Seit vergangenen Herbst melden kirchliche Wohlfahrtsverbände immer wieder, zahlungsunfähig zu sein: Am 6. September 2023 teilte die Diakoneo-Klinik in Neuendettelsau mit, bald keine stationären Patienten mehr aufnehmen zu können. Zwei Monate später ist die Diakonie Passau insolvent. Anfang Dezember ist auch das Diakoniewerk Maxvorstadt in München zahlungsunfähig. Am 23. Februar 2024 meldet der Diakonieverein Amberg in der Oberpfalz Insolvenz an, ein Seniorenheim muss daraufhin schließen.
Eine bundesweite Umfrage von Arbeiterwohlfahrt, Paritätischem Wohlfahrtsverband und der Diakonie, an der sich im Herbst vergangenen Jahres mehr als 2.700 gemeinnützige Organisationen beteiligt haben, zeigt: 40 Prozent der befragten Einrichtungen mussten bereits Angebote und Leistungen aus finanziellen Gründen einschränken oder ganz einstellen. Besonders der Pflegebranche steht vor großen Herausforderungen. Laut einer Umfrage der Diakonie Deutschland vom November 2023 schätzten 72,7 Prozent der befragten ambulanten Pflegedienste der Diakonie ihre wirtschaftliche Situation als angespannt ein. Fast zwei Drittel der ambulanten Pflegedienste machen finanzielle Verluste. Jeder zehnte Anbieter fürchtet in den kommenden beiden Jahren das Aus.
Wohlfahrtsverbände: Eine Insolvenz nach der anderen
Institutionen, die Bedürftige unterstützen, Menschen in Krisensituationen auffangen und ihnen durch schwierige Lebensphasen helfen, stecken nun selbst in der Krise. Sabine Weingärtner, Präsidentin der Diakonie Bayern, sagt: Die Ursachen seien überall ähnlich. Das Grundproblem sei der Fachkräftemangel. "Weil dadurch Betten nicht belegt werden können, Stockwerke in Seniorenheimen leer stehen, oder die Kita nicht mehr die Öffnungszeiten anbieten kann, die sie anbieten könnte, wenn alle Arbeitsplätze besetzt wären."
Wenn ein Seniorenheim weniger Menschen beherbergt, oder ein Kindergarten weniger Stunden Betreuung anbieten kann, generiert der Träger weniger Umsatz. Auf der einen Seite fehlt also Geld und auf der anderen Seite müssen gestiegene Kosten gestemmt werden – für Energie, für höhere Löhne, in Zeiten der Inflation. Dazu kommt: Gemeinnützige Träger können nicht wie private Unternehmen Gewinne auf die hohe Kante legen. Es gibt also keine Rücklagen, auf die nun zurückgegriffen werden könnte.
Bayernweites Problem: Alle Bereiche sind betroffen
Weingärtner spricht von einem bayernweiten Problem, das auch Caritas, die Arbeiterwohlfahrt und das Rote Kreuz berühre. Bei der Diakonie selbst seien alle Bereiche betroffen: "Von der Kita über Einrichtungen der Behindertenhilfe, Kinder-, Jugendhilfe, Senioreneinrichtungen bis zu den vielen Beratungsstellen", sagt die Präsidentin der Diakonie Bayern.
Angespannt klingt die Lage auch bei der Caritas Bayern, dem katholischen Wohlfahrtsverband, wenn auch weniger dramatisch. Direktor Andreas Magg sagt, von drohenden Insolvenzen sei ihm derzeit nichts bekannt. Aber: "Was mir bekannt ist, ist natürlich die extrem schlechte finanzielle Ausstattung und dass es Sozialbereiche gibt, die sehr kämpfen, zum Beispiel der Asyl-Beratungsbereich. All diese Dinge, bei denen wir mit dem Freistaat kooperieren, sind nicht ausreichend finanziert." Dort werde es bald zu einem reduzierten Angebot kommen, würden Stellen entfallen und das Angebot stark eingeschränkt werden müssen.
Beratungsstellen fangen höhere Folgekosten auf
Wie wichtig gerade diese Beratungen sind, erklärt Eva-Maria Euchner, Professorin für Sozialpolitik an der Fliedner-Fachhochschule Düsseldorf. "Die Beratungsstellen sind wirklich essenziell. Weil sie diesen wahnsinnig starken präventiven Charakter haben. Da kann ich Familien in Konfliktsituationen früh abfangen und somit soziale Folgekosten stark reduzieren. Das ist eigentlich der Weg, den ich für die Zukunft des Sozialstaats in Deutschland sehe."
