Elisabeth Klenk führt einen langen Gang entlang. Dann geht es eine Treppe hinunter – in den Keller der JVA Gablingen. Die Juristin leitet uns in einen weiß gefliesten Vorraum. Jedes Detail ist hier auf die Extremsituationen angepasst, die sich in den speziellen Keller-Zellen der JVA Gablingen zutragen können.
Sie zeigt den Löffel, mit dem Häftlinge hier essen. Er ist aus Gummi und lässt sich leicht in alle Richtungen verbiegen. So soll vermieden werden, dass sich die Gefangenen selbst verletzen. Oder mit dem Löffel das Personal attackieren.
Erste Einblicke in die besonders gesicherten Hafträume
Bayerns Justizministerium möchte mit den Einblicken Transparenz schaffen. Denn es ist das erste Mal, dass die Öffentlichkeit einen Einblick in die sogenannten "besonders gesicherten Hafträume" bekommt, kurz bgH. Ein Team von BR24 vor Ort und kontrovers darf exklusiv in den Räumen filmen. In diesen Zellen sollen in Gablingen Gefangene misshandelt worden sein.
Gegen 16 Mitarbeitende der JVA ermittelt die Staatsanwaltschaft. Den meisten wird Körperverletzung im Amt vorgeworfen: Nackte Häftlinge, die auf dem Betonboden liegen müssen. Tritte ins Gesicht. Wochenlange Haft in den Zellen ohne Grund. So lauten die Vorwürfe.
Im Video: Ein Blick hinter die Kulissen der JVA
Task Force des Ministeriums soll Vorwürfe aufklären
Elisabeth Klenk arbeitet nicht in der JVA Gablingen, sondern fürs Justizministerium. Als Teil einer Task Force soll sie den Vorwürfen gegen das Gefängnis nachgehen. Früher war sie jedoch stellvertretende Leiterin der JVA Aichach und ist deshalb bestens vertraut mit den bgH-Zellen.
Nachdem sie den Gummi-Löffel beiseite gelegt hat, zeigt sie die weiteren Details des Vorzimmers: die Dusche, die Überwachungsmonitore, die Schutzschilde aus Plexiglas, falls sich das Personal schützen muss. Dann öffnet Elisabeth Klenk die Tür in den eigentlichen bgH-Raum.
Hafträume offenbar zur Strafe genutzt
Wer hier untergebracht wird, ist entweder eine Gefahr für sich oder für andere. Und das in einem Ausmaß, dass nur noch ein Raum in Frage kommt, in dem nichts ist, womit er sich oder andere verletzen kann. Sprich: der bgH. Soweit die Theorie. Doch in Gablingen wurden die Hafträume offenbar zur Strafe genutzt, Häftlinge grundlos in den Keller-Zellen weggesperrt.
Strafrechtsprofessor: "Das sind mittelalterliche Methoden"
Eigentlich steht Gefangenen in den Räumen eine gewisse Grundausstattung zu, wie Elisabeth Klenk uns zeigt. Sie führt in den beheizten weiß gekachelten Raum. Darin eine dünne Matratze, eine Papierunterhose und ein Papier-Überhemd, ähnlich einem OP-Kittel. Und ein Sitzwürfel. In Gablingen sollen all diese Gegenstände Häftlingen verwehrt worden sein. Übrig bleibt dann nur noch ein Edelstahl-Loch im Boden.
"In einem dunklen Raum ohne Bett, mit Loch im Boden, wo er seine Notdurft verrichten kann, eingesperrt zu werden - das sind ja mittelalterliche Zustände", sagt dazu der Strafrechtsprofessor Henning Müller. "Da sind sich alle einig, dass das nicht geht. Das ist letztlich gesichert durch unser Grundgesetz, also die Menschenwürde, Artikel eins. Darunter geht es eben nicht."
Spezial-Zellen sind unverzichtbar
Vor dem mutmaßlichen Justizskandal in Gablingen war weiten Teilen der Öffentlichkeit die Existenz der Zellen gar nicht bewusst. In der Tat sind sie eine Blackbox. Die Leitung der jeweiligen JVA entscheidet, wer hier hinein muss. Doch die Spezial-Zellen sind auch unverzichtbar, so Elisabeth Klenk.
Sie berichtet von einem Gefangenen, der in einer anderen JVA einem Mitarbeiter mit der Faust ins Gesicht geschlagen habe. "Aus dem Nichts heraus. Der Bedienstete hat mehrere Zähne verloren. Und er ließ sich nicht mehr beruhigen." Wenn eine solche Krisen-Situation nicht anders gelöst werden könne, "muss eine Unterbringung im bgH das Mittel der Wahl sein, wo es keine Gegenstände mehr gibt, die noch dazu benutzt werden können, andere oder sich selbst zu verletzen", so Klenk weiter.
Justizministerium erwägt strengere Regeln für bgH
Entscheidend ist, dass bgH-Zellen wirklich nur für solche Fälle genutzt werden. Bayerns Justizminister Eisenreich erwägt nun, dass ein Aufenthalt von mehr als drei Tagen von einem Richter genehmigt werden muss. "Wenn Bayern das macht, dann werden sicherlich die anderen Bundesländer nachziehen", glaubt Strafrechtler Müller.
Im Fall von Gablingen laufen nun die Ermittlungen. Für die Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung. Mehrmalige Anfragen an die Leitung der JVA blieben unbeantwortet.
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