Die Flucht eines 24-jährigen Straftäters bei einem begleiteten Freigang in Plattling vergangene Woche Donnerstag könnte womöglich bayernweite Folgen haben. Die Bayerische Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) hat Konsequenzen für das Bezirksklinikum Mainkofen angekündigt. Wie der Bezirk Niederbayern als Betreiber des Klinikums am Freitag in einer Stellungnahme mitteilte, prüften die Fachaufsichtsbehörde und das Sozialministerium in den kommenden Wochen detailliert, ob und was sich ändern müsse.
Bei der Aufarbeitung sei auch wichtig, heißt es aus dem Sozialministerium, zu hinterfragen, was bayernweit optimiert werden könne. Dienstanweisungen oder spezifische Schulungen für Mitarbeitende könnten demnach eingesetzt, die Kommunikationsstruktur, vor allem mit der Polizei, verbessert werden. Eine Arbeitsgruppe bei der Fachaufsicht erarbeite derzeit Sicherheitsstandards, so Scharf.
Chefarzt spricht von zwei Hauptfehlern
Der Chefarzt der forensischen Psychiatrie am Bezirksklinikum Mainkofen, Dr. Johannes Schwerdtner, teilte mit, der "Hauptfehler in der Planung" sei gewesen, dass bei dem Freigang vergangene Woche keine männliche Begleitperson dabei war. Damit konnte der Toilettengang des 24-Jährigen nicht begleitet werden.
Als zweiten Fehler räumt Schwerdtner ein, dass eine "überhöhte und so nicht korrekte Gefährlichkeitseinstufung" an die Polizei gegeben wurde. Das habe bis heute zu einer großen Verunsicherung in der Bevölkerung geführt, so der Bezirk. Der Chefarzt bedauere die Fehler, es habe keine "keine optimale Planung" gegeben, dadurch habe der 24-Jährige flüchten können, heißt es weiter.
Wie gefährlich ist der 24-Jährige?
Mitarbeiter der forensischen Klinik hatten demnach direkt nach der Flucht, ohne Rücksprache mit dem Chefarzt als Maßregelvollzugsleiter, eine "Gefährlichkeitseinstufung" an die Polizei herausgegeben. Laut Bezirk sei diese inhaltlich falsch gewesen und "überhöhte die tatsächliche Gefährlichkeit". Die Polizei habe deshalb entsprechend reagiert. Trotzdem sei die Entscheidung richtig gewesen, mit dem verurteilten Straftäter einen begleiteten Ausgang zu unternehmen, so die Einschätzung der Verantwortlichen.
Schwerdtner rechtfertigt sich, dass auch zum Zeitpunkt der Flucht keine Gefahr für die Bevölkerung bestanden habe. Als Gründe nennt er, dass der Therapieprozess positiv verlief, die Medikamente des Somaliers passend eingestellt waren und es keine "Entweichungstendenzen" gab. Der Bezirk Niederbayern als Betreiber der Klinik bestätigte dem BR, dass der Mann 2021 schon einmal einen Fluchtversuch unternommen hatte. Dieser scheiterte allerdings.
In Zukunft "exakte Planung"
Als eine der ersten Konsequenzen aus dem Vorfall sollen am Bezirksklinikum Mainkofen künftig alle Ausgänge einer "exakten Planung" unterzogen werden, teilte der Bezirk mit. Ab sofort muss mindestens eine männliche Fachkraft bei den Freigängen dabei sein. Zudem soll die Zusammenarbeit mit der Polizei weiter optimiert und die internen Meldeketten sollen verbessert werden.
Verschiedene Lockerungsstufen in Mainkofen
Wie der Bezirk Niederbayern auf BR24-Anfrage weiter mitteilt, gibt es für die Patienten im Maßregelvollzug am Bezirksklinikum Mainkofen insgesamt vier Lockerungsstufen, beginnend mit einem begleiteten Ausgang innerhalb oder außerhalb des Krankenhausgeländes in der Stufe A, über unbegleitete Ausgänge auf dem Krankenhausgelände in Stufe B bis hin zu 13 Übernachtungen alleine außerhalb der Klinik in Stufe D.
Experten berieten über Lockerung
Im Fall des später entflohenen Patienten aus Plattling wurde laut dem Bezirk Niederbayern eine "interdisziplinäre Lockerungskonferenz" abgehalten, an der die verschiedenen Berufsgruppen teilgenommen haben. Dazu zählten Psychologen, Sozialpädagogen, Ärzte und Pfleger. In der Konferenz konnten alle Teilnehmer dem Patienten Fragen stellen, im Anschluss wurde über die Lockerungsstufe entschieden.
Flucht bei Freigang in Plattling
Der 24-Jährige war am Donnerstag vor einer Woche bei einem begleiteten Freigang aus dem Plattlinger Kino geflohen. Die Polizei hatte daraufhin eine Warnmeldung herausgegeben, dass ein gefährlicher Straftäter entflohen sei, den man nicht ansprechen sollte. Wenige Stunden nach der Flucht konnte der Mann widerstandslos festgenommen werden. Bei ihm wurde vor Gericht eine paranoide Schizophrenie attestiert. Er hatte 2021 im Bayerischen Wald einen Obdachlosen mit über 100 Messerstichen getötet und anschließend enthauptet. Das Landgericht Deggendorf hatte wegen Totschlags die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet.
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