Für die Männer der Werk-Feuerwehr von Sappi in Stockstadt im Landkreis Aschaffenburg waren die vergangenen Wochen noch mal eine echte Herausforderung: In roten, gelben oder grünen Schutzanzügen und mit Atemschutz waren sie in der Papierfabrik und haben die letzten Chemikalien und Gefahrenstoffe aufwändig und in mehreren Einsätzen entfernt. "Wir haben die Anlagen in wenigen Tagen mit vier Millionen Litern Wasser gespült – und dafür gesorgt, dass keine Gefahr mehr besteht", sagte Michael Höfling von der Werk-Feuerwehr zu BR24.
Höfling ist seit 2005 Mitglied der Werk-Feuerwehr und leitet sie seit über drei Jahren. 1993 hatte er im Werk als Energie-Anlagen-Elektroniker gelernt und später dort auch seinen Elektroniker-Meister gemacht. Zum Schluss war er Abteilungsleiter. Wie es für ihn nach Sappi weitergeht, weiß er noch nicht. Viele der Kollegen haben aber schon neue Jobs gefunden.
Feuerwehr verhindert Umweltschäden durch Gebäude
Bei den letzten Einsätzen der Werk-Feuerwehr war vor allem wichtig, dass die Gebäude sicher übergeben werden können – und dass für Stockstadt kein Umweltschaden zurückbleibt. "Wir waren noch mal mit allen 40 Mann im Einsatz – und das hat richtig Spaß gemacht, weil wir eine eingespielte Truppe und fachlich gut aufgestellt sind. Umso trauriger ist es, dass die Werk-Feuerwehr jetzt aufgelöst wird. Ich musste mich die letzten Tage schon von vielen Kollegen verabschieden. Das ist wirklich belastend", so Höfling weiter.
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Papierfabrik in Stockstadt geschlossen, Feuerwehr aufgelöst
122 Jahre hatte die Firma Sappi in Stockstadt eine eigene Werk-Feuerwehr. Doch nun hat der Konzern beschlossen, das Zellstoff- und Papierwerk zu schließen. Mit der Entscheidung war auch klar, dass die Werk-Feuerwehr zum Jahresende aufgelöst wird, heißt es von der Kreisband-Inspektion im Landkreis Aschaffenburg. Alle Mitarbeiter der Feuerwehr haben ihre schriftliche Kündigung erhalten. Aus dem Unternehmen selbst war keine Stellungnahme zu bekommen.
Woher das Personal der Werk-Feuerwehr kam
Mit der staatlichen Anerkennung der Werk-Feuerwehr war das Stockstädter Werk für den Brandschutz und die technische Hilfe auf ihrem gesamten Werksgelände selbst zuständig. Die Einsatz-Mannschaft bestand aus zwei hauptamtlichen Feuerwehrleuten und 38 Werksmitarbeitern, die zusätzlich zur regulären Arbeit nebenamtlich ihren Dienst bei der Werk-Feuerwehr ausgeübt haben.
Chemie, Industrie, Wasser: Besondere Aufgaben für Feuerwehr
Die Werk-Feuerwehr hatte zum Schutz und für die Sicherheit ihres Werkes besondere Kompetenzen im Bereich Industrie-Brandbekämpfung, Chemieschutz und Gewässerschutz. Dafür standen vier Einsatzfahrzeuge, ein Boot, ein Großlüfter und viele Sonder-Gerätschaften zur Verfügung.
Viele der Werk-Feuerwehrleute sind bereits parallel in ihren Wohnorten zusätzlich bei der Freiwilligen Feuerwehr engagiert. Die Feuerwehr-Fahrzeuge und Gerätschaften der Werk-Feuerwehr werden voraussichtlich von anderen Betriebs- und Werk-Feuerwehren im Sappi-Konzern übernommen.
