Ministerpräsident Dr. Markus Söder (rechts) am Steuer eines Elektrobusses
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Ministerpräsident Dr. Markus Söder (rechts) am Steuer eines Elektrobusses

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Markus Söder: Sichtbar, aber schwer zu finden

Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef liefert gerade ein Wahnsinns-Pensum ab. Aus dem "Immer-da-Söder" ist der Fast-überall-Söder geworden. Nicht ganz so sichtbar sind seine Ideen für Bayern. Ein Porträt.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Wo ist Markus Söder? Er müsste hier sein, im Gedränge zwischen einem schwarzen Diesellok-Ungetüm von 1940 und dem eleganten Personenschnellzug "Fliegender Hamburger", Baujahr 1931. Immerhin hat Söder selbst eingeladen ins DB Museum in Nürnberg. Gefeiert wird die Ausdehnung des regionalen öffentlichen Verkehrsverbunds - ein paar Landkreise kommen dazu. Zwischen den alten Lokomotiven stehen Oberbürgermeister, Landräte, Landtagsabgeordnete in dunklen Anzügen, Söders freundlich lächelnder Verkehrsminister Christian Bernreiter, zusammen etwa 60 Leute.

Also, schöner Anlass, dankbares Publikum, Technik als Foto-Kulisse, alles da für einen Wohlfühltermin. Der bayerische Ministerpräsident fehlt trotzdem. "Hat kurzfristig abgesagt", murmelt ein Sprecher des Verkehrsministeriums. Wie bitte? Markus Söder lässt einen öffentlichen Termin platzen?

Täglich fast 2.400 Begegnungen

Kürzlich hat der CSU-Chef seine Leute in der Parteizentrale eine Zwischenbilanz seines Wahlkampfs erstellen lassen. Ergebnis: seit Januar "rund 500 öffentliche Termine mit mehr als 500.000 Kontakten". Runtergerechnet heißt das: Söder steht an jedem einzelnen Tag durchschnittlich knapp 2.400 Menschen gegenüber.

Wie schafft man sowas? Fleiß, klar. Egal, wen man fragt in der CSU, jeder lobt Söders unermüdlichen Einsatz. Manche attestieren ihm ein "unmenschliches Programm", halb bewundernd, halb verschüchtert. Söder selbst behauptet von sich, über nahezu unerschöpfliche Kraftressourcen zu verfügen. Bisher deutet nichts darauf hin, dass er irrt. Zwischendrin, wenn er Ausgleich braucht, schwimmt der 56-Jährige "am liebsten durch einen See". Tennis? Nur noch "ab und zu". Ist zu aufwändig, weil Gegner und Platz jeweils organisiert werden müssen. Schwimmen geht spontan.

"Immer-da-Söder"

Ständige Sichtbarkeit gehört zu Söders politischem Grundbaukasten. Seine Karriere hatte noch nicht richtig begonnen, Anfang der 1990er, da nannte man ihn in Nürnberg schon den "Immer-da-Söder". Der Politikwissenschaftler Thomas Biebricher attestierte ihm kürzlich in einem Interview "die Flutung der Öffentlichkeit durch beständig neue Vorschläge und eine große Präsenz auf allen Kanälen".

Das erinnert an die "asymmetrische Demobilisierung", jene legendäre Strategie, mit der Angela Merkel ihre Bundestagswahlen gewann. Die CDU-Kanzlerin demobilisierte ihre Gegner, indem sie ihnen die Themen klaute. Schon lange vorher klaute der junge CSU-Politiker Söder seinen Gegnern die Aufmerksamkeit.

Er selbst drückt das freilich anders aus. Auf die Frage, welche Erfolgsregel seit seinem ersten Wahlkampf 1994 bis heute gelte, sagt Söder: "Nähe, Begegnung. Durch Begegnung mit Menschen direkt kommunizieren." Klingt zweifellos sympathischer als ständige Sichtbarkeit. Aber ist das eigentlich wirklich dasselbe, Sichtbarkeit und Nähe? Wie nah kann einem sein, wer täglich "direkten Kontakt" hat mit 2.400 Menschen? So oder so, auf Dauer reicht für so ein Pensum weder Fleiß noch Duracell-Physis.

"Marathon mit Volldampf"

Der Empfang im Nürnberger Bahn-Museum klingt gerade aus, da erscheint Söder doch noch, in Form eines Tweets: "Unterwegs im Landkreis Erlangen-Höchstadt beim Bürgerforum Handwerk in Heßdorf." Fotos zeigen den Ministerpräsidenten in einer Halle, vor voll besetzten Stuhlreihen. Also Anruf beim örtlichen CSU-Abgeordneten: 400 Leute waren da, freut sich Walter Nussel, ein Erfolg. Ab hier ist es eine einfache Rechnung: Wer es täglich auf 2.400 Kontakte bringen will, entscheidet leicht zwischen einem Auftritt vor 400 Leuten oder vor 60.

