Die derzeitige Grippewelle könnte nach ungewöhnlich frühem Beginn ebenso vorzeitig wieder abebben. Der Münchner Virologe Oliver Keppler sieht ein wesentliches Indiz im Verlauf der vorangegangenen Grippewelle auf der Südhalbkugel. Auch dort trat die alljährliche Häufung von Influenza früher auf als sonst.
Schon im Spätherbst viele Influenza-Fälle
"Die Influenza steigt in Deutschland fast immer Anfang Januar stark an und verabschiedet sich wieder Anfang April, das ist die typische Saisonalität des Erregers", sagte Keppler, Leiter der Virologie an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität. In diesem Herbst und Winter gab es jedoch schon im Spätherbst viele Grippeinfektionen, derzeit gehen die Infektionszahlen nach Daten des Robert Koch-Instituts zurück.
"Es ist also derzeit eher eine vorgezogene als eine ungewöhnlich schwere Influenzawelle. Eine solche hatten wir beispielsweise im Winter 2017/18", sagte der Wissenschaftler. "Wir haben schon auf der Südhalbkugel gesehen, dass diese Rhythmik sich nach zweieinhalb Jahren Corona-Maßnahmen nach vorne verschoben hat", sagte er. "Die Influenzawelle war auch in Australien zwei Monate früher als üblich."
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Kepler: Grippe-Infektionen früher, aber nicht mehr als normal
In den vergangenen beiden Jahren gab es nur sehr wenige Fälle von Grippe, doch das hat sich geändert: Seit Anfang Oktober haben die Gesundheitsbehörden nach Daten des Robert Koch-Instituts 249.558 Grippeinfektionen in Deutschland gezählt, Höhepunkt war die 50. Kalenderwoche kurz vor Weihnachten mit allein 52.651 Fällen. In der ersten Januarwoche waren es noch 12.743 Fälle. "In der Summe flachen die Influenzazahlen derzeit schon wieder ab", sagte Keppler. "Insofern sieht es nicht so aus, dass die Zahl der Infizierten wesentlich höher werden wird als in normalen vorpandemischen Jahren."
Neben Grippeinfektionen kursieren auch Erkältungen und andere Atemwegserkrankungen. Vor Weihnachten waren deutschlandweit die Kinderstationen der Krankenhäuser stark belegt beziehungsweise überfüllt, in vielen Firmen gab es eine hohe Zahl von Krankmeldungen.
RSV, Influenza: Genauer Zusammenhang mit Corona unklar
Eine von Wissenschaftlern ebenso wie von Nicht-Medizinern diskutierte Frage ist ein möglicher Zusammenhang der vielen Atemwegs-Erkrankungen mit dem Ende der Corona-Maßnahmen. "Es sind zwei Erreger, die in den letzten Wochen das Infektionsgeschehen dominiert haben: das Influenzavirus und RSV", sagte Keppler.
Ob das frühere Auftreten der Grippe am zirkulierenden Influenza-A-Stamm liege oder an der Aufhebung der Corona-Maßnahmen, lasse sich nicht auseinanderdividieren. "RSV ist ein Erreger, der schwere Erkrankungen eher bei kleinen Kindern verursacht", sagte Keppler. "Da ist es durchaus möglich, dass die Gesamtkonstellation der Pandemiemaßnahmen mit reduzierten Sozialkontakten auch bei kleinen Kindern nun zu einer gewissen Synchronisierung nach dem Sommer geführt hat, dass sich plötzlich ganz viele gleichzeitig infizieren."
LGL: Mehr Influenza-Fälle als in den Vorjahren in Bayern
Das Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) in Erlangen hält sich mit einer Bewertung der Grippewelle zurück. Von Anfang Oktober 2022 bis zur letzten Woche des alten Jahres wurden in Bayern 51.082 Influenzafälle gemeldet, laut LGL wesentlich mehr als in Jahren vor und während der Corona-Pandemie.
"Im Vergleich zu den vorpandemischen Saisons setzte die Influenzawelle in dieser Saison früher ein und der Spitzenwert ist bereits höher als in den Saisons 2018/2019 und 2019/2020", sagte ein Sprecher. Einen Rückgang der Arztbesuche zu Jahresbeginn wegen Atemwegsinfekten gab es demnach auch schon in Jahren vor der Pandemie. "Die weitere Entwicklung in dieser Saison kann daher erst in den kommenden Wochen beurteilt werden", sagte der Sprecher.
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