Schon vor Prozessbeginn kämpfte der Angeklagte (Gesicht gepixelt) mit den Tränen.
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Schon vor Prozessbeginn kämpfte der Angeklagte mit den Tränen.

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Lokführer nach S-Bahn-Unglück: "Es tut mir alles so leid"

Lokführer nach S-Bahn-Unglück: "Es tut mir alles so leid"

Zwei Jahre nach dem S-Bahn-Unglück in Schäftlarn hat in München der Prozess gegen einen Lokführer begonnen. Es tue ihm alles so leid, sagte der 56-Jährige unter Tränen. In Schäftlarn erinnern sich die Menschen mit Schaudern an den Tag des Unglücks.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Oberbayern am .

Mit einer emotionalen Entschuldigung hat zwei Jahre nach dem tödlichen S-Bahn-Unglück in Schäftlarn (Landkreis München) am Münchner Amtsgericht der Prozess gegen einen 56-jährigen Triebwagenführer begonnen. Bei dem Unglück am Valentinstag 2022 waren zwei S-Bahnen zusammengestoßen. Ein 24 Jahre alter Mann kam ums Leben, Dutzende Menschen wurden teils schwer verletzt – darunter auch der Angeklagte und sein Kollege aus der entgegenkommenden S-Bahn.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Mann neben fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung in 51 Fällen auch vorsätzliche Gefährdung des Bahnverkehrs vor. Der Lokführer hatte den Ermittlungen zufolge Signale missachtet. Er soll sich über Zwangsbremsungen hinweggesetzt und ein Haltesignal nicht beachtet haben.

"Unerklärlich, dass ich solche Fehler gemacht habe"

Er könne sich nicht an den Unfall erinnern, sagte der Angeklagte, der immer wieder mit den Tränen kämpfte und tief durchatmen musste, bei der Befragung durch die Richterin. Es sei ihm "unerklärlich, dass ich solche Fehler gemacht habe", sagte er. "Es war eigentlich eine ganz normale Tagschicht." Dass er eine automatische Zwangsbremsung ausgehebelt habe, ohne vorher die Zustimmung des Fahrdienstleiters einzuholen, sei falsch gewesen, sagte der Angeklagte. "Es tut mir alles so leid", sagte er unter Tränen. Er wünschte, er könne alles ungeschehen machen. Seine Erinnerung setze erst wieder ein, als er im Krankenhaus nach der OP wach geworden sei und ihm zwei Polizisten gesagt hätten, was passiert sei.

Vor der Befragung hatten die Anwälte eine Erklärung des 56-Jährigen verlesen. Ihr Mandant gestehe sein Fehlverhalten, so wie es der Sachverständige ermittelt hat, ein. Denn: Eine Alternativursache sei für ihn nicht ersichtlich. Der Unfall habe ihrem Mandanten psychisch stark zugesetzt, er habe einen Selbstmordversuch hinter sich und sei immer noch in psychologischer Behandlung. Aber jetzt wolle er sich öffentlich dieser Verantwortung, die er habe, stellen.

Beruf Lokführer war Kindheitstraum des Angeklagten

Der gelernte Dreher hatte erst ein dreiviertel Jahr vor dem Unfall die Prüfung zum Triebfahrzeugführer abgelegt. Damit habe sich ein Kindheitstraum erfüllt, sagte der Mann. "Es war mein großer Traum, schon als kleiner Junge: Lokführer – und dass mir dann so was passiert", sagte der 56-Jährige im Prozess. Er ist nicht mehr bei der Deutschen Bahn beschäftigt; seit Januar trägt er Post aus. Die Strecke nach Wolfratshausen, auf der sich der Unfall ereignete und die als nicht ganz einfach gilt, sei sogar Prüfungsstrecke gewesen. Gelegentlich habe er wegen Tempoüberschreitungen Zwangsbremsungen bekommen, jedoch nie auf einer eingleisigen Strecke; nie habe er ein rotes Haltesignal missachtet, erklärte der Angeklagte.

Ein Ausbilder schilderte ihn als "Musterschüler". Er habe eine "Bilderbuchausbildung" absolviert. Ein Vorgesetzter nannte ihn unauffällig und "pflichtbewusst". Der Mann habe zwölf Einträge wegen Zwangsbremsungen gehabt, das sei eher unterdurchschnittlich. Warum der Mann dann an jenem Montag im Februar 2022 gleich mehrfach hintereinander gegen Regeln verstieß, bleibt auch am ersten Prozesstag vor Gericht ein Rätsel. Wie vor Gericht ausgeführt wurde, war der Angeklagte vor dem Unfall auch nicht durch ein Handy oder etwas anderes abgelenkt gewesen.