Wie er diesen Wahlkampf angehen würde, hatte Söder schon beim politischen Aschermittwoch im Februar klargemacht: "Das wird ein Marathon mit Volldampf!" Aber könnte er sich eigentlich weniger erlauben? Einen Halbmarathon? Die CSU stand ja schon mal besser da. Zuletzt verlor sie in den Umfragen, im Gegensatz zur mehr oder weniger bürgerlichen Konkurrenz, Freie Wähler und AfD. Jetzt steht die CSU nur knapp über ihrem Ergebnis von 2018, Söders erster Wahl. Nur 37,2 Prozent bekam sie damals, die Quittung für ihre AfD-orientierte Rhetorik. Söder sprach von einer "politischen Nahtoderfahrung".

Parteistrategen erklärten anschließend bereitwillig, Vertrauen aufzubauen, dauere länger, als es zu verlieren. Knapp fünf Jahre später ist festzuhalten: Nach einem Zwischenhoch in der Corona-Pandemie ist das Vertrauen unverändert ausbaufähig.

Söder überall. Fast.

Schräg gegenüber der Staatskanzlei liegt das bayerische Verkehrsministerium. Dazwischen der Franz-Josef-Strauß-Ring. Wer den regulären Weg nimmt, macht einen Schlenker über die Ampel, insgesamt knapp 300 Meter. Wer es eilig hat, überquert den Ring direkt und spart sich hundert Meter. Markus Söder steuert direkt auf die Straße zu. Als sein Bodyguard im Begriff ist, die Autos aufzuhalten, deutet Söder Richtung Ampel und dreht ab.

Es liegt nahe, dem Selbstdarsteller Söder Kalkül zu unterstellen. Dass eine Straße gesperrt wird, weil der Regierungschef sie mal eben beansprucht, solche Bilder kennt man aus Frankreich, Washington, Moskau. Es sind Bilder der Macht. Nicht der Nahbarkeit. Söder liebt die Macht. Aber er will auch nahbar sein, Landesvater. Bilder allzu offensiver Machtinszenierung sind da kontraproduktiv. Entscheidend ist hier, dass von Söders Fußweg gar keine Bilder entstehen.

Pragmatisch oder opportunistisch?

Markus Söder nimmt für sich in Anspruch, sich ständig zu hinterfragen und gegebenenfalls zu korrigieren. Kritiker werfen ihm vor, er verwechsele Pragmatismus mit Opportunismus. War es opportunistisch, als er 2019 das Volksbegehren "Rettet die Bienen" in seine Politik übernahm? Ist sein Hin und Her zur Nutzung der Atomkraft reiner Pragmatismus? Ist seine Ansage an Hubert Aiwanger, man dürfe "nicht wegen jeder schnellen Stimme den politischen Anstand verlieren", wirklich reine Erkenntnis, nachdem er selbst 2018 mit AfD-naher Rhetorik fast gescheitert wäre?

Solche Fragen lassen sich letztlich auf eine reduzieren: Wer und wie ist Söder eigentlich?

Gar nicht einfach. Es ist ja so, dass allgemein immer größere Hoffnungen auf die Mächtigen projiziert werden, je komplexer die Dinge auf dieser Welt laufen, sogar in Bayern. Bei Söder kommt hinzu, dass er solche Hoffnungen durch seinen zentristischen Stil nährt: Er betreibe Politik als Alleinunterhaltung, diesen Eindruck erweckt Söder schon immer. Seit es ihm vorgeworfen wird, steuert er gezielt gegen: Er beteuert, er mache "keine One-Man-Show", preist sein "tolles Team", tritt bei Pressekonferenzen kaum allein auf. Durchschlagenden Erfolg hat das nicht. Er mache immer noch "zu viel allein", rügt jemand in der CSU-Spitze.

Der Mann am Steuer

Vielleicht rührt der Eindruck des Alleinunterhalters nicht daher, dass Söder ohne Team dastünde. Sondern wie er im Team spielt. Als der Ministerpräsident die Ampel überquert und das Verkehrsministerium erreicht hat, erwartet ihn der Hausherr, Minister Christian Bernreiter, auch diesmal freundlich lächelnd. Die beiden übergeben Förderbescheide an Busunternehmen. Nach kurzen Reden steht die Besichtigung eines Elektrobusses an. Söder lässt gar keinen Zweifel aufkeimen, wer ans Steuer gehört. "Wo stellt man den an?"

