Das bayerische Innenministerium warnt die anderen Ministerien und Behörden im Freistaat vor einer Kampagne von Scientology. Die Organisation versende derzeit Broschüren ihrer Tarnorganisation "Der Weg zum Glücklichsein" an Schulen, Justizvollzugsanstalten und andere öffentliche Einrichtungen, heißt es in einem internen Schreiben, das dem BR vorliegt.
Scientology-Tarnorganisation nimmt Schulen ins Visier
So sei eine Kinderbroschüre mit dem Titel "Wie man gute Entscheidungen trifft" an mehrere Einrichtungen und Träger gegangen, die sich mit Kindern und Jugendlichen sowie der Wertevermittlung an sie beschäftigen. Darin werde die scientologische Ideologie für Kinder aufbereitet, was aber nicht auf den ersten Blick erkennbar sei. Verschickt wurde die Broschüre unter dem Namen "Eltern-Werteinitiative". Der Begriff Scientology werde nicht erwähnt, es werde aber Bezug genommen auf das Buch "Der Weg zum Glücklichsein" von L. Ron Hubbard, dem Gründer und Vordenker von Scientology.
Scientology: Das Fischen nach Menschen in schwierigen Lebenslagen
Die Urheber behaupten, die Broschüre sei weltanschaulich neutral und dürfe daher von Behörden und Beschäftigten verteilt werden. Das Innenministerium erklärt, damit werde die Öffentlichkeit bewusst über den Scientology-Hintergrund der Broschüre getäuscht.
Außerdem nehme die gleiche Scientology-Tarnorganisation derzeit auch Strafgefangene in den Fokus. Gleichnamige Broschüren für Erwachsene sollten an bayerische Justizvollzugsanstalten verteilt werden. Dies entspreche der langjährigen Scientology-Praxis, sich Menschen in schwierigen Lebenslagen als kompetenter Berater anzudienen.
Sektenbeauftragter: "Scientology nützt Schwächen aus"
Bei der Scientology-Kampagne handele es sich um eine altbekannte Strategie, so der Sekten- und Weltanschauungsbeauftragte der Evangelischen Landeskirchen in Bayern, Matthias Pöhlmann. Die aktuelle Krisensituation sei von Scientology dabei auch sehr geschickt gewählt, denn viele Familien seien durch die Pandemiesituation noch sehr geschwächt. Diese Schwächen würden jetzt bei einzelnen Zielgruppen ausgenützt, so Pöhlmann. Dabei sei Scientology sehr findig, immer neue Zielgruppen zu erschließen. Letztendlich dürfe Scientology, gerade im Lern- und Nachhilfebereich nicht unterschätzt werden, auch wenn Scientology in letzter Zeit etwas weniger im Interesse der Öffentlichkeit gestanden habe, so der Sekten- und Weltanschauungsbeauftragte der Evangelischen Landeskirchen in Bayern Matthias Pöhlmann.
Scientology seit 1997 vom Verfassungsschutz beobachtet
In Deutschland wird die Organisation Scientology aufgrund eines Beschlusses der Innenministerkonferenz seit 1997 in mehreren Bundesländern durch den Verfassungsschutz beobachtet: Sie sei nicht nur eine Gefahr für Einzelne, sondern stelle das politische System der Bundesrepublik Deutschland in Frage.
Über die Funktionsweise der Scientology Organisation (SO) schreibt der Verfassungsschutz Bayern auf seiner Webseite: "Personen, die sich den SO-Verfahren unterziehen, verändern ihre Persönlichkeit erheblich. Gefangen im Kurssystem der Organisation, entwickeln sie ein suchtähnliches Verlangen nach weiteren Kursen mit Kosten für den Einzelnen bis zu mehreren hunderttausend Euro. Am Ende steht oft nicht nur der finanzielle Ruin, sondern auch eine lückenlose Kontrolle durch die SO. Soziale und berufliche Bindungen werden zerstört."
Für Informationen zu den Aktivitäten von Scientology und seinen Tarnorganisationen verweist das Innenministerium auf die jährlich erscheinenden Verfassungsschutzberichte und auf die Broschüre "Das System Scientology - Fragen und Antworten" vom Herbst 2020.
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