Psychische Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen haben viele Ursachen – und sie sind keine Seltenheit. Laut der Bundes-Psychotherapeuten-Kammer erkrankt fast jeder fünfte unter 18-Jährige innerhalb eines Jahres an einer psychischen Störung. Besonders bei 15- bis 18-Jährigen nehmen Depressionen, psychosomatische Beschwerden und Suchterkrankungen, etwa durch Alkohol, Drogen oder Computerspiele, deutlich zu.
Der Bedarf an Therapieplätzen ist also hoch. Doch die aktuelle Bedarfsplanung reicht nicht aus, um eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen – weder in der Stadt noch auf dem Land. Das kritisiert auch Nicole Nagel, Vizepräsidentin der Psychotherapeuten-Kammer Bayern, im Interview mit BR24.
Veraltete Bedarfsplanung nicht mehr zeitgemäß
Die Bedarfsplanung sei laut Nagel immer schon zu knapp bemessen gewesen. Zudem sei ein großes Problem, dass die Kinder und Jugendlichen keine eigene Bedarfsplanung haben, also mit unter die Erwachsenenplanung fallen. Beispielhaft gilt der Planungsbereich Regensburg nach aktuellem Versorgungsatlas hinsichtlich der kassenärztlichen Psychotherapeuten laut KVB mit knapp 162 Prozent als "überversorgt".
In Regensburg müssen Jugendliche im Schnitt rund sieben Monate auf einen festen Therapieplatz warten, sagt der Psychotherapeut Simon Meier von der Erziehungsberatungsstelle der KJF. Ein Erstgespräch sei meist schneller möglich, doch bis die eigentliche Therapie beginne, sei es oft eine belastende Zeit. Eine Reform der Bedarfsplanung sollte mit einem neuen Gesetz angestoßen werden – doch durch das Ende der Ampel-Regierung verzögert sich das Vorhaben vorerst.
Im Video: Warum psychisch kranke Kinder und Jugendliche monatelang auf einen Therapieplatz warten
Monatelange Wartezeiten: Warum es in Bayern so schwierig ist, einen Therapieplatz für Kinder und Jugendliche zu finden
Für Jugendliche ist ein halbes Jahr verhältnismäßig ein Brocken
Der Psychotherapeut Simon Meier warnt: Bei Jugendlichen zählt jeder Tag. Das Gehirn ist in dieser Lebensphase noch stark formbar, und je früher eine Therapie beginnt, desto besser die Heilungschancen. "Vier Wochen mehr oder weniger können über den Therapieerfolg entscheiden. Man kann nicht einfach sagen: Wir haben gerade keine Plätze." Wartezeiten von sieben oder acht Monaten seien für Jugendliche eine enorme Belastung, so Meier im Gespräch mit BR24. In der KJF-Erziehungsberatungsstelle in Regensburg versucht man deshalb, mit einem niederschwelligen Beratungsangebot die Zeit bis zum festen Therapieplatz zu überbrücken.
Mentale Gesundheit und das Stigma auf dem Land
Auch Linus aus Nabburg in der Oberpfalz beschreibt die Suche nach einem Therapieplatz als „zehrend“. Im Interview mit BR24 erzählt er, wie er mit mittelschweren Depressionen kämpfte und wie frustrierend es war, keine schnelle Hilfe zu finden. Besonders auf dem Land sei das Stigma rund um psychische Erkrankungen noch spürbar – und die oft schwierige Suche nach einem Therapieplatz führe dazu, dass einige seiner Freunde die Hoffnung aufgegeben haben. Ob Linus inzwischen mit seiner Mutter den passenden Therapeuten gefunden hat und welche Ersthilfemöglichkeiten es gibt, ist oben im Video zu finden.
Sie suchen Hilfe? Unter der kostenlosen Telefonnummer 0800 / 655 3000 können sich Betroffene von psychischen Krisen rund um die Uhr an die Krisendienste Bayern wenden.
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