Ein Stadtbummel wird für Nadine wohl immer eine Herausforderung bleiben, denn sie ist kaufsüchtig. Die IT-Fachfrau ist verheiratet und Mutter. Das mit dem exzessiven Einkaufen hat vor Jahrzehnten begonnen. Die 48-Jährige erzählt: "Was mir gefallen hat, das habe ich gekauft. Das Geld ist zwar nicht mehr auf dem Konto, man rutscht ins Minus aber die Bank akzeptiert es und wenn es nicht mehr geht dann bekommt man halt wieder einen Kredit."
- Zum Artikel: Das Suchtpotential des Menschen
Heimlichkeiten und Schulden
Egal ob Wohnaccessoires, Klamotten für die Kinder oder für sich selbst - obwohl sie gut verdient, rutschte sie durch ihre Einkäufe ständig in die Schulden. Nadine hat zwischendurch immer wieder mal gemerkt, dass das ja nicht normal sein könne, aber sie habe sich das schöngeredet.
"Ich habe heimlich einen Kredit aufgenommen über 10.000 Euro und das hat mein Mann rausbekommen. Heute bin ich froh drüber. Aber erst da hat es klick gemacht!" Nadine
Kauf-Shopping-Störung
Die Wissenschaftler gehen derzeit davon aus, dass knapp fünf Prozent der Menschen in Deutschland kaufsuchtgefährdet sind – Tendenz steigend. Die sogenannte Kauf-Shopping-Störung ist inzwischen die am häufigsten auftretende Verhaltenssucht, so Dr. Katharina Georgiadou. Die leitende Psychologin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Nürnberger Klinikum betreut kaufsüchtige Patientinnen und Patienten - die sich ihrer Erfahrung nach meist viel zu spät Hilfe suchen.
Einkaufen lässt sich nicht vermeiden
Deren Leidensweg sei oft sehr lang und beherrscht von Scham, Heimlichkeiten und finanziellem Druck. Das Problem bei der Therapie: In unserer Konsumgesellschaft ist das Einkaufen nicht zu vermeiden und das rund um die Uhr verfügbare Internet ist voller Kaufanreize und Finanzierungsangebote – das erhöhe das Risiko kaufsüchtig zu werden, so die Einschätzung der Psychologin.
Hoher Leidensdruck
Und der Leidensdruck bei den Patienten sei hoch. Dabei sei das Kaufen anfangs ja schön und mit angenehmen Gefühlen verbunden. Es gibt Komplimente von Kollegen oder Freundinnen – oder man hat das tollste Werkzeug als Nachbar, erklärt Dr. Katherina Georgiadou.
"Aber obwohl ich mir vornehme nicht zu kaufen, schaffe ich es nicht. Ich muss ständig etwas verheimlichen – das belastet natürlich die Patienten." Dr. Katherina Georgiadou, leitende Psychologin am Klinikum Nürnberg
Internet als Risikofaktor
Und wie bei vielen ihrer Leidensgenossen war auch Nadine die dauernde Verfügbarkeit des Internets zum Verhängnis geworden – ein zunehmendes Problem vor allem für jüngere Kaufsüchtige, so Dr. Katahrina Georgiadou. "Wenn Sie nachts nicht schlafen können oder sich einsam fühlen, dann können Sie anonym auf den Seiten browsen und bestellen. Und dann gibt’s da auch nochmal ganz andere Zahlungsoptionen, wie das Zahlen auf Rechnung, Kredite, Ratenzahlungen – all das verführt zum übermäßigen Kaufen."
Mentaler Werkzeugkoffer
Die exzessive Nutzung des Internets sei sicherlich auch ein Grund, warum die Menschen mit einer Kauf-Shopping-Störung immer jünger werden. Bei der Therapie geht es darum, dass die Patienten, die übrigens immer jünger werden, verstehen, dass Konsum keine existentiellen Bedürfnisse befriedigen kann. Mit Einzelgesprächen, Gruppentherapie und auch mal mit betreutem Einkaufen wird ein mentaler Werkzeugkoffer zusammengestellt, der helfen soll, den Kaufattacken zu widerstehen. Denn die Kauf-Shopping-Störung begleitet die Patienten ihr Leben lang.
Das Ziel: nicht kaufen
Bei Nadine gibt es seit der Therapie keine Heimlichkeiten mehr. Und wenn sie beim Stadtbummel etwas sieht, was ihr gefällt – kann sie es jetzt einfach "nicht kaufen" – und das ist für sie ein Sieg.
Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.
"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!