"Diese Struktur, das, was die da aufgebaut hat, das hat mich kaputt gemacht", sagt ein ehemaliger Mitarbeiter der JVA Kaisheim. Er war wochenlang stationär in psychiatrischer Behandlung, noch immer benötige er Unterstützung von einem Psychologen. Und er kenne weitere Kollegen, die Psychopharmaka nehmen würden oder in psychologischer Behandlung seien. "Diese Art und Weise, wie da mit einem umgegangen wurde und welche Entscheidungen getroffen wurden, ohne sie wirklich zu begründen. Das macht einfach sehr viel mit einem. Vor allem, wenn man dabei machtlos ist."
So oder ähnlich berichten uns mehrere Mitarbeiter, die in der JVA Kaisheim beschäftigt waren und von denen uns eidesstattliche Erklärungen vorliegen.
- Zum Artikel: Justizskandal um JVA Gablingen weitet sich aus
Auffälligkeiten auch in JVA Kaisheim
Bevor die im sogenannten "Folter-Skandal" Beschuldigte zur stellvertretenden Leiterin der JVA Gablingen wurde, war sie im Kaisheimer Gefängnis als Abteilungsleiterin tätig. Während dieser Zeit habe sich dort sehr viel verändert, berichten sowohl Ex-Gefangene als auch ehemalige Mitarbeiter. Der damalige Anstaltsleiter habe der Abteilungsleiterin vollkommen freie Hand gelassen, so der Eindruck der Mitarbeiter. Bereits im Sommer 2023 hat der BR über mögliche Unstimmigkeiten in der JVA Kaisheim berichtet. Das Ministerium überprüfte die Vorgänge. Demnach gab es keine Beanstandungen.
Willkürliche Entscheidungen sollen Klima vergiftet haben
Willkürliche Anordnungen und ein "vergiftetes Klima" unter der Belegschaft hätten ihnen so zugesetzt, dass sie in psychiatrische Behandlung mussten. Die Arbeit mit den Gefangenen sei es nicht gewesen. Die sei für sie nicht nur Beruf sondern Berufung gewesen. Hier habe man auch Fortschritte beobachten können. Wenn man den Gefangenen mit Respekt begegne, dann würde diese Arbeit auch funktionieren: "Wie es in den Wald schallt, so kommt es zurück". So stehe es ja auch in den Dienstvorschriften. Man solle an der Resozialisierung mitwirken, also müsse man mit gutem Beispiel vorangehen.
Das könne aber nicht funktionieren, wenn von oben "nicht nachvollziehbare Anordnungen" kämen. Oft hätten die Gefangenen dann ihre Wut darüber an den Mitarbeitern ausgelassen: "Die kommen dann zu uns, beschweren sich. Aber wir waren ja machtlos".
Meuterei in JVA sorgt für brenzlige Situation
Mehrere Quellen, Gefangene wie ehemalige Mitarbeiter, berichten auch von einer Meuterei. Dabei sei es um eine Verkürzung der Zeiten gegangen, die die Gefangenen außerhalb der Zelle verbringen dürfen. Zunächst sei die Anordnung gekommen, die Zellen am Wochenende früher als üblich zu schließen. Das habe man den Gefangenen noch beibringen können. Völlig unvermittelt sei dann angeordnet worden, noch eher zuzuschließen: "Da stehst du da – um Gottes Willen, das kann nicht gut gehen, wer bringt das denen bei?", so ein ehemaliger Mitarbeiter.
"Dann ging das los. Ich stand am Fenster und hab geheult", berichtet er mit Tränen in den Augen. "Glauben Sie mir, wenn Hunderte Männer gegen Türen und Fenster springen, da ist volles Karacho, da hat's gebrannt. Wir mussten noch das Essen ausgeben. Und sind da rein. Aber von den Oberen, da war niemand da. Daran knabbere ich noch heute. Die hat doch uns in Gefahr gebracht, uns Mitarbeiter". Letztendlich habe man die Aufschlusszeiten wieder gelockert.
Augsburger Anwältin: "Klima aus Angst und Schrecken"
Die Augsburger Anwältin Bettina Bauer-Tränkle vertritt zahlreiche Mitarbeiter/Innen der JVAs in Kaisheim und Gablingen. Etwa wegen Disziplinarverfahren die eingeleitet wurden "aus konstruierten Gründen", so die Anwältin. Oftmals gehe es auch um nicht erfolgte Beförderungen, Degradierungen sowie objektiv nicht nachvollziehbare Beurteilungen. Sie habe einige Mandanten, die aufgrund der Konflikte am Dienstort nicht mehr arbeiten könnten und deshalb in psychologischer Behandlung seien. Aus den Schilderungen ihrer Mandanten habe sich für sie folgendes Bild ergeben: "Dort hat jemand nach Gutsherrenart geherrscht. Wer nicht zu allem 'ja' gesagt hat, der wurde fertig gemacht", so die Meinung der Anwältin.
Anwälte der stellvertretenden JVA-Leiterin äußern sich
Die Anwälte der Beschuldigten betonen, in einer JVA „wo die Leitung vielleicht nicht immer präsent ist, entwickeln sich nicht nur bei den Gefangenen, sondern auch bei den Bediensteten gewisse Subkulturen“. Das müsse nicht rechtswidrig sein, aber es würden sich bestimmte Dinge einschleifen. Ihre Mandantin sei Juristin und habe gewisse Dinge, die teilweise auch rechtswidrig gewesen seien, geändert. Das sorge nicht für Wohlwollen in der Justizvollzugsanstalt – weder bei den Insassen noch bei den Bediensteten. „Wenn wir von konkreten Fällen erfahren, die sich wegen unserer Mandantin versetzen haben lassen oder psychisch krank wurden, werden wir dazu Stellung nehmen. Derzeit können wir zu konkreten Fällen keine Stellung nehmen, da wir sie nicht kennen“, so die Anwälte weiter.
Seit Versetzung deutlich weniger Beschwerden
Die Beschwerden aus Kaisheim seien weniger geworden, als die heute beschuldigte Führungskraft an die JVA Gablingen versetzt wurde. Seitdem seien vermehrt Mandanten aus Gablingen zu ihr gekommen, so Bauer-Tränkle weiter. Ihre Arbeit sei von Seiten der beiden JVAs regelmäßig erschwert worden: Oftmals habe sie keine Akteneinsicht bekommen. Man habe ihre Schreiben nicht erhalten, habe es auf Nachfrage geheißen, ihr Fax sei verloren gegangen oder man habe die Mail nicht öffnen können. Erst wenn sie sich an das Ministerium gewandt habe, habe sie Unterlagen bekommen. In vielen Fällen aber habe das sehr lange gedauert.
Viele Mitarbeiter stellen Versetzungsanträge
All das hat offenbar dazu geführt, dass überdurchschnittliche viele, auch langjährige Mitarbeiter einen Versetzungsantrag stellten. Die Nachfrage beim bayerischen Justizministerium ergibt: Es liegen keine Angaben zur Anzahl der Versetzungsgesuche vor. Aber man habe in dieser Zeit eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die herausfinden sollte, warum sich die Mitarbeiter versetzen lassen wollten. Am häufigsten seien "Heimatnähe" und "familiäre Gründe" angegeben worden. Es sei aber auch von einer "subjektiv zu schlecht wahrgenommenen Beurteilung" bis hin zu "Unstimmigkeiten mit der Diensteinteilung" die Rede gewesen.
Unabhängige Stelle für Beschwerden gefordert
Einige Kollegen hätten auch versucht, sich zu beschweren, etwa beim Ministerium. Allerdings müsse man vorher einen Antrag bei der Anstaltsleitung stellen, alles gehe immer über diesen Weg. "Was soll das dann bringen?", fragt der ehemalige Mitarbeiter entmutigt. Viele hätten auch Angst vor Konsequenzen gehabt. Andere seien bis zum Ministerium durchgekommen, passiert sei aber nichts. Sie würden sich eine unabhängige Stelle wünschen, bei der man sich direkt beschweren könne.
"Solange es keine funktionierende Kommunikation und Transparenz gibt, werden wir keine Chance haben", so das Fazit eines Ex-Mitarbeiters. "Das Traurige ist, dass es gut laufen könnte." In den Justizvollzug will er nicht mehr zurück. Die Ermittlungen gegen inzwischen 16 Mitarbeitende der JVA Gablingen, darunter die suspendierte stellvertretende Leiterin, laufen. Bis zum Abschluss gilt die Unschuldsvermutung.
DISCLAIMER:
Liebe User,
Da wir der anwaltschaftlichen Vertretung der Beschuldigten die Möglichkeit geben wollten, auch angemessen zu den erweiterten Vorwürfen Stellung nehmen zu können, haben wir den Artikel kurzzeitig aus dem Netz genommen und jetzt aktualisiert wieder veröffentlicht.
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