"Bin sicher, Du hast es nicht absichtlich gemacht"

Sein Kollege aus der entgegenkommenden S-Bahn berichtete vor Gericht, er habe bei dem Unglück – einen Tag vor seinem 22. Geburtstag – 14 Knochenbrüche erlitten, darunter acht Wirbelbrüche. Es gehe ihm wieder gut, er leide nicht mehr unter Folgen. Allerdings fahre er nur noch auf Teilzeit. Er habe ein Studium begonnen. "Ich will mir eine Alternative aufbauen." Es könne ja etwas geschehen, sodass man die Arbeit nicht mehr machen könne. Auf die direkt an ihn gerichtete Entschuldigung seines ehemaligen Kollegen sagt er freundlich: "Ich bin sicher, Du hast es nicht absichtlich gemacht."

Der Anklage zufolge hatte der Mann am Unglückstag den Zug mit der Nummer 6785 gefahren und sich zunächst vor dem Bahnhof Schäftlarn-Ebenhausen über eine Zwangsbremsung wegen zu hohen Tempos hinweggesetzt. Nach dem Ein- und Aussteigen der Fahrgäste soll er trotz eines roten Haltesignals losgefahren sein – und dann auch noch die darauffolgende erneute automatische Zwangsbremsung ausgehebelt sowie auf 67 Kilometer pro Stunde beschleunigt haben.

Zusammenstoß trotz Schnellbremsung

Zeitgleich war auf der eingleisigen Strecke die verspätete S-Bahn mit der Zugnummer 6776 aus München unterwegs. Deren Lokführer erhielt ebenfalls Rot, leitete eine Schnellbremsung ein. Sein Zug kam nach zusätzlicher Zwangsbremsung zum Stehen. Der junge Lokführer ruft den Fahrdienstleiter an – da taucht aus der Kurve die S-Bahn des Angeklagten auf. "Sch... da kommt ein Zug", ruft er in den Hörer, versucht beiseite zu springen. Der angeklagte Lokführer leitet noch eine Schnellbremsung ein, doch das reicht nicht mehr.

Der Aufprall war massiv. Die beiden Triebwagen verkeilten sich ineinander, Schienen verschoben sich. Die Waggons wurden teilweise von den Gleisen geschleudert und blieben an einer Böschung hängen.

Für den Prozess sind vorerst drei Verhandlungstage angesetzt. Das Urteil soll Anfang März fallen.

Traumatischer Tag für Schäftlarn

Theresa Kastenmüller von der Bäckerei "Ebenhausener Backstub'n" hat den Unfall damals aus nächster Nähe mitbekommen – für sie war das ein einschneidendes Erlebnis, wie sie im Gespräch mit BR24 erzählt. "Ich war direkt im Laden nebenan am Arbeiten und habe diesen Aufprall gehört. Ich habe dann noch gesehen, wie die Oberleitung wackelt." Schon da sei ihr klar gewesen, dass etwas Ungewöhnliches passiert sein musste. "Wir haben dann nachgeschaut, was da los ist."

Der Unglücksort habe schlimm ausgeschaut, und kurz darauf seien bereits die ersten Leute aus der S-Bahn vor in ihren Laden gekommen. "Die haben wir erstmal bei uns aufgenommen, haben ihnen etwas zu trinken angeboten und sie hinsetzen lassen, damit sie ihren ersten Schock erstmal verdauen konnten." Danach hätten sie von der Bäckerei die Helferinnen und Helfer von THW und Feuerwehr mit Essen und Getränken versorgt, erinnert sich Theresa Kastenmüller.

Vom Prozessbeginn habe sie aus der Zeitung erfahren. Generell sei das Unglück zuletzt auch immer wieder bei den Kunden aufgekommen. Besonders am Jahrestag, der vergangene Woche war, hätten viele sie darauf angesprochen. "Mir läuft es immer noch kalt den Buckel runter, wenn ich daran zurückdenke. Es war ein traumatischer Tag, muss ich ehrlich sagen."

Mit Material von dpa

Der wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagte Mann (Mitte, Gesicht verpixelt) steht vor Prozessbeginn mit seinen Anwälten Stephan Beukelmann (r) und Mariana Sacher im Gerichtssaal.
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Der Angeklagte spricht vor Prozessbeginn mit seinen Anwälten_

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