Um ihn drängeln sich Busunternehmer, Bushersteller und der Verkehrsminister. Söder, gut gelaunt, erzählt von seinem eigenen Lkw-Führerschein. "Wenn du zu lange auf der Kupplung standest, hat's dir die Kniescheibe rausgehauen." Gelächter, ja, so war das früher. "Haben die heute alle Automatik?", fragt Söder. Nette Plauderrunde, gelenkt vom Mann am Steuer. Söder erzählt und fragt manchmal auch, es geht um Fachkräftemangel und Bürokratie. Der Minister steht dabei und schweigt. Er wirkt einfach froh, dass er später mit seinem Chef auf den Fotos zu sehen sein wird.

Das könnte das Problem sein: Söder inszeniert seine Truppe zwar wie ein Team. Aber arbeitet sie auch so? Zwar erscheint die CSU geschlossen. Anders als die CDU, fällt sie nicht durch interne Scharmützel auf. Die Loyalität zu Söder geht so weit, dass ihn seine langjährige Rivalin Ilse Aigner im April höchstselbst als Spitzenkandidaten für die Landtagswahl vorschlug. Folge eines fröhlichen Diskussionsprozesses ist all das nicht. Sondern jahrzehntelanger Söder‘scher Machtpolitik.

Kein Smalltalk, kein Gespräch

Das Arvena Park Hotel liegt im Südosten Nürnbergs, in der Trabantenstadt Langwasser. "Oh, der Bezirksvorsitzende!", charmiert Söder, aus seiner Limousine steigend. Es bleibt die einzige offizielle Anrede. Fortan ist Michael Frieser, der Angesprochene, "der Michi".

Bezirksparteitag der CSU Nürnberg-Fürth-Schwabach. Söders Homebase. Für die rund 160 Delegierten ist er schon lange nicht mehr der "Immer-da-Söder", sondern "der Markus". Auf dem Weg zum Podium, mitten durch den Saal, schüttelt er gut ein Dutzend Hände, sagt jedes Mal "hallo", bleibt aber nicht stehen, kein Gespräch, auch kein Smalltalk.

"Sehe auch die Kleinigkeiten"

Niemand sollte daraus schließen, dass ihm Wichtiges entginge. Söder hat im Lauf der Jahrzehnte ein System erarbeitet, das ihm zuträgt, was in seiner CSU passiert. "Ich sehe auch die Kleinigkeiten", wirft er dem Reporter zu, der sich wundert, dass Söder seine sockenfreien Fußknöchel registriert hat.

In seiner Rede reiht Söder, durchaus unterhaltsam, seine stets wiederkehrenden Botschaften aneinander: keine Gender-Pflicht in Bayern, "auf gar keinen Fall", die Ampel sei die "schlechteste Bundesregierung, die Deutschland je gehabt hat", sie habe "kein Konzept" gegen Inflation, gegen hohe Energiepreise und Wirtschaftsflaute. Söder hat natürlich ein Konzept: Mehrwertsteuer auf Lebensmittel weg, Erbschaftssteuer aufs Elternhaus weg, Stromsteuer runter, Atomkraftwerke wieder an.

Ideen zur Landtagswahl?

Während man zuhört, kommt einem ein Söder-Auftritt ein paar Tage zuvor in den Sinn. Der CSU-Chef hatte beklagt, dass im Oktober Landtagswahl ist, sei "vielen noch nicht bewusst, weil sie sich im Moment mehr mit Bundesthemen beschäftigen". Im Ernst? Sagen konnte Söder das nur, weil er bei diesem Auftritt einmal selbst ein paar CSU-Ideen zur Landtagswahl vorstellte. Sie spielen jetzt, in Nürnberg, so gut wie keine Rolle mehr. Auch die milliardenschwere Hightech-Agenda, Söders politisches Herzensthema, findet keine Erwähnung.

Ja, Söder redet hier auch über Bayern. Aber er beschränkt sich auf eine Zustandsbeschreibung: niedrigste Kriminalitätsrate, niedrigste Arbeitslosenquote, 90 Prozent der Weltbevölkerung wären "glücklich, wenn sie bei uns leben könnten".

Vor ein paar Jahren, als er Land und CSU noch mit Reformideen herausforderte, sagte Söder mal: "Keiner wählt uns, nur weil wir früher gut waren." Also, sein Plan für Bayern? Söders Rede in Augsburg passt zum CSU-Wahlprogramm: "In Bayern lebt es sich einfach besser." Programmatisch ist das nicht.

Im Video: Söders Positionen und Herausforderungen.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat im ARD-Sommerinterview ein "Sofortprogramm" für die Entlastung von Wirtschaft und Bürgern gefordert, um etwa die Stromsteuer zu senken.
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Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat im ARD-Sommerinterview ein "Sofortprogramm" für die Entlastung von Wirtschaft und Bürgern gefordert.

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