Die eisigen Nächte von Montag bis Mittwoch Anfang der Woche gehörten bislang zu den kältesten des Jahres 2022. Es war sogar so kalt, dass der Deutsche Wetterdienst (DWD) eine amtliche Warnung herausgegeben hat - und zwar fast für ganz Bayern.
Besonders zapfig ging es auch in München zu. Am Dienstag, 13. Dezember, waren die Temperaturen schon gegen 18 Uhr weit unter Null, und zwar bei fast minus zehn Grad. Alleine an der östlichen Sonnenstraße - etwa vierhundert Meter zwischen Stachus und Sendlinger Tor - befanden sich zu diesem Zeitpunkt drei obdach- oder wohnungslose Menschen auf der Straße. Unter ihnen eine Frau aus der Ukraine, die kein Deutsch verstand. Sie saß vor einem Schaufenster auf einer alten Matratze und unterhielt sich auf Ukrainisch mit einem älteren Mann, der ein paar Meter weiter lag. Wusste die Frau, wo es in München Notunterkünfte oder andere Hilfsangebote gibt? Wie kann in dieser Situation geholfen werden?
- Zum Artikel: Obdachlose kämpfen ums Überleben
Kältebus München: "Keine 24-Stunden-Nothilfe-Einrichtung"
Erster Impuls: Den Münchner Kältebus rufen. Wie in vielen anderen großen Städten fährt der Bus abends und nachts typische Plätze von Obdachlosen ab und versorgt die Menschen auf der Straße mit Getränken oder Decken. An diesem eiskalten Dienstagabend war die Nummer jedoch nicht erreichbar. Ein Blick auf die Facebook-Seite der ehrenamtlichen Einrichtung erklärt: "Der Kältebus München ist ausdrücklich KEINE 24-Stunden Nothilfe-Einrichtung und wir können auch keine Personen transportieren und es kann sich auch niemand in unserem Fahrzeug aufwärmen. Auch können wir keine medizinische Hilfe leisten."
Daraufhin folgte ein Anruf bei der Notrufnummer 112. Ein Mitarbeiter der Leitstelle erklärte, dass diese Nummer zwar grundsätzlich die richtige Anlaufstelle sei, die Einsatzkräfte normalerweise aber nur ausrücken, wenn die Gesundheit in Gefahr ist. Der Tipp des Mitarbeiters: Bei Obdachlosen in der Kälte, die ansprechbar und nicht sichtbar verletzt, krank oder unterkühlt sind, besser erst einmal die 110 rufen.
Polizeileitstelle: "Nicht scheuen, auch in solchen Fällen die 110 zu wählen"
Bei der Polizeileitstelle 110 meldete sich binnen weniger Sekunden ein weiterer Mitarbeiter. Er erklärte sofort, eine Streife der Münchner Polizei vorbeischicken zu wollen. "Wenn die beiden Menschen auf der Sonnenstraße aus der Ukraine sind, dann haben sie auch Anspruch auf einen Schlafplatz in einer Flüchtlingsunterkunft", so der Beamte. Zudem gebe es ja noch die Notunterkunft für Obdachlose.
Der Mitarbeiter an der Leitstelle erklärte weiter, dass die Kollegen der Polizeisteife das Übernachtungsangebot unverbindlich vorschlagen und die Betroffenen auch direkt hinbringen würden - sofern sie das selbst wollen. Wichtig wäre es deshalb, beim Absetzen des Notrufs nicht nur die Straße, sondern auch die genaue Hausnummer anzugeben. Damit die Einsatzkräfte die betreffenden Personen dann schneller finden könnten.
Zum Schluss teilte der Beamte noch mit: "Nicht scheuen, auch in solchen Fällen die 110 zu wählen. Lieber einmal zu viel als zu wenig." Bedenken, dass mit solchen Anrufen die Nummer für andere lebensrettende Einsätze blockiert werde, seien unbegründet: "Wir sind ja hier, um zu sortieren und zu gewichten."
Polizei München: "Bei diesen Temperaturen sind 110 und 112 die richtige Wahl"
War es nun richtig oder nicht, im Fall der Ukrainisch sprechenden Frau auf der Sonnenstraße die Polizei zu rufen? Auf Twitter gehen die Meinungen da auseinander. Eine Frau kommentiert beispielsweise: "Gut gemeint ist nicht immer das beste. Bitte lösche deinen Tweet, denn die Polizei zu rufen ist das schlimmste!" Wie sie zu dieser Einschätzung kommt, erklärt sie in einem weiteren Tweet: "Denn die helfen in den seltensten Fällen. Meistens gibt es Platzverweise. Eben weil die Polizei verhindern will, dass sich Passanten wegen schlafenden Obdachlosen Sorgen machen u. ständig anrufen." Die Frau auf Twitter beruft sich dabei auf ihre eigene Erfahrung. Laut eigener Angabe auf Twitter sei sie selbst einmal von Obdachlosigkeit betroffen gewesen.
Die Polizei München widerspricht ausdrücklich und setzte unter dem Kommentar der Userin ebenfalls einen Tweet ab: "Insbesondere bei diesen Temperaturen sind die Notrufnummern 110 und 112 die richtige Wahl. Höchste Priorität ist es, eine eventuelle Gefahr für Leib oder Leben abzuwenden. Zudem ist jede Form von Zivilcourage wertvoll", so die Polizei auf Twitter.
Auf BR-Anfrage teilte die Polizei München weiter mit: "Der Polizeinotruf, aber auch die Kolleginnen und Kollegen der Rettungsleitstelle nehmen solche Notrufe ernst. Wie Sie einigen Kommentaren entnehmen können, raten viele User davon ab, die Polizei zu verständigen. Das ist für uns nicht nachvollziehbar, da es hier im Ernstfall um Menschenleben geht und nicht um mögliche Verstöße. Die Polizei entscheidet vor Ort über das weitere Vorgehen und arbeitet mit Hilfsstellen zusammen, wie zum Beispiel dem Kältebus oder Teestuben."
Kältebusse bieten Erstversorgung, können jedoch keine Transportdienste leisten
Hilfsstellen wie Suppenküchen, Notunterkünfte für Obdachlose oder Kältebusse gibt es in vielen bayerischen Städten. Auch in Nürnberg fährt ein Kältebus abends die Straßen ab und versorgt Obdachlose mit warmen Speisen und Getränken, wasserfesten Planen oder Campingkochern. Ebenso wie in München können die Ehrenamtlichen des Nürnberger Kältebusses jedoch keine Fahrdienste in Notunterkünfte anbieten.