Wer jetzt die Einsätze auf dem Gelände übernimmt
Damit ist zum Jahresende die Geschichte der Werk-Feuerwehr in der Stockstädter Papierfabrik nach 122 Jahren offiziell beendet und die Freiwillige Feuerwehr Stockstadt muss alle Feuerwehr-Aufgaben auf dem Werksgelände wieder als kommunale Aufgabe übernehmen.
Das Einsatzgebiet der Freiwilligen Feuerwehr Stockstadt erweitert sich damit praktisch über Nacht um 58 Hektar mit einer Vielzahl komplexer Gebäudestrukturen. Um sich auf diese zusätzliche Aufgabe vorzubereiten, hat die Freiwillige Feuerwehr Stockstadt in den vergangenen Monaten mehrfach Einweisungen in Brandmelde-Anlagen, Begehungen und Übungen mit der Werk-Feuerwehr durchgeführt.
Gemeinde und Landkreis verlieren gut ausgebildete Feuerwehr
Mit der Werk-Feuerwehr von Sappi verlieren die Gemeinde Stockstadt sowie der Landkreis Aschaffenburg eine "hochprofessionelle, hervorragend ausgebildete und bestens ausgestattete Feuerwehr, die auch immer wieder über die Werksgrenzen hinaus bei größeren Feuerwehr-Einsätzen geholfen hat", so die Kreisbrand-Inspektion.
In Stockstadt war die Werk-Feuerwehr bei größeren Einsätzen immer als Erstes an der Seite der Freiwilligen Feuerwehr Stockstadt. Im Landkreis war die Werk-Feuerwehr mit ihren besonderen Kompetenzen und Sondergeräten in die Alarm-Planung eingebunden. Mit dem Feuerwehr-Boot waren die Feuerwehrler zum Beispiel auf dem Main im Einsatz – auch bei Gefahrgut-Unfällen sind sie regelmäßig ausgerückt. Mit der Auflösung der Werk-Feuerwehr muss der Landkreis nun verschiedene Alarmierungs-Pläne anpassen.
550 Menschen bei Sappi verlieren ihre Jobs
Erst im Sommer war bekannt geworden, dass die traditionsreiche Papier- und Zellstofffabrik in Stockstadt nach über 120 Jahren schließt. 550 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verlieren damit ihre Arbeitsplätze.
Das Unternehmen wurde 1898 als reine Zellstofffabrik gegründet und hat in der Vergangenheit mehrmals den Besitzer gewechselt. Der aktuelle Besitzer, Sappi Limited, ist eine global operierende Gesellschaft, die ihren Firmensitz in Johannesburg in Südafrika hat. Sappi war bislang einer der größten Arbeitgeber am Untermain. Aus dem Papier wurden unter anderem hochwertige Kalender, Bildbände und Kunstbücher hergestellt.
Hintergrund: Digitalisierung verdrängt Papier
Bereits 2020 hatte der Konzern entschieden, am Standort Stockstadt eine von zwei Papiermaschinen zu schließen. Wegen der Digitalisierung und schwindenden Printauflagen ist die Nachfrage nach grafischen Papieren in den letzten Jahren zurückgegangen.
Gute Nachricht: Investor aus der Pfalz übernimmt Gelände
Ende Oktober kam dann die überraschende Nachricht: Der Wellpappe-Hersteller Progroup AG aus Landau in der Pfalz will das Werksgelände der Sappi GmbH in Stockstadt im April nächsten Jahr übernehmen. Danach erfolgt der Rückbau der alten Anlagen, auch die weithin sichtbaren Schlote verschwinden. Die Progroup AG will in Stockstadt "nachhaltig und innovativ Wellpappen-Rohpapier herstellen" – aus Altpapier. Die Firma ist nach eigenen Angaben einer der führenden Wellpappen-Hersteller in Europa – und betreibt Werke in Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Tschechien und Großbritannien.
Für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Sappi, die nun ihre Jobs verlieren, ist die neue Fabrik wohl keine Option. Bis dort wieder produziert wird, vergeht zu viel Zeit.
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