Der Boden ist sumpfig, die moorige Landschaft im Sulzschneider Wald südlich von Marktoberdorf wirkt ein bisschen verwunschen. Hier leben bedrohte Vögel und Insekten wie der Baumpieper oder der Berglaubsänger, die arktische Smaragdliebelle, der gegürtelte Schnellkäfer oder der Hochmoorbläuling. Und im Naturwald hier wachsen mit den Spirken, einer Moorkiefer, auch seltene Pflanzenarten. "Wir haben hier deutschlandweit die größten Flächen an Spirke", sagt Jann Oetting, Leiter des Forstbetriebs Sonthofen. "Das war der Grund, warum wir eben diese Fläche hier als Naturwald gewählt haben."
Naturwald bleibt sich selbst überlassen
Seit inzwischen zwei Jahren sind 35 der insgesamt 1.500 Hektar im Sulzschneider Wald als Naturwald ausgewiesen. Das heißt: Das Waldstück wird nicht mehr bewirtschaftet. Es wird kein Holz mehr gefällt und nichts mehr nachgepflanzt. "Diese Fläche wird sich selbst überlassen", erklärt Stephan Kleiner, Bereichsleiter Forsten am Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten Kaufbeuren. "Man wird dort nicht mehr eingreifen - nur sofern es Waldschutzmaßnahmen erforderlich machen."
Besucher sollen Natur im Wald erleben
Das heißt: Die Natur kann sich auf den 35 Hektar frei entfalten. Nur bei einer Gefahr für die Wege, oder wenn der Borkenkäfer zuschlägt und es gefährlich für angrenzende Waldstücke wird, dürfen die Förster Hand anlegen. Ansonsten macht die Natur hier, was sie will. Das bedeute aber nicht, dass der Mensch ausgesperrt wird. Im Gegenteil: Der Besucher solle in den Naturwäldern auch die wilde Natur erleben dürfen, sagt Forstdirektor Kleiner. "Natürlich darf man noch in den Naturwald hinein und auch Pilze oder Beeren sammeln. Das Betretungsrecht wird durch die Naturwaldausweisung nicht eingeschränkt."
Naturwald als Baustein für den Artenschutz
Insgesamt zehn Prozent der Staatswälder sollen über ganz Bayern verteilt bis 2023 Naturwälder werden - eine Fläche zehn Mal so groß wie der Chiemsee. So hat es der Landtag als Folge aus dem Volksbegehren "Rettet die Bienen" beschlossen. Die Wälder sollen Lebensraum für viele bedrohte Tier- und Pflanzenarten sein. Und laut dem Forstministerium auch dem Naturerleben aller Bürger dienen.
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Die Naturwälder sind aber auch eine Referenzfläche für den Klimawandel: Die Förster können hier sehen, ob ein Wald ohne jede Bewirtschaftung besser dem Klimawandel trotzen kann als ein Wald, in dem der Mensch gezielt eingreift. "Da wird man mit Sicherheit sehr gute Schlüsse ziehen können", glaubt Forstdirektor Kleiner. "Insgesamt ist das eine ganz spannende Fragestellung."
Grünes Netzwerk über Bayern verteilt
Die Naturwälder liegen über ganz Bayern verteilt und sollen ein grünes Netzwerk bilden. Der Sonthofener Forstbetriebsleiter Jann Oetting hält diese Verteilung auch für sinnvoll: Bei vielen kleinen Flächen seien die so genannten Randeffekte deutlich größer als bei einem einzelnen großen Schutzgebiet. "Die Nachbarn, die profitieren, sind bei einer großen Fläche nur wenige", sagt Oetting. "Wenn wir aber überall das schrotschussartig verteilt haben, gibt es ganz viele Nachbarn, die profitieren können"
Förster wollen Entwicklung genau beobachten
Wie sich der Naturwald im Sulzschneider Forst ohne menschliches Eingreifen entwickelt - das wird man erst in vielen Jahren sagen können. Für die Förster wie Jann Oetting bleibt es ein spannendes Experiment mit ungewissem Ausgang. "Wird das Moor es hier schaffen, das Wasser zu halten? Oder wird sich die Fichte wieder ein Stück weit nach vorn kämpfen und Land gewinnen im wahrsten Sinne des Wortes?" Das wollen der Forstbetriebsleiter und seine Kollegen in den kommenden Jahren genau beobachten. "Aber wohin sich das entwickelt – das traue ich mich heute noch nicht zu sagen."
58.000 Hektar ausgewiesenen Naturwald gibt es inzwischen in Bayern. Bis 2023 sollen weitere Flächen dazukommen. Zusammen mit den bewaldeten Kernzonen der beiden Nationalparke ist laut dem Forstministerium das waldgesetzlich verankerte Flächenziel, zehn Prozent der Staatswaldfläche bis zum Jahr 2023 aus der forstlichen Bewirtschaftung zu nehmen, aber bereits erreicht.