Schnee fällt, es hat Temperaturen um die 0 Grad. Flossenbürg zeigt sich an diesem Sonntag für Leon Weintraub genau wie in den Wochen, die er hier vor 79 Jahren verbracht hat. Jedes Mal, wenn er auf dem Appellplatz steht, erfasse ihn eine Vibration vom Boden aus, er schließe die Augen und sei wieder Häftling, erzählt der schmächtige 98-Jährige, der heute in Stockholm lebt. Flossenbürg bedeutete für ihn nur "Kälte, nochmals Kälte, Hunger und Tod".
Dennoch ist er zum dritten Mal zurückgekommen, an den Ort seines größten Grauens. Um Leidensgenossen zu treffen. Vor allem aber, um die ermordeten Mitgefangenen zu würdigen und zu ehren, sagt er.
Befreiung des KZ durch US-Armee
Die US-Armee ist mit einer Flaggenabordnung der 41st Field Artillery Brigade gekommen, der Partnereinheit von Flossenbürg in Grafenwöhr. Auch heute steht ein Jeep der US Army aus dem Zweiten Weltkrieg vor der ehemaligen SS-Kommandantur. Ein Symbol für den Befreiungstag des KZ durch die US-Armee, den insgesamt vier Überlebende an diesem Sonntag mit ihren Angehörigen, mit Politikern, Geistlichen und vielen anderen Gästen feiern.
Heimat- und Finanzminister Albert Füracker (CSU) betont, es sei heute notwendiger denn je, sich die Lehren aus der Vergangenheit bewusst zu machen. Es gebe immer weniger Zeitzeugen. Antisemitismus und Extremismus würden erstarken. Vor allem jungen Generationen aller gesellschaftlicher Schichten und unterschiedlicher kultureller Herkunft sollten daher ein tiefes Geschichtsverständnis und die realen Gräuel des Dritten Reiches vermittelt bekommen.
So viele Menschen wie noch nie bei Gedenken
Zum Gedenkakt sind über 600 Menschen gekommen – so viele, wie noch nie. Nach den Reden finden sie sich auf dem ehemaligen Appellplatz zusammen. Vor vielen Blumenkränzen gibt es eine Schweigeminute. Vertreter der unterschiedlichen Glaubensrichtungen sprechen ein Gebet, denn eine Urne wird bestattet.
Vor wenigen Monaten wurden bei Bauarbeiten im Umfeld der Massengräber menschliche Überreste gefunden, die nicht zugeordnet werden können. In diesem feierlichen Rahmen haben sie nun ihre letzte Ruhe im "Tal des Todes" gefunden.
30.000 Menschen starben in Flossenbürg
Das Konzentrationslager Flossenbürg wurde am 23. April 1945 von US-amerikanischen Truppen befreit. Bei ihrer Ankunft fanden Angehörige der 90. US-Infanteriedivision der 3. US-Armee noch etwa 1.500 schwerkranke und geschwächte Häftlinge im Lager vor. Wenige Tage vor Ankunft der US-Amerikaner hatte die SS ungefähr 15.000 Häftlinge des Stammlagers Flossenbürg auf sogenannten Todesmärschen in Richtung Süden getrieben.
Insgesamt waren 100.000 Häftlinge im Stammlager in Flossenbürg und seinen Außenlagern inhaftiert, darunter 16.000 Frauen. 30.000 Menschen überlebten den Terror der nationalsozialistischen Diktatur in Flossenbürg nicht.
Leon Weintraub hat überlebt. Ganz bewusst hat er den Beruf des Gynäkologen gewählt und Tausenden Kindern auf die Welt geholfen. "Nachdem ich so viel mit dem Tod in Berührung war, wollte ich zum Leben helfen", sagt der 98-Jährige.
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