Behutsam nimmt Anja Pütz einen menschlichen Schädel aus seinem Behältnis. "Das war mal eine junge Frau, zwischen 30 und 40 Jahre alt", erklärt sie. Gelebt hat die Frau im frühen Mittelalter, vor rund 1.500 Jahren.
"Aus den Knochen kann man noch eine ganze Menge herauslesen, auch ein bisschen über das Leben, das sie geführt hat", erklärt Pütz. Die Frau habe zum Beispiel einige Zähne verloren. "Und die vorderen Schneidezähne sind stärker abgenutzt im Vergleich zu den Backenzähnen, vielleicht, weil sie Leder durchgezogen hat."
Immer wieder stoßen Bauarbeiter auf Gräber
Als Leiterin des Museums von Aschheim im Landkreis München kümmert sich Pütz auch um die archäologischen Funde der Gemeinde - und das sind eine Menge. Aschheim war in der Frühzeit des bayerischen Herzogtums, vom 6. bis zum 9. Jahrhundert, ein blühendes Gemeinwesen. Die erste Landessynode bayerischer Bischöfe fand hier im 8. Jahrhundert statt. Und bei Bauarbeiten stößt man immer wieder auf archäologische Funde aus der Zeit - oft sind es Gräber.
Schmuck, Werkzeuge oder Waffen kommen ins Aschheimer Museum. Hier findet sich zum Beispiel eine Brosche aus der Bajuwarenzeit, verziert mit Almandinen, einem roten Edelstein, der damals aus Indien importiert wurde, sowie mit Bernstein von der Ostsee. Bayern war damals über Händler mit weiten Teilen der bekannten Welt verbunden. Auch Hochzeiten wurden über weite Entfernungen arrangiert.
Skelette sind Fundgruben für Historiker
Die Bajuwaren, erklärt Pütz, bilden sich aus vielen Elementen: römischen Siedlern, die hierbleiben, als die Legionäre abziehen, germanischen Zuzüglern aus Südwestdeutschland oder Thüringen, germanischen Langobarden, die aus Ungarn kommen, oder Ostgoten, die zu der Zeit ein Reich in Italien haben.
Findet die Archäologin Skelette, kommen die in die Gruft auf dem Aschheimer Friedhof. Die Überreste von rund 600 Menschen lagern hier, klimatisiert und bei regulierter Luftfeuchtigkeit. Und sie haben noch jede Menge zu erzählen. Vor einigen Jahren haben Münchner Forscher aus den Backenzähnen einiger Skelette noch DNA extrahieren können. Sie fanden heraus: Die Menschen starben an der Pest.
Knochen von damals können im Heute helfen
Im sechsten Jahrhundert grassierte im Mittelmeerraum die sogenannte Justinianische Pest. Bis zu den Aschheimer Funden war nicht klar gewesen, dass sie auch nach Bayern gekommen war. Die Forschung hatte auch ganz konkreten Nutzen für die Gegenwart: Es gelang, das Erbgut des Pesterregers zu isolieren. Grundlage für ein besseres Verständnis der Krankheit.
Denn die Pest ist noch nicht ausgerottet. Deshalb könnte es sich irgendwann einmal als nützlich erweisen, wenn wir wissen, wie sich die Seuche entwickelt hat - dank der Gebeine unserer Urahnen aus Aschheim.
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