Als die 17 Jahre alte Melisa Kasikcioğlu ins Mikro spricht, ist ihr keine Nervosität anzumerken. Mehr als 1.000 Menschen auf dem Kitzinger Marktplatz hören ihr zu. Die Jüngsten sitzen im Kinderwagen, eine ältere Dame stützt sich auf eine Krücke. Sie sind gekommen, weil sie sich vor einem Erstarken des Rechtsextremismus fürchten. "Wir können nicht mehr länger warten und wegschauen", sagt Melisa Kasikcioğlu. Zum ersten Mal spricht sie vor so vielen Menschen. Innerhalb weniger Tage haben sie und ihre Mitstreiter in der kleinen Kreisstadt eine der größten Demos der vergangenen Jahre organisiert.
18-Jährige meldet Demo an
Sechs Leute waren sie zu Beginn, sagt die 18-jährige Cora Völker. Sie alle besuchen die zwölfte Jahrgangsstufe des Kitzinger Armin-Knab-Gymnasiums. Nach den Veröffentlichungen der Rechercheplattform "Correctiv" zu einem Geheimtreffen, bei dem rechte Akteure über die Vertreibung von Millionen Menschen mit Migrationshintergrund berieten, wollten die Schülerinnen und Schüler selbst aktiv werden. Sie meldeten eine Versammlung an. Dabei dachten sie ursprünglich an 50 Leute. Doch in den sozialen Netzwerken verbreitete sich der Aufruf schnell.
"Die größte Herausforderung war, dass wir gar nicht einschätzen konnten, wie viele Leute kommen", sagt Cora Völker. Ein paar von ihnen waren an Aktionen von "Fridays for Future" beteiligt, andere engagieren sich bei einem queeren Jugendtreff. Ein wenig Erfahrung mit Demos bringen sie mit. Doch eine Versammlung selbst anmelden und in dieser Größe organisieren, das war neu für sie, sagt Cora Völker.
1.100 statt 50 Demo-Teilnehmer
Anstelle von 50 sind nach Polizeiangaben letztlich knapp 1.100 Menschen gekommen. Um einen reibungslosen Ablauf der Demo sicherzustellen, helfen einzelne Lehrkräfte als Ordner aus. Im Vorfeld hatte sogar die Schule den Demo-Aufruf geteilt. "Wir unterstützen die geplante Demonstration für die freiheitliche Demokratie und gegen Rechtsextremismus", schrieb das Gymnasium auf Instagram.
"Schule sollte gemäßigt sein, aber doch kritisch", sagte Geschichtslehrer Bastian Fleck am Rande der Demo. Es sei auch als Bildungseinrichtung wichtig, für Demokratie einzutreten. Er sei stolz, wenn sich Schülerinnen und Schüler derart engagieren.
Zur Bildergalerie: Demo gegen Rechtsextremismus in Kitzingen
Große Proteste abseits der Metropolen
Eine Aussage, die an diesem Nachmittag in ähnlicher Form häufig zu hören ist. "Junge Menschen werden oft ein bisschen in Zweifel gezogen, in ihrem Engagement für die Gesellschaft. Das hier zeigt das Gegenteil – und das ist schön", sagt zum Beispiel der 69-jährige Ottmar Kuball, der zusammen mit seiner Frau gekommen ist. Er empfinde es als Glück, in einer Demokratie zu leben.
Mehrere Teilnehmer in Kitzingen sagen: Dieses Glück wollen sie nicht mehr als gegeben wahrnehmen. Wenn die Proteste dann noch vor der eigenen Haustüre stattfinden, sei das umso besser. Am Samstag gab es erneut in mehreren bayerischen Städten Proteste: in Ingolstadt und Schweinfurt, aber auch in Dillingen oder Traunstein – mit jeweils vierstelligen Teilnehmerzahlen.
Weitere Aktion in Kitzingen geplant
Melisa Kasikcioğlu und Cora Völker fällt es kurz nach Ende der Demo in Kitzingen noch schwer, das Erlebte einzuordnen. Sie sind überwältigt von den vielen positiven Rückmeldungen. "Aus meiner Heimatstadt so viele Menschen zu sehen, an meiner Seite. Ich hätte es nicht besser erwarten können", sagt Melisa Kasikcioğlu.
Bereits am kommenden Wochenende soll es in Kitzingen wieder eine Demonstration gegen Rechtsextremismus geben. Dann allerdings organisiert von einem Bündnis anderer Gruppen. Das war bereits vor diesem Wochenende so geplant.
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