Kita-Kinder mit Betreuerinnen in München (Symbolbild)
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Personalmangel in Kitas: Kaum Daten, wenige Lösungen

Personalmangel in Kitas: Kaum Daten, wenige Lösungen

Rund ein Viertel der Jugendämter in Bayern hat keinen Überblick, wie oft Personalmangel in Kitas erhebliche Folgen für die Betreuung hat. Eltern und Kommunen suchen Lösungen für ein Problem, das die Behörden nicht einmal vollständig beziffern können.

Über dieses Thema berichtet: BR24 im Radio am .

Die Gewerkschaft Verdi ruft seit Oktober zu wöchentlichen Mahnwachen auf, um auf den Personalmangel in Kindertagesstätten und die Folgen für die Kinder und Familien aufmerksam zu machen. Erzieher und Erzieherinnen, Kinderpflegerinnen und -pfleger berichten, dass sie keine Toiletten- oder Esspausen machen können, weil die Kinder sonst allein wären.

Alles Einzelfälle? Der BR hat in Kooperation mit dem Recherchenetzwerk "CORRECTIV.Lokal", dem Internetportal "FragDenStaat" und weiteren Regional- und Lokalmedien aus ganz Deutschland eine Umfrage unter Aufsichtsbehörden für Kindertagesstätten durchgeführt.

Wir wollten wissen: Wie häufig waren Kitas in Bayern im vergangenen Kita-Jahr, von August 2022 bis Juli 2023, von Personalengpässen betroffen, die dazu führten, dass die vereinbarte Betreuung nicht mehr sichergestellt werden konnte. Die Träger der Kitas sind dazu verpflichtet, solche Fälle, in denen Kinder früher nach Hause geschickt werden müssen, oder ganze Gruppen schließen, an ihre Aufsichtsbehörde zu melden. In der Regel handelt es sich dabei um die örtlichen Jugendämter oder, bei kommunalen Kitas um die Bezirksregierungen.

Mindestens 3.900 Meldungen in einem Jahr

Im Kita-Jahr 2022/2023 gab es insgesamt mindestens 3.957 solcher Meldungen in Bayern. Einzelne Städte und Landkreise verzeichneten mehr als 100 einzelne Vorkommnisse in diesem Zeitraum. Die Folgen waren in vielen Fällen eine Verkürzung der Betreuungszeiten, Teil- oder Gruppenschließungen oder komplette Schließungen von Einrichtungen. Häufig meldete eine Kita mehrmals. Nur neun kreisfreie Städte und Landkreise gaben an, keine einzige solche Personalausfall-Meldung im vergangenen Kita-Jahr erhalten zu haben.

Unvollständiger Daten-Überblick

Das alles ist aber nur die Spitze des Eisbergs - die tatsächlichen Zahlen liegen vermutlich deutlich höher: Für 21 von 96 kreisfreien Städten und Landkreise in Bayern konnten überhaupt keine Daten übermittelt werden. Die Behörden gaben als Gründe unter anderem an, dass es keine gesetzliche Verpflichtung gebe, die Meldungen statistisch auszuwerten oder, dass es ihnen an personellen Ressourcen fehle.

Dunkelfeld kann nicht beziffert werden

Hinzukommt: Es kann nicht garantiert werden, dass die Meldungen vollständig sind, die den Behörden vorliegen. Gespräche mit Jugendämtern, Kita-Mitarbeitenden und Eltern ergaben, dass die Träger die Meldepflicht unterschiedlich streng auslegen oder dass Meldungen bewusst vermieden werden. So formulieren Kitas eine Einschränkung der Öffnungszeiten beispielsweise als einfachen Vorschlag oder Bitte, die Kinder frühzeitig abzuholen.

Einige Jugendämter schreiben, dass Personalausfälle zum Beispiel keine Meldung zur Folge haben, wenn durch Mehrarbeit des vorhandenen Personals der Bedarf gedeckt werden kann. Deshalb sind auch die vorliegenden Fälle nur Mindestzahlen – das Dunkelfeld lässt sich nicht beziffern.

Die gesetzliche Grundlage

Nach Paragraph 47 SGB VIII sind Träger einer erlaubnispflichtigen Einrichtung – also beispielsweise Kinderkrippen, -gärten oder -horte – dazu verpflichtet, ihrer zuständigen Aufsichtsbehörde zu melden, wenn eine Schließung bevorsteht oder es Entwicklungen gibt, die das Wohl der Kinder beeinträchtigen könnten.

Jugendämter sehen das Wohl der Kinder zum Beispiel dann gefährdet, wenn der Anstellungsschlüssel beziehungsweise die Fachkräftequote nicht erfüllt werden. Die Betreuung der Minderjährigen muss durch fachlich geeignete Kräfte jederzeit sichergestellt sein. Bei einer Unterschreitung der Mindestanzahl sollen die Aufsichtsbehörde die Träger beraten und mit ihnen Maßnahmen abstimmen.

Vereinfacht gesagt: Im Kindergarten dürfen auf eine pädagogische Angestellte oder einen pädagogischen Angestellten maximal elf Kinder kommen, in der Krippe sind es halb so viele. Generell muss mindestens die Hälfte der Arbeitszeit durch Erzieher und Erzieherinnen oder Sozialpädagogen und -pädagoginnen geleistet werden – also nicht etwa durch andere Kräfte wie Küchenhilfen.

Was wir wissen im Überblick: So sieht es in Ihrem Landkreis aus

Symptome und Lösungsansätze des Personalnotstands finden sich in Städten und Landkreisen ohne und mit Datenüberblick. Die Frage ist: Kann ohne Informationen angemessen reagiert werden?

In Ingolstadt zum Beispiel kamen im Kita-Jahr 2022/2023 im Schnitt 2,7 Meldungen auf eine Einrichtung – insgesamt 438. Sechsmal wurde dem Amt für Jugend und Familie der Stadt Ingolstadt oder der Regierung von Oberbayern eine bevorstehende Schließung gemeldet, 248 Mal eine Reduzierung der Öffnungszeit und 206 Mal eine Teil- oder Gruppenschließung.

Auf Anfrage des BR schreibt die Stadt, dass man um die schwierige Situation wisse und bereits Gegenmaßnahmen eingeleitet habe. "Die Stadt Ingolstadt hat in den vergangenen Monaten große Anstrengungen unternommen und mit vielfältigen Maßnahmen versucht, fehlende Fachkräfte für Kinderbetreuung zu gewinnen", teilt ein Sprecher mit. Aktuell hätten in Ingolstadt 21 Kinder keinen Betreuungsplatz, im Herbst 2022 seien es noch 240 gewesen. Das Problem hänge aber – wie überall in Deutschland – mit den fehlenden Fachkräften zusammen.

In Franken fehlen laut Behörden viele Auszubildende

Auch zwei mittelgroße Städte in Ober- und Mittelfranken stachen in der Datenanalyse heraus: In Erlangen, Bamberg und den jeweils umliegenden Landkreisen gab es im vergangenen Jahr überdurchschnittlich viele Meldungen im Verhältnis zu den Kindertageseinrichtungen.

In der Stadt Erlangen waren es 186 Meldungen – durchschnittlich 1,4 pro Einrichtung. Derzeit seien zehn Vollzeitstellen nicht besetzt, die aber auch durch mehr Teilzeitkräfte besetzt werden könnten, schreibt die Stadt auf BR-Anfrage. Hinzukämen zehn unbesetzte Ausbildungsplätze. Das Problem versuche die Stadt durch zahlreiche Maßnahmen wie Werbung bei Ausbildungsmessen oder an Fachakademien für Sozialpädagogik und Schulen in Erlangen einzudämmen.

Quereinsteiger und ausländische Fachkräfte könnten Situation entspannen

Für Augsburg gab es auf die aktuelle Datenanfrage hin nur Rückmeldungen zu den 62 Kitas, die der Regierungsbezirk Schwaben beaufsichtigt. Das Jugendamt der Stadt antwortet: Man habe keine ausgewerteten Zahlen, dies sei gesetzlich auch nicht vorgeschrieben. Diese Behörde kann also nicht angeben, wie oft im vergangenen Jahr die Kitas eine Meldung in Folge schwerer Personalausfälle gemacht haben. Dass die Situation in den Kitas angespannt ist, dessen ist man sich im Augsburger Rathaus trotz Mangel an Zahlen aber durchaus bewusst. Die Stadt versucht mit mehreren neuen Methoden, dem Missstand beizukommen.

Es werden zum Beispiel gezielt Fachkräfte aus dem Ausland, etwa aus Spanien, angeworben. Diese haben zum Teil umfangreiche Fachausbildungen oder Studiengänge absolviert – die in Deutschland aber oft nicht anerkannt werden. So kommt es vor, dass eine voll ausgebildete Lehrerin anfangs nur als Aushilfskraft in der Kindertagesstätte arbeiten kann. Das hilft der Einrichtung nur wenig bei Einhalten des vorgeschriebenen Personalschlüssels – und bedeutet eine schlechtere Bezahlung für die ausgebildete Fachkraft.

Seit einiger Zeit gibt es in mehreren Städten Bayerns, unter anderem auch in Augsburg, ein Angebot für Quereinsteiger und Quereinsteigerinnen: Eine Weiterbildung, während der sie bereits in den Kitas mitarbeiten und einen Verdienst bekommen können. Das ist kein Standard: Während angehende Erzieher und Erzieherinnen ein Ausbildungsgehalt bekommen, gehen Kinderpflegerinnen und -pfleger leer aus. Wer den Job in der Kita attraktiver machen möchte, müsse das ändern, sagt Aline Gottschalk von der Gewerkschaft Verdi im Bezirk Augsburg. Erzieherinnen und Erzieher übernehmen als pädagogische Fachkräfte häufig zusätzlich organisatorische Aufgaben in der Kita. Kinderpflegerinnen und -pfleger sind daher ein wichtiger Teil des Teams. Sie führen als pädagogische Ergänzungskräfte beispielsweise Bildungsangebote durch und übernehmen pflegerische Tätigkeiten.

Eltern springen aus Not selbst als Betreuung ein

Im Landkreis Starnberg gibt es beinahe verzweifelte Reaktionen auf die große Personalnot. Anfang 2023 hat der Elternbeirat einer Kita des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) in Eigenregie eine Art Notfalldienst eingerichtet. Insgesamt sieben Eltern gaben Tage oder bestimmte Zeitfenster an, an denen sie aushelfen könnten, falls eine der Erzieherinnen ausfällt. Ohne Schulung, ohne rechtliche Absicherung und ohne Anzeichen des BRK, etwas an der Lage ändern zu wollen. "Wir sind munter eingesprungen, aber wir wollten kein Personalersatz sein", berichtet Rebecca Albat, die damals Mitglied im Elternbeirat war.

Lösungsansätze ohne Datengrundlage nicht möglich?

Lange blieb die Situation einfach bestehen – obwohl die Eltern sich irgendwann auch an die Stadt Starnberg, an das Jugendamt und sogar das bayerische Sozialministerium wandten. Mittlerweile ist die Kita geschlossen, fast alle Erzieherinnen - und die meisten Eltern - haben gekündigt.

Dass viele Landkreise keine konkreten Zahlen zu Personalausfällen liefern konnten, verwundert Rebecca Albat nicht. Die Unternehmensberaterin hält diesen Mangel an Information für "fatal" und macht einen praktischen Vergleich: "Wenn ich doch nicht weiß, wie viel Geld ich auf dem Konto habe, dann weiß ich auch nicht, was ich ausgeben kann." Dieses wirtschaftliche Denken fehle aus ihrer Sicht bei vielen Regelungen und Gesetzgebungen, die in jüngster Zeit in Sachen Kinderbetreuung in Kraft traten. "Warum funktioniert es seit über zehn Jahren nicht? Weil eben gar keine Daten da sind."

Situation wird sehr unterschiedlich bewertet

Das bayerische Staatsministerium für Familie, Arbeit und Soziales geht anhand einer Studie derzeit von 4.400 benötigten Fachkräften für die Betreuung von Grundschulkindern und weiteren 14.400 Fachkräften für die Betreuung von Kindern unter sechs Jahren aus.

Bis 2029 werde der Bedarf um weitere 2.000 bis 5.200 Fachkräfte für alle Betreuungsbereiche steigen. Sozialministerin Ulrike Scharf (CSU) sieht die Lage trotzdem vorsichtig optimistisch: Der Personalbedarf könne – wenn die Einstellungen weiter konstant blieben – bereits 2026 gedeckt sein.

Die Gewerkschaft Verdi dagegen sieht keine Entspannung der Lage und ruft auch in Bayern weiter zu Mahnwachen auf. "Es muss von Seiten der Politik endlich Verantwortung übernommen werden. Wir erwarten, dass von höchster politischer Ebene ein Kita-Gipfel veranstaltet wird, auf dem zwischen Bund, Ländern und Kommunen die Stabilisierung des Kita-Systems, ein Stufenplan für den quantitativen und qualitativen Ausbau und der damit verbundene notwendige Aufbau des Fachpersonals aufeinander abgestimmt und Finanzen entsprechend bereitgestellt werden", fordert die stellvertretende Verdi-Vorsitzende Christine Behle.

Transparenz-Hinweis: Das Landratsamt Starnberg antwortete auf die Datenanfrage zunächst, dass es keine Ressourcen gebe, um die Zahlen zu ermitteln. Am Tag der Veröffentlichung dieser Recherche lieferte die Behörde um 15:13 Uhr dann doch die Anzahl der Meldungen infolge erheblicher personeller Ausfälle. Daraufhin änderte die Redaktion die Angaben in den Grafiken und im Text zum Landkreis Starnberg und korrigierte auch die Mindestgesamtzahl der Meldungen und die Zahl der Landkreise und kreisfreien Städte, für die keine Daten vorliegen.

Diese Recherche ist Teil einer Kooperation des Bayerischen Rundfunks mit CORRECTIV.Lokal, einem Netzwerk für Lokaljournalismus, das datengetriebene und investigative Recherchen gemeinsam mit Lokalredaktionen umsetzt. CORRECTIV.Lokal ist Teil des gemeinnützigen Recherchezentrums CORRECTIV, das sich durch Spenden finanziert. Mehr zur Recherche: kitanotstand.de

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