Lilly Rosenberg sitzt auf der Polizeiwache. Neben ihr liegt ihr Sohn Jay im Kinderwagen. Er ist gerade erst acht Monate alt und noch nicht einmal abgestillt. Rosenberg wurde gerade festgenommen. Sie wartet darauf, ob sie ihren Sohn mitnehmen kann, wenn sie ins Gefängnis muss. "Als die gesagt haben, das geht nicht. Das war ganz, ganz schlimm", erinnert sie sich. Dieser Tag, der 7. März, wird der letzte für ganze zwei Monate sein, an dem sie ihren Sohn sehen wird.
Als sie in der Haftanstalt in München ankommt, stellt sie direkt einen Antrag. Sie will Jay mit in die Haft nehmen. Doch das geht erst einmal nicht. Eigentlich gibt es für solche Fälle wie Lilly Rosenberg den sogenannten Mutter-Kind-Vollzug. Zehn solcher Plätze gab es auch in der Justizvollzugsanstalt München, bis Mitte 2021. Seitdem sind sie nicht mehr verfügbar. Denn es habe nicht genügend Interesse gegeben, so argumentiert das Bayerische Justizministerium. Außerdem habe die Haftanstalt Probleme gehabt, im Ballungsraum München geeignete Erzieher zu finden.
Derzeit nur noch 16 Mutter-Kind-Plätze in Bayerns Gefängnissen
Durch den Wegfall in München gibt es laut Justizministerium nur noch 16 Plätze. Die befinden sich in der Justizvollzugsanstalt Aichach. Weitere zehn Plätze sollen bis zum Jahr 2027 in Marktredwitz entstehen. Nach Recherchen des Bayerischen Rundfunks geht es mehreren Müttern so wie Lilly Rosenberg. Wie viele es genau sind, darüber führen die Justizministerien der Länder keine einheitliche Statistik. In Deutschland gibt es 106 Haftplätze für Mütter und ihre Kinder.
Einer Erhebung der Bundesarbeitsgemeinschaft der Straffälligenhilfe (BAG-S), in der sich Wohlfahrtsverbände wie Caritas, Diakonie und Arbeiterwohlfahrt zusammengeschlossen haben, gab es deutschlandweit mindestens 250 schwangere Strafgefangene, die in den letzten fünf Jahren ihr Kind während einer Haft entbunden haben. Wie viele von ihnen keinen Mutter-Kind-Platz bekommen haben, ist unklar.
Gefahr von Verhaltensauffälligkeiten bei fehlender Bindung
Ihren Sohn hat Lilly Rosenberg zwei Monate lang überhaupt nicht gesehen. Denn Jay brauchte, um sie gemeinsam mit dem Vater zu besuchen, erst einen Kinderausweis. "Das erste Mal, da hat er mich so angeschaut und wollte gleich wieder zum Papa. Und dann... Das war schon sehr traurig."
Gerade im frühesten Kindesalter bauen Kinder eine starke Bindung zu ihrer engsten Bezugsperson auf, meistens ist das die Mutter. Wird diese Bindung aber abrupt gestört, droht das Kind später Verhaltensauffälligkeiten oder sogar Aggressionen zu entwickeln, wie Experten sagen. Die Bundesarbeitsgemeinschaft fordert deshalb ausreichend Kontakt von Kindern zu ihrer Mutter, auch in Haft. Wenn eine Haft nicht zu vermeiden sei, sollte die Mutter ihr unter dreijähriges Kind deshalb mit ins Gefängnis nehmen dürfen.
Mehrere Voraussetzungen für Mutter-Kind-Vollzug
Die Voraussetzungen dafür seien, dass das Kind während der Haftdauer das Alter von drei Jahren nicht überschreiten dürfe. Außerdem müsse das Jugendamt die Erziehungsfähigkeit der Mutter bescheinigen, also dass sie sich gut um ihr Kind kümmern kann. Die Zustimmung des Jugendamts hat Lilly Rosenberg. Damit erfüllt sie alle Voraussetzungen.
Sie sitzt im Gefängnis wegen "Katalog-Betrugs", das heißt, sie hat auf falschen Namen bestellt und die Rechnungen in Höhe von 15.000 Euro nicht bezahlt. Sie wird erwischt und verurteilt: zwei Jahre Bewährungsstrafe. Weil sie die Sozialstunden nicht rechtzeitig ableistet, werden aus zwei Jahren Bewährungsstrafe zwei Jahre Haft.
Sozialverbände fordern mehr offenen Vollzug für Mütter
Seit vier Monaten steht Lilly nun auf einer Warteliste für einen Mutter-Kind-Platz in Bayern. Eine Stunde im Monat darf ihr Sohn sie zusammen mit dem Vater besuchen. "Ich bin immer überrascht. Dann zieht er sich allein hoch am Stuhl und macht Fortschritte – so viele, die ich noch nicht kenne von ihm."
Das Gefängnis ist nicht der beste Ort für Kinder, auch wenn die Mutter-Kind-Anstalten kindgerecht eingerichtet sind, sagen Experten. Denn so lernten die Kleinen etwa das Leben außerhalb der Justizvollzugsanstalt nicht kennen, etwa den Straßenverkehr. Es sei denn, die Mütter leben im offenen Vollzug und dürfen mehre Stunden am Tag das Gefängnis verlassen. Diese Möglichkeit sollte nach Meinung der Arbeitsgemeinschaft mehr Müttern eröffnet werden.
Lilly Rosenbergs Sohn ist gerade ein Jahr alt geworden. Ein Geburtstag ohne Mutter. Sie glaubt nicht mehr an einen Mutter-Kind-Platz. Ihr Anwalt hat in der Zwischenzeit ein Gnadengesuch gestellt. Sie hofft, dass damit ihre Haftstrafe erneut zur Bewährung ausgesetzt wird.
Anmerkung der Redaktion: Die Mitglieder der Familie wollen anonym bleiben und heißen hier deshalb anders.
Mehr zum Thema "Mama, wo bist du? Mütter im Gefängnis" in der Sendung STATIONEN in der ARD Mediathek.
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