Das bayerische Innenministerium, dass auch für den Bereich Integration zuständig ist, weist die Vorwürfe zurück: Der Freistaat investiere in mehr Stellen und eine bessere Förderung der Migrationsberatungen. Auch seien Hilfen in Höhe von einer Million Euro wegen der Energiekrise bereitgestellt worden – doch die Träger hätten das Geld nicht beantragt.
Schwierige Situation auch in gemeinnützigen Kliniken
Beratungsstellen sind aber freilich nur eine Baustelle. Besonders die Situation der Kliniken macht Sabine Weingärtner von der Diakonie Sorgen. "Meine große Sorge ist, dass wir in absehbarer Zeit, vielleicht in zwei Jahren, keine frei gemeinnützige Kliniken mehr haben werden." Denn die Krankenhäuser der Diakonie, der Caritas und vom Roten Kreuz können bei Verlusten nicht so einfach Gelder von der Stadt, dem Landkreis oder dem Land bekommen, wie das bei kommunalen oder Uni-Kliniken möglich ist. "Wenn eine große Klinik wie beispielsweise die Hallerwiese in Nürnberg, mit eine der größten Geburtenkliniken Deutschlands, schließt, dann ist die Frage, wo über 3.000 Frauen hingehen, wenn sie ihr Kind bekommen. Diese Frage muss beantwortet werden, und zwar von der Politik", fordert Weingärtner. Deshalb nimmt die Diakonie-Präsidentin alle staatlichen Stellen in die Pflicht und fordert schnellere Entscheidungen und vor allem mehr Geld.
Komplizierte Förderung
Dabei wird deutlich, wie kompliziert die Finanzierung der Wohlfahrtsverbände ist. Von den Kirchen kommt dabei nur ein geringer Anteil. Das meiste Geld bekommen die Sozialverbände von der öffentlichen Hand, also von Sozialversicherungen wie Pflege- und Krankenkassen sowie von der Bundesebene, der Landesebene und den Kommunen.
"Daher ist der Hilfeschrei an den Staat nachvollziehbar", meint Josef Schmid, Politikwissenschaftler von der Universität Tübingen. Er erklärt: Innerhalb von Diakonie und Caritas verhandeln die Träger ständig mit verschiedenen Akteuren, wie viel Geld sie für ihre Leistungen bekommen. "Sie verhandeln mal über Gesundheit, dann über Altersheime, dann über Beratungsdienstleistungen, und dann noch regional differenziert. Manchmal sind die Verhandlungen auch auf Landkreisebene, je nachdem, wie die Einrichtungen strukturiert sind und wer der Verhandlungspartner ist." Diese komplizierte Struktur mache es für einzelne Geldgeber einfach, mit dem Finger auf andere zu zeigen, sagt der Politikwissenschaftler.
Forderung: Inflation in Zukunft stärker berücksichtigen
"Es ist eine, komplexe Finanzierungsstruktur, bei denen wie immer der Schwarze Peter hin und hergeschoben wird", beklagt Schmid. Da heiße es oft: "Ja, soll doch die der andere mehr zahlen." Tatsache sei aber auch, sagt Schmid: Die Wohlfahrtsverbände seien stark vom Staat abhängig und momentan strukturell unterfinanziert. Er schlägt vor, eine Regel einzuführen, dass bei allen Verhandlungen die Inflation stärker berücksichtigt wird, also die Wohlfahrtsverbände automatisch mehr Geld bekommen, wenn die Inflation steigt. Aber er vermutet auch, dass gerade die öffentlichen Stellen wenig Interesse zeigten, an der Situation der Wohlfahrtsverbände etwas zu ändern. Schließlich sparten sie Geld, wenn sie langfristig abgeschlossene Verträge nicht neu bei gestiegener Inflation verhandelten.
Die Sorgen der sozialen Träger nehme sie sehr ernst, teilte die bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf auf Anfrage mit. Der Sozialhaushalt steige auf ein Rekord-Niveau von mehr als acht Milliarden Euro. "Für mich ist aber klar, dass wir die Höhe der Sozialausgaben in Deutschland insgesamt auf den Prüfstand stellen und zielgenau ausrichten müssen."
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