Viele Münchner Eltern sind verunsichert: Wer seine Kinder in einer privaten Kita betreuen lässt, könnte ab Herbst erheblich höhere Beiträge zahlen müssen. Denn ab dem 1. September tritt das neue Münchner Kita-Fördersystem in Kraft, das Defizitmodell.
Manche privaten Kita-Träger wollen allerdings nicht ins Modell einsteigen, weil sich der Betrieb einer Tagesstätte nicht mehr lohnen würde. Die Befürchtung: Die Kosten für die Betreuungsplätze würden zu einem Großteil an die Eltern weitergegeben.
Petition und Demonstrationen gegen das neue Fördermodell
Nicole Heldeisen aus dem Münchner Westen hat vor der entscheidenden Stadtratssitzung eine Demonstration mit etwa 100 Eltern und deren Kindern organisiert. Die Mutter eines Vierjährigen befürchtet enorme Kostensteigerungen in ihrem privaten Kindergarten. Von 145 Euro könnte die Betreuung des Sohnes ab September auf einen Monatsbeitrag von 900 Euro steigen. "Lohnt es sich da noch in München zu wohnen und zu arbeiten?", fragt sich Nicole Heldeisen.
Eltern von 7.000 bis 8.000 Münchner Kindern seien von der Umstellung des Fördersystems betroffen – und damit von den drohenden hohen Beiträgen. Nicole Heldeisen hat im Kampf gegen das Defizitausgleichsverfahren eine Petition gestartet: 11.000 Unterschriften hat sie gesammelt, doch der Stadtrat hat das neue Fördermodell trotzdem verabschiedet.
Nachbesserungen am neuen Fördersystem
Für die regierenden Grünen und den SPD-Stadtrat war es dagegen ein "guter Tag für fast alle Münchner Eltern" wie es in einer gemeinsamen Pressemitteilung der Fraktion heißt. Während der manchmal lauten Debatte im Münchner Rathaus verteidigte der Grüne Fraktionsvorsitzende Sebastian Weisenburger das neue Fördersystem mit großem Einsatz. Er habe zwar Verständnis für die Sorgen der Eltern, verwies aber darauf, dass manche Träger mit "schaurigen Zahlen" arbeiten würden.
Außerdem habe man am neuen System nachgebessert: So werde etwa die Verpflegungspauschale, die die Stadt zahlt, von drei Euro auf 3,50 Euro pro Kind angehoben. Außerdem habe man die Erstattung von Verwaltungskosten weiter angehoben, so Weisenburger. Zudem sieht der Stadtratsbeschluss vor, Härtefälle großzügig zu behandeln – sollten beispielsweise kleine private Kitas in finanzielle Schieflage geraten, werde die Stadt aushelfen.
In Richtung Stadtrats-CSU und vor allem in Richtung Freistaat gab es Vorwürfe von den Stadtrats-Grünen und SPD: Der Freistaat müsste mehr als nur etwa 60 Prozent der Kinderbetreuungsgebühren übernehmen und außerdem einen Gebührendeckel für Kitas beschließen.
CSU: Frauen als Fachkräfte, nicht zurück an den Herd
Die CSU kritisiert in der Debatte den Zeitplan für das neue Fördersystem: Eine Umstellung bis September sei realistischerweise nicht zu schaffen. Problematisch bleibe außerdem für die privaten Kinderbetreuungseinrichtungen und deren Träger, dass sie Gewinne für den laufenden Betrieb bräuchten. Die möglichen höheren Kosten würden zu einer Spaltung der Stadtgesellschaft führen, so die bildungspolitische Sprecherin der CSU-Fraktion.
Stadträtin Gaßmann, sozialpolitische Sprecherin, schrieb in einer Pressemitteilung: "Wir weigern uns, ein System mitzutragen, das Frauen zurück in alte Rollenbilder drängt. Wir möchten die arbeitenden Mütter als Fachkräfte weiterhin erhalten und nicht wieder zurück an den häuslichen Herd drängen."
Wirtschaftlichkeit im neuen Fördersystem?
Vor der endgültigen Entscheidung im Münchner Stadtrat hatte der Dachverband Bayerischer Träger für Kindertageseinrichtungen immer wieder Kritik an der neuen Förderformel geäußert. Zum Bayerischen Rundfunk sagte der Geschäftsführer - und CSU-Landtagsabgeordnete - Andreas Lorenz, als privater Träger könne man nicht umsonst die Arbeit der Stadt machen. Schließlich koste nach Angaben des Verbandes ein Vollkosten-Betreuungsplatz 1.900 Euro.
60 Prozent komme vom Freistaat über das Bayerische Kinderbildungs- und -betreuungsgesetz (BayKiBiG) – dann blieben immer noch knapp 800 Euro, die im alten System von Eltern und Stadt getragen würden. Im neuen System wirtschaftlich zu bleiben, werde laut Dachverband aber sehr schwer. Andreas Lorenz glaubt, dass die neuen Defizitausgleichsverfahren vor Gericht keinen Bestand haben werden – so wie 2021 die Münchner Förderformel, die vom Münchner Verwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt wurde.
Teure Zukunft oder alles nicht so schlimm?
Wie genau es jetzt für Eltern von Kindern in privaten Einrichtungen weitergeht, das kann keiner mit Sicherheit voraussagen. Bisher waren nach Angaben der Stadt 95 Prozent der Münchner Kinder in Betreuungseinrichtungen der Münchner Förderformel, so dass Eltern höchstens 250 Euro zahlen mussten.
Vertreter der privaten Träger gehen im schlimmsten Fall von neuen Defizitausgleichsverfahren von bis zu über 1.000 Euro für einen Kita-Platz aus. Nach diesen Schätzungen würden etwa die Hälfte der privaten Kindertagesstätten nicht mehr ins neue System eintreten. Das wären 15 Prozent aller Münchner Betreuungsplätze, also etwa 8.000.
Die Rathaus-Koalition von Grün-Rot sieht die Zukunft weniger düster. Neben den Anreizen für private Träger (höhere Verpflegungskostenpauschale, Verwaltungskostenerstattung) und der Hoffnung, dass dadurch sehr viel mehr Kitas als befürchtet bis September ins neue System wechseln, verweisen die Koalitionäre auch auf die mögliche finanzielle Unterstützung im Fall, dass die Betreuungskosten stark steigen. Auch bei Familien mit mittleren Einkommen könne die Wirtschaftliche Jugendhilfe Kitagebühren übernehmen.
- Zum Artikel: Personalmangel in Kitas: Kaum Daten, wenige Lösungen
Dieser Artikel ist erstmals am 28. Februar auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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