Schlangen wie Kreuzottern stehen auf der Beliebtheitsskala vieler Menschen nicht unbedingt ganz oben. Im östlichen Bayerischen Wald kommen die gefährdeten Schlangen noch vergleichsweise oft vor. Damit Begegnungen von Mensch und Tier für beide Seiten harmlos bleiben, kann künftig die Feuerwehr eingreifen und auch beibringen, wie der richtige Umgang klappt.
Keine gewöhnliche Feuerwehrübung
Eine Feuerwehrübung wie diese haben Max Herbst und Jakob Zellner noch nie erlebt. In der Gerätehalle in Haidmühle packt neben dem knallroten Löschfahrzeug Paul Hien seine Utensilien für das Fangen der Kreuzotter aus. Dicke Handschuhe mit langen Stulpen, Kescher mit schwarzem Stoffsack und Teleskopstangen mit einem gebogenen Haken ganz vorne.
"Die Werkzeuge habe ich zum Kobra-Fangen entwickelt", sagt der Reptilienexperte. Er verzieht dabei keine Mine, die beiden Nachwuchsfeuerwehrler wissen nicht: macht Paul Hien einen Scherz oder meint er das ernst? Die Leinensäckchen, die er dann aus einer Plastikbox holt, deuten drauf hin, dass Hien keinen Spaß gemacht hat. Sie bewegen sich leicht!
Ringelnatter als Versuchsobjekt
Vorsichtig löst Paul Hien den Knoten an einem der Leinensäckchen, dreht es um und eine Schlange purzelt heraus. Sofort schlängelt sich das Reptil durch das Feuerwehrhaus. Instinktiv weichen die Beobachter zurück, doch Paul Hien hält das Tier mit seinem Schlangenhaken in Schach, ehe er es mit den Händen packt. "Die Handschuhe habe ich nur deswegen an, weil diese Schlange ein stinkendes Sekret absondern kann", erklärt er.
Max und Jakob wissen, es handelt sich um eine Ringelnatter. Unübersehbar die beiden gelben, halbmondförmigen Flecken am Kopf. "Und wenn ihr euch die Augen anschaut: Ringelnattern haben immer runde Pupillen", erklärt der Reptilienexperte. Die Schlange beruhigt sich, Paul Hien lässt sie durch seine Hände kriechen. "Wenn ihr eine Schlange immer von unten nehmt, fühlt sie sich nicht bedroht und beißt nicht. Natürlich darf man sie auch nicht festhalten."
Nervös bei den ersten Fangversuchen
Jetzt sind Max und Jakob gefordert: Sie sollen allein mit Schlangenhaken und Kescher die flinke Ringelnatter einfangen. "Ja, a bissl nervös bin ich schon", gibt Max zu. Aber er und sein Feuerwehrkamerad sind geschickt und Paul Hien braucht nur wenig zu korrigieren. Es klappt, die Ringelnatter ist zunächst am Haken und gleich drauf im Kescher. Das Tier übersteht die Prozedur problemlos, doch jetzt wird es ernst, denn es geht an die Kreuzotter.
Großen Respekt vor der Kreuzotter
Im nächsten Säckchen, das Paul Hien öffnet, ist eine im Vergleich zur Ringelnatter zwar wesentlich kleinere Schlange, die aber ist keineswegs harmlos: Die Kreuzotter. Höchstens 60 Zentimeter lang, kaum schwerer als 50 Gramm und fast regungslos. Zusammengerollt bleibt die Schlange auf dem glatten Boden der Gerätehalle liegen.
Max und Jakob verlieren ein wenig ihre Scheu und betrachten die schwarze Schlange aus der Nähe. "Wenn man nicht von oben an sie ranfasst, wird die nicht beißen", erklärt Paul Hien. Dann demonstriert er, was passiert, wenn man die Kreuzotter reizt: Blitzschnell schnellt ihr Kopf nach vorne. "Meistens führt die Schlange erst Scheinbisse aus. Und sie faucht, damit will sie mich vertreiben." Sobald Paul Hien das Tier dann wieder von unten nimmt, bleibt es entspannt. Max und Jakob können die Kreuzotter betrachten, im Unterschied zur Ringelnatter bilden ihre Pupillen einen senkrechten Schlitz. Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal!
Nach Kreuzotter-Biss unbedingt ins Krankenhaus
Und Paul Hien warnt: "Man darf einen Kreuzotterbiss nie verharmlosen! In jedem Fall muss man ins Krankenhaus, denn es kann eine Blutvergiftung geben. Und der Biss ist in der Regel extrem schmerzhaft und es kann zum Kreislaufversagen kommen." Tatsächlich gilt das Gift der Kreuzotter in seiner Zusammensetzung als weit gefährlicher als das einer Klapperschlange. Aber die einheimischen Giftschlangen sind deutlich kleiner und haben deswegen ein kleineres Gift-Reservoire.
Kreuzotter muss geschützt werden
Nach den ersten Fangversuchen mit der Ringelnatter sind die Jungfeuerwehrler Max und Jakob auch im Umgang mit der Kreuzotter ähnlich geschickt. Aufmerksam beobachtet von Paul Hien, lassen sie das Tier auf ihren Schlangenhaken kriechen, bugsieren es dann erst in ihren Kescher und schließlich in die Transportboxen. Es ist eine Übung, deswegen darf die Schlange auch gleich wieder zurück in ihr Terrarium. Paul Hien ist zufrieden. Und die beiden jungen Feuerwehrkameraden? "Mit ein bisschen Übung geht’s eigentlich ganz gut", ist Max Herbst erleichtert. Jakob Zellner nickt zustimmend: "Wir wissen ja jetzt, worauf es ankommt."
Feuerwehr soll selbst eingreifen können
Die beiden jungen Feuerwehrler sollen in ihrer Heimat in Zukunft immer dann eingreifen, wenn sich Schlange und Mensch begegnen. "Im Herbst kann es schon sein, dass die Tiere unter Fundamente alter Häuser kriechen und so in Keller kommen", erklärt Paul Hien. "Und jetzt während der Paarungszeit zeigen sich die Männchen gerne. Dann kann es passieren, dass Kreuzottern mal in einen Kellerschacht fallen oder sich in Gärten sonnen. Bevor sie dann mit einer Schaufel erschlagen werden, können die Leute jetzt die Feuerwehr holen. Die beiden Jungs wissen, wie man mit den Tieren umgeht und sie können auch mich jederzeit fragen." So leisten die Jungfeuerwehrler aus Haidmühle einen wichtigen Beitrag zum Schutz der bedrohten Kreuzotter.
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