Der 30-jährige jüdische Tourist in München. Bild von hinten.
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Der 30-jährige jüdische Tourist in München. Letzte Woche wurde er von einer sechsköpfigen Gruppe attackiert, offenbar wegen seiner Kippa.

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Jüdischer Tourist in München attackiert – Behörden reagieren

Jüdischer Tourist in München attackiert – Behörden reagieren

Antisemitische Gewalttaten nehmen auch in Bayern sprunghaft zu. In München wurde kürzlich ein jüdischer Tourist von einer Gruppe angegriffen und verletzt - offenbar, weil er eine Kippa trug. Wie reagieren die Behörden? Und wie geht es dem Mann jetzt?

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Seit zwei Wochen ist der 30-jährige Tourist aus Mexiko in München. Insgesamt acht Wochen will er bleiben und die Stadt und die Umgebung erkunden.

Dass er ausgerechnet in Deutschland wegen seiner Kippa angegriffen wird, hätte er nicht gedacht. Dabei hatte er sie in der Nacht auf Donnerstag, 14. Dezember, nur kurz aufgesetzt - auf dem Heimweg von einer Bar, als er mit einem religiösen Freund telefonierte und dabei auch die Kamera einschaltete. Eine Gruppe von sechs Leuten habe ihn deshalb angegriffen, erzählt er. Sein Name soll hier aus Sicherheitsgründen nicht genannt werden.

Kratzer und Blutspuren auf dem Gesicht nach Angriff

"Die Leute näherten sich, als ich im Videocall war, weil sie mich mit der Kippa sahen. Erst habe ich sie nicht richtig beachtet, ich war ja noch im Gespräch und ich kannte sie nicht. Doch dann standen sie vor mir", berichtet der Mexikaner im Gespräch mit dem BR auf Englisch. Die Gruppe habe ihm Fragen gestellt, wo er her sei, ob er Jude sei. "Das nächste, was ich weiß, ist, dass sie mich auf dem Gehweg zusammengeschlagen haben, vermutlich mit der Faust ins Gesicht und in die Rippen. Es waren sechs Leute, einer hat zugeschlagen, das habe ich gesehen. Und ich habe versucht zu entkommen, bin auf die Straße gerannt und habe versucht, Deckung zu suchen."

Dem BR liegt ein Foto mit den Verletzungen des Mannes vor. Auf dem Gesicht sind deutlich sichtbare Kratzer und Blutspuren zu sehen.

Jüdischer Tourist wird nach Angriff im Krankenhaus behandelt

Der Tourist habe nach der Attacke eine Passantin um Hilfe gebeten, sie habe auch sofort die Polizei gerufen, so der Mexikaner. Die Beamten vor Ort alarmierten dann den Rettungsdienst, der den Touristen zur ambulanten Behandlung in ein Krankenhaus brachte.

Gegen die mutmaßlichen Angreifer wird nun laut der Münchner Polizei München wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Demnach handelt es sich um deutsche, eritreische, syrische und jemenitische Staatsangehörige. Ermittlungen laufen aber auch gegen den angegriffenen Juden: wegen Körperverletzung. Der 30-Jährige erzählt, dass er sich nur verteidigt habe. "Was hätte ich denn sonst tun sollen?", fragt er. Zwei Personen aus der Gruppe wurden dabei leicht verletzt.

Antisemitismus-Beauftragter der bayerischen Justiz ermittelt

Die Polizei geht davon aus, dass die Gewalthandlungen der sechsköpfigen Gruppe einen antisemitischen Hintergrund haben. Der Fall liegt jetzt auch beim Antisemitismus-Beauftragten der bayerischen Justiz, Andreas Franck. Das ist so üblich, wenn die Vorfälle "von besonderer Erheblichkeit und überregionaler Bedeutung" sind, so Franck. Auf BR-Anfrage teilt die Generalstaatsanwaltschaft München mit, dass seit dem 7. Oktober, dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel, 119 Verfahren mit Bezug auf die Ereignisse im Nahen Osten eingeleitet worden seien.

Oberstaatsanwalt Sebastian Murer erklärt dazu: "Diese Verfahren sind noch nicht abgeschlossen, so dass eine Aussage zur Tatmotivation noch nicht möglich ist. Es ist aber davon auszugehen, dass ein Großteil dieser Taten - zu denen etwa das öffentliche Billigen des Hamas-Terrors gezählt wird - antisemitisch motiviert sind."

Dreimal so viele antisemitische Vorfälle wie im Vorjahr

Auch die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, kurz: RIAS Bayern, registriert einen sprunghaften Anstieg antisemitischer Vorfälle seit dem 7. Oktober: "Wir verzeichnen ein bislang ungekanntes Meldeaufkommen. Betroffene und Zeugen von Antisemitismus berichten von ihren Erfahrungen, gleichzeitig beobachten wir in Bayern auch sehr viele Kundgebungen, auf denen antisemitische Inhalte geäußert werden", so Felix Balandat von RIAS Bayern. Aktuell komme die Meldestelle mit der Erfassung antisemitischer Vorfälle "schlichtweg nicht mehr hinterher".

Laut RIAS Bayern wurden alleine in den zwei Monaten von 7. Oktober bis 9. November 148 Vorfälle dokumentiert - dreimal so viele wie im gleichen Zeitraum im Jahr zuvor. Der aktuelle Fall aus München und andere aktuelle Fälle sind da noch nicht einmal erfasst.

Bürgermeister: "Angriff auf jüdischen Touristen erschüttert mich zutiefst"

Diese aktuelle Entwicklung macht auch dem zweiten Bürgermeister von München, Dominik Krause, große Sorgen: "Der Angriff auf den jüdischen Touristen und auch die antisemitische Stimmung der letzten Wochen erschüttern mich wirklich zutiefst. Ich finde es richtig, dass jetzt erst einmal der Antisemitismus-Beauftrage der Bayerischen Justiz im Fall des Angriffs auf den Touristen die Ermittlung übernommen hat, und wir als Landeshauptstadt München werden auf jeden Fall weiterhin alles dafür tun, dass Jüdinnen und Juden sich in München frei und sicher bewegen können", so der Grünen-Politiker auf BR-Anfrage.

Krause verurteilt aber auch die rassistischen Schmierereien an Münchner Gymnasium gegen Palästinenser: "Genau wie für Antisemitismus gilt natürlich auch für antimuslimische Hetze, dass dafür in dieser Stadt kein Platz ist. Ich finde es gut und richtig, dass die Schulleitungen sofort reagiert haben und die Schmierereien auch gleich entfernt haben."

Infomaterial und Fortbildungen für Lehrerinnen und Lehrer

"Die Eskalation des Konflikts im Nahen Osten in der Folge des antisemitischen Massakers der Hamas darf nicht dazu führen, dass es hier in München zu rassistischer oder antisemitischer Hetze kommt", teilte das Bildungsreferat der Stadt München mit.

So habe die Stadt bereits Ende Oktober ein Schreiben zum Umgang mit dem Nahostkonflikt verschickt. Darin enthalten seien auch Hinweise zum pädagogischen Umgang mit dem Thema im Unterricht, eine fachliche Einordnung der Geschehnisse sowie weiterführende Hinweise. Außerdem seien bereits drei Fortbildungen mit der Münchner "Fachstelle für Demokratie" für Lehrkräfte organisiert worden. Laut Bildungsreferat haben daran bislang rund 150 Lehrerinnen und Lehrer teilgenommen.

Polizei passt Sicherheitsmaßnahmen an

Die Polizei München teilt auf BR-Anfrage mit, dass sie ihre Sicherheitsmaßnahmen grundsätzlich immer der aktuellen Lage anpasse. Wie sich das zum Beispiel konkret auf die Stadt München oder jüdische Einrichtungen auswirke, könne sie im Detail nicht mitteilen.

Dass sich alle Menschen hier sicher fühlen können, wünscht sich auch der jüdische Tourist nach der Erfahrung der vergangenen Woche. Ihm, so sagt er, gehe es den Umständen entsprechend gut. Die Kratzer im Gesicht sind mittlerweile wieder verheilt. Besorgt um seine Sicherheit sei er in München nicht, "nur wütend".

"Ich werde nicht verstecken, wer ich bin"

"Ich werde nicht verstecken, wer ich bin. Deutschland und alle anderen europäischen Länder müssen etwas dagegen tun", betont er. Der Mann aus Mexiko fordert aber auch: "Wenn eine muslimische Frau ein Kopftuch tragen kann, dann kann ein jüdischer Mann auch eine Kippa tragen". Deutschland sei doch ein hoch entwickeltes Land, das müsse mit Situationen wie dieser umgehen können, meint er. "Das hier ist Deutschland, und Deutschland sollte für alle Menschen sicher sein."

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