Kerzen und Blumen in der Nähe des Tatorts
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Messerstiche vor Würzburger Disko: Auch Monate nach der Bluttat stehen noch Blumen und Kerzen in der Nähe des Tatorts.

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Notwehr oder Totschlag: Wie kam es zu Messerstichen vor Disko?

Was führte dazu, dass ein 22-Jähriger mit einem Messer tödlich auf einen 28-Jährigen einstach? Dieser Frage geht das Landgericht Würzburg derzeit nach. Immer wieder schießen Zeugen Tränen in die Augen. Doch die Suche nach der Wahrheit ist schwierig.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Mainfranken am .

Schon als Kind sei er ein Sonnenschein gewesen. Ruhig, hilfsbereit, mit einem großen Freundeskreis. Erstaunlich gefasst spricht der Vater über seinen Sohn. Es ist ein Termin, wie ihn niemand erleben möchte, der Kinder hat. Der Mann sitzt als Zeuge am Landgericht Würzburg. Dort verhandeln Juristen seit Beginn der Woche zu einer Gewalttat, die ein großes Echo erzeugte. Im September vergangenen Jahres wurde der Sohn des 54-Jährigen in der Nähe einer Würzburger Diskothek mit Messerstichen getötet.

Hobbys: Musik hören und tanzen

Hunderte Menschen versammelten sich wenige Tage nach der Tat zu einer Gedenkveranstaltung. Der 28-Jährige war vielen in der Würzburger Partyszene bekannt. Selten habe er Alkohol getrunken, sagen mehrere Zeugen. Seine Hobbys: "Musik hören und tanzen. Schlafen. Und feiern gehen", erinnert sich eine Zeugin.

Warum wird ausgerechnet jemand wie der 28-Jährige, den viele als durchweg gute Seele beschreiben, Opfer eines solchen Gewaltverbrechens? Das Landgericht Würzburg geht dieser Frage nun nach. Doch die Suche nach einer Antwort verläuft an den ersten Verhandlungstagen auffällig schwierig.

Verteidiger: Angeklagter wollte sich schützen

Einerseits scheint zu Prozessbeginn vieles bereits geklärt. Der 22 Jahre alte Angeklagte hat die Tat eingeräumt. Er war zum Tatzeitpunkt in den frühen Morgenstunden vor der Würzburger Diskothek "Studio". In der Tasche hatte er ein Klappmesser, das er wohl legal mit sich führen durfte. Er wolle für die Tat Verantwortung übernehmen.

Andererseits sind die genauen Umstände, wie es zu den Stichen kam, weiterhin unklar. Der 22-Jährige war stark alkoholisiert. Zuvor soll es einen Tumult gegeben haben. Ein Video zeigt, wie ein Mann den Angeklagten schubst. Ärzte protokollierten bei ihm Verletzungen, unter anderem im Bereich des Kopfes. Die Verteidiger des 22-Jährigen verlasen im Prozess eine Erklärung. Darin hieß es: An die entscheidenden Momente, also die Messerstiche, habe der Angeklagte keine Erinnerung. Zuvor sei er bedrängt, geschlagen und getreten worden. Er habe in Panik zum Messer gegriffen, in einer Art Notwehr. "Um sein eigenes Leben zu schützen", wie sein Verteidiger Peter Möckesch sagt.

Vorwurf der Staatsanwaltschaft lautet auf Totschlag

Sollte sich die Version der Verteidigung bewahrheiten, würde das Urteil deutlich milder ausfallen als zunächst vermutet. Der Vorwurf des Totschlags, wie ihn die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage formuliert, wäre dann wahrscheinlich nicht haltbar.

Das Landgericht Würzburg hat deshalb mehr als 50 Zeugen geladen. Noch während der Verhandlung sucht die Kammer nach weiteren "Puzzlestücken", um sich ein vollständiges Bild zu verschaffen. Am dritten Verhandlungstag beispielsweise fiel mehrfach der Name eines engen Freundes des Todesopfers. Dieser Freund saß selbst im Saal. Der Vorsitzende Richter Thomas Schuster machte den Zuhörer kurzerhand zum Zeugen – und zitierte ihn nach vorne. Der 27-Jährige schilderte, dass er seinen verstorbenen Freund nie handgreiflich erlebt habe. Mehrfach ließen sich die Richter am Schwurgericht die Namen möglicher weiterer Zeugen diktieren.

Belastende Situation für viele Zeugen

Für diejenigen, die nun aussagen müssen, wirkt all das nicht einfach. Immer wieder fließen Tränen. Eine Zeugin kannte sowohl den Getöteten als auch die Familie des Angeklagten. Die Situation im Zeugenstand belastet sie merkbar. Dennoch muss sie im Gerichtssaal mehr als zwei Stunden lang Fragen beantworten. Von Richtern, Staatsanwalt, Vertretern der Geschädigten und den Verteidigern. Denn die Frau gilt als besonders wichtige Zeugin. Aus wenigen Metern Entfernung sah sie, wie der Angeklagte das erste Mal zugestochen hat. Das spätere Opfer soll ihn aufgefordert haben, die Örtlichkeit zu verlassen. "Geh, bitte geh", habe der 28-Jährige noch zu ihm gesagt.

Widersprüchliche Aussagen, schwierige Rekonstruktion

Die Schwierigkeit für das Gericht besteht auch darin, dass sich die verschiedenen Aussagen zum Teil unterscheiden oder gar widersprechen. Zu dem Tumult vor der Diskothek gibt es verschiedene Versionen. Manche stützen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft, manche die Darstellung der Verteidiger. Teils handelt es sich um eigene Beobachtungen, teils um Informationen vom Hörensagen. Manche Zeugen sagen, dass sie in der Tatnacht selbst Alkohol getrunken hatten. Manche berichtigen im Prozess Aussagen, die sie zuvor bei der Polizei getätigt hatten.

"Es wird nicht möglich sein, ein Ergebnis im Verfahren zu erreichen, das die Familie aussöhnt, mit dem, was passiert ist", sagte Christian Cazan zu Prozessauftakt. Er unterstützt als Rechtsanwalt die Familie des Opfers. Bis in den Herbst könnte der Prozess noch dauern. Eine Entschuldigung des 22-Jährigen wollte der Vater des Todesopfers derweil nicht annehmen. Er halte sie nicht für glaubhaft. Nach seinem schweren Gang in den Zeugenstand wird er nun als Nebenkläger am Prozess teilnehmen.

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Bis in den Herbst 2024 will das Landgericht Würzburg der Frage nachgehen, warum ein 22-Jähriger einen 28-Jährigen vor einer Disco erstochen hat.

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