Rund 200 Traktoren kreisten hupend am Mittwochabend um die Stadthalle Memmingen, um gegen die Politik der Bundesregierung zu protestieren. Längst geht es dabei nicht nur um die geplante schrittweise Abschaffung der Agrardiesel-Subventionen. Das zeigte sich auch in der Debatte bei "jetzt red i", die in der Stadthalle stattfand.
Beinahe jeder Landwirt beklagte die Menge der Vorschriften. Die "überbordende Bürokratie, die von Brüssel aus über Berlin bis nach München" gehe, sei schwer zu bewältigen, klagte etwa Philipp Jans aus Illertissen. Den Meister- oder Gehilfenbrief könne man wieder abgegeben, denn "das werde durch den Staat ersetzt", so Jans.
Praktikerrat soll Bürokratie bekämpfen
Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) stimmte zu: Die Bürokratie nehme ein Maß an, das nicht mehr gesund sei. Dagegen will sie mit einem neuen Gremium vorgehen: dem Praktikerrat. Landwirte, Umweltschutzvertreter und Politiker sollen dabei, so die Konzeption, zusammenarbeiten, um die Bürokratie im Agrarsektor abzubauen. Geleitet wird der Rat von Marcel Huber (CSU), dem ehemaligen bayerischen Umweltminister und Staatskanzleichef. Kaniber betonte: "Wir müssen vereinfachen und wir müssen auch digitalisieren." Für die bäuerlichen Daten soll es eine BayernCloud geben, mit der Anträge schneller abgearbeitet werden können.
Kaniber nennt Zustand der EU-Agrarpolitik "untragbar"
Der Bürokratieabbau muss jedoch auf allen Ebenen angegangen werden. Der Praktikerrat hat deshalb noch eine zweite Aufgabe: die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) der Europäischen Union weiterentwickeln. Deren Zustand nannte Kaniber "untragbar" und ergänzte: "Wir müssen diesen Reset-Knopf drücken." Die CSU-Ministerin zeigte sich zuversichtlich, dass das Bundesland Bayern etwas in der Brüsseler Politik verändern kann: Ein bayerischer Weg, der für die kleinstrukturierte Landwirtschaft gezeichnet wurde, habe immer Eingang in die Bundes- und EU-Politik gefunden.
Karl Bär (Grüne), Obmann im Agrarausschuss des Bundestages, gab sich offen für Vorschläge aus dem Rat. Wichtig ist ihm, dass Verantwortung nicht von Landes- auf Bundesebene und von dort auf EU-Ebene weitergeschoben wird. Vielmehr solle das Problem gemeinsam angegangen werden.
Bär prophezeit Ende der Flächenzahlungen auf EU-Ebene
Neben der Bürokratie kritisierten die Bürgerinnen und Bürger in der "jetzt red i"-Arena die Flächensubventionierung der EU. Bisher erhalten landwirtschaftliche Betriebe Geld pro Hektar bewirtschafteter Fläche. Großbetriebe profitieren also stärker als kleine Bauernhöfe. Barbara Altmann, die bei einer Naturkost-Firma in Memmingen arbeitet, kritisierte dieses Vorgehen als ein "Gießkannen-Prinzip". In den vergangenen 30 Jahren habe Bayern und die CSU zu wenig dagegen unternommen.
Dem widersprach Michaela Kaniber. In der Agrarministerkonferenz habe sie sich für eine Kappung der Direktzahlungen ab einer gewissen Höhe eingesetzt, dafür aber keine Mehrheit bekommen. Der Bundestagsabgeordneter Karl Bär prophezeite, dass es, wenn es ab 2027 eine neue Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) gebe, die Flächenzahlungen nicht mehr geben werde. Als Gründe nannte er den möglichen Beitritt der Ukraine, eines großen Flächenlandes, und die fehlende Fairness und Beliebtheit des Systems in der Bevölkerung.
Der Kampf um faire Preise
Viele Landwirte wünschen sich faire Preise für ihre Produkte, dann wären sie nicht mehr so abhängig von Subventionen. Besonders dem Handel wird vorgeworfen, die Preise zu drücken. Wolfang Puff, Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Bayern, widersprach. Er machte die milch- und fleischverarbeitenden Betriebe für den Preisdruck verantwortlich. Schließlich würden meist sie und nicht der Handel mit den Landwirten verhandeln. Auch bei den Kunden sieht er eine Verantwortung für die niedrigen Preise. "Am Regal endet die Moral", so Puff.
Bär wirbt für "Tierwohlcent"
Dieses Problem greift auch Karl Bär auf. Der Verbraucher sage, so Bär, dass er gerne mehr Geld für besseres, regionales Fleisch ausgebe, mache es aber de facto zu selten. Als Lösung warb der Agrarökonom für den "Tierwohlcent", den bereits sein Parteikollege Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) vorgeschlagen hatte. Die Verbraucher müssten dabei etwas mehr Geld für Fleisch, Milch und Butter bezahlen, das dann langfristige Verträge mit der Landwirtschaft und den tiergerechten Umbau der Ställe finanzieren soll. "Das wäre eine konkrete Idee, die auf dem Tisch liegt, die man in meinen Augen umsetzen sollte", so Bär.
Buh-Rufe gegen Tierrechts-Aktivistin
Beim Thema Tierwohl sprach Scarlett Treml, Aktivistin der Tieraktivistenbewegung "Animal Rebellion", die Anbindehaltung an. Laut Bayerischem Bauernverband (BBV) findet sich diese Haltungsform in rund der Hälfte der etwa 25.000 bayerischen Milchviehbetriebe. Das entspricht circa 30 Prozent der Kühe und 25 Prozent der Milchmenge.
Für Treml ist das Verbot der Anbindehaltung "längst überfällig. Das darf doch jetzt nicht auf dem Rücken der Tiere ausgetragen werden, dass Bayern und Deutschland seit Jahrzehnten schläft, was Innovationen angeht." Michaela Kaniber antwortete, dass die ganzjährige Anbindehaltung auslaufen werde. Allerdings will die Ministerin die Kombi-Haltung erhalten, bei der die Anbindehaltung mit einem Mindestmaß an Bewegung verbunden wird. Denn: "Wenn wir unsere Bauernschaft in Bayern jetzt verlieren, dann kommt das Fleisch und die Milch nämlich genau aus den Ländern, wo die Tierhaltung ganz andere Standards hat."
Weiterhin forderte Aktivistin Treml einen Ausbau der pflanzlichen Landwirtschaftsformen und eine Reduktion der Tierhaltung um mindestens 80 Prozent. Daraufhin erntete sie Buh-Rufe aus dem Publikum, Podiumsgast Karl Bär stimmte jedoch zu: "Ich glaube, das würde uns gesundheitlich und aus dem Aspekt des Umweltschutzes heraus sehr guttun, wenn wir insgesamt weniger Tiere essen würden." Eine konkrete Prozentzahl nannte er aber nicht.
Wie die Ernährung und Landwirtschaft der Zukunft aussehen wird, entscheidet sich in München, Berlin und Brüssel. Dass die Allgäuer Bauern nicht aufhören werden, für ihre Branche zu kämpfen, machten sie an diesem Tag deutlich. Mit dem Hupkonzert draußen, aber auch in der Halle. So bekräftigte Gerhard Trunzer aus Bad Grönenbach: "Ich werde auf jeden Fall meinen Hof weiterführen, so lange ich das für richtig halte und machen kann. Ich lass' mich da von der Politik nicht unterkriegen." Er blickt aber auch mit Sorgen in die Zukunft: "Die Frage ist, was die nächste Generation macht."
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