Ein Blick ins Krankenhaus Schongau. Dienstagvormittag in der neuen Notfallambulanz: Der Piepser schlägt an. Nach einem kurzen Telefonat sprintet Notarzt Dr. Steven Schmidt zum Eingang der Klinik, wo der Rettungswagen schon bereitsteht. Das Ziel: ein Supermarkt in der Stadt. Eine ältere Dame ist beim Einkaufen gestürzt und hat sich am Steißbein verletzt. Verdacht auf eine Fraktur. Eine halbe Stunde später liegt die Patientin unterm Röntgengerät und wird von einem Spezialisten untersucht.
Mal Anästhesist, mal Notarzt
Normalerweise ist Notarzt Schmidt Oberarzt der Anästhesie in Schongau. Mit der Umstrukturierung des Hauses haben sich seine Aufgaben verlagert. Schichtweise sind seine Kenntnisse als Notarzt gefragt, dann ist er wieder als Anästhesist im Tagesdienst im OP tätig. Was sich geändert hat: Er hat keine Nachtschichten mehr. Die Ambulanz ist Montag bis Freitag von 8.00 bis 18.00 Uhr besetzt. Wer am Wochenende oder in der Nacht einen Notarzt braucht, wird ins Krankenhaus Weilheim oder nach Füssen, Kaufbeuren oder Landsberg gebracht.
Umstrukturierung positiv gestartet
Was aus der Not geboren wurde, weil der Landkreis die riesigen Defizite von zwei Krankenhäusern nicht mehr stemmen kann, läuft jetzt mit der Hoffnung auf bessere Wirtschaftsergebnisse seit Anfang März. Anfang Mai wurde die Klinik am Tag der offenen Tür regelrecht überrannt.
"Die Umstrukturierung läuft sehr positiv an", sagt der Mediziner. "Das MVZ wird inzwischen sehr positiv von der Bevölkerung angenommen." 2.000 Menschen waren aus Schongau, Peiting und der Umgebung gekommen, um zu sehen, was aus ihrem Krankenhaus geworden ist.
Nachteil: Die "schwebende Situation"
Was nach den Worten dieses Arztes sehr gut anläuft, hat einen Haken. Es ist die "schwebende Situation" dieses ehemaligen Krankenhauses sowie aller Krankenhäuser in Bayern und in Deutschland. Schmidt benennt die Hausaufgaben des Gesundheitsministers in Berlin so: "Das Problem ist nach wie vor, dass die Finanzierung unseres Medizinischen Versorgungszentrums nicht gesichert ist, um dieses Mindestangebot für die umliegende Bevölkerung langfristig halten zu können."
Es fehlen klare Finanzierungszusagen
Sein Finanz-Chef, der stellvertretende Geschäftsführer Claus Rauschmeier, formuliert es noch klarer: "Wir sind diesen Weg der Umstrukturierung gegangen ohne klare Finanzierungszusagen von der großen Politik." Diese Zusagen brauche Schongau und bräuchten alle Krankenhäuser sofort, sagt der Prokurist, der für die Zahlen und das Budget gegenüber dem Kreistag mit verantwortlich ist. "Wir brauchen dringend die Zeichen, wie diese neuen sektorenübergreifenden Versorger finanziert werden." Inzwischen kommen andere Häuser in Bayern zu ihm und erkundigen sich nach dem Schongauer Modell.
Künftig ohne Intensivstation
Neben der Notfall-Ambulanz haben erste Fachärzte ihre Praxen für Orthopädie, Viszeralchirurgie oder Röntgen-Spezialisten im ehemaligen Krankenhaus eingerichtet. Mit 40 Betten wird eine Station zur Nachbehandlung kleinerer Operationen oder für geriatrische Patienten aufrechterhalten. Was es nicht mehr gibt, sind die Intensivstation und der Rundum-Service eines 24-Stunden-Krankenhauses. Die Geburtsstation wurde bereits vor einem Jahr geschlossen. Der Preis der Umgestaltung ist für die Bevölkerung und den Landkreis Weilheim-Schongau als Träger hoch. 200 Mitarbeitende mussten das Krankenhaus verlassen. Sie mussten ihre Arbeit, bisweilen auch ihr Zuhause, in andere Städte verlagern.
Hohe Ausgaben für den Landkreis
Die Umstrukturierung von beiden Krankenhäusern kostet den Landkreis in diesem Jahr 27 Millionen Euro, in den kommenden Jahren 14 bis 15 Millionen. Nur zähneknirschend haben manche Bürgermeister dem Kreishaushalt – und damit auch der Finanzgrundlage für das MVZ in Schongau zugestimmt. "Wir haben den richtigen Weg eingeschlagen", ist Claus Rauschmeier überzeugt, "die Stimmung bei den Mitarbeitenden hat sich wieder deutlich aufgehellt". Er hofft, dass sich die Veränderungen jetzt auch in den Zahlen niederschlagen. Allein die Veränderung der 24/7-Notfallstation in eine Notfall-Ambulanz spart im Jahr etwa eine Million Euro, rechnet er vor. Viel Geld, das aber dennoch nicht reiche, um Schongau langfristig zu sichern.
Das MVZ Schongau als Modell
Der Zuspruch ist da. Die Bevölkerung nimmt die neuen Angebote in ihrem früheren Krankenhaus immer stärker an, das jetzt "SOGesund" heißt (SOG ist das Auto-Kennzeichen von Schongau). Einzig einige niedergelassene Ärzte haben kritisiert, dass hier mit öffentlichen Geldern eine Gesundheitsversorgung mitfinanziert wird, die anderen Ärzten und ihren Praxen in der Stadt nicht zur Verfügung steht. Auf die Dauer wird das aber bei der rapide abnehmenden Zahl an Fachärzten - ein Drittel der Ärzte in Deutschland gehören der Boomergeneration der Jahrgänge 1960 bis 1965 an - keine Rolle spielen.
Wenn die Politik in Berlin die Weichen stellt, könnte die Grundversorgung, die das MVZ in Schongau jetzt leistet, auch ein Modell für die abnehmende Ärztezahl auf dem Land in Bayern werden.
Im Video: BR24live – Krankenhausreform und was sie für Bayern bedeutet
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