring. Auch soll es die Möglichkeit geben, in eine sogenannte Transfergesellschaft zu wechseln. Dort sollen ehemalige Valeo-Beschäftigte sich für den Arbeitsmarkt weiterqualifizieren.
Bereits im Vorfeld hatten der Betriebsrat und Sprecher der IG Metall die zähen Verhandlungen mit der Valeo-Geschäftsführung kritisiert. Man hätte versucht, mehr Arbeitsplätze zu retten und den Standort langfristig zu sichern. Der Arbeitgeber Valeo habe sich allerdings keinen Millimeter bewegt.
Keine Bestandsgarantie für Bad Neustadt
Die Unternehmensleitung kommunizierte zuletzt, dass die Abteilung für Forschung und Entwicklung in Bad Neustadt bleibe, der sogenannte Musterbau aber ebenso nach Polen abgezogen werde. Reiner Gehring hält das für widersinnig und befürchtet weitere Maßnahmen. Eine eindeutige Bestandsgarantie für die verbleibenden Bereiche am Standort Bad Neustadt habe die Geschäftsführung nicht gemacht, so Gehring.
Keine adäquaten Jobs in der Region
Verzweifelt ist auch Julian Heckenlauer. Für den 31-Jährigen ist ein Arbeitsplatzwechsel keine Option. Gerade ist er Vater geworden. Wie viele seiner Kollegen hat er sich in der Region häuslich niedergelassen. Die nächstgelegenen Valeo-Standorte in Bad Rodach in Oberfranken oder in Ebern in Unterfranken sind beide knapp 60 Autominuten entfernt. Einen Arbeitsplatz in Ebern zu bekommen, hält der junge Familienvater sowieso für "utopisch". Valeo hat angekündigt, am unterfränkischen Standort rund ein Viertel der 1.100 Arbeitsplätze zu streichen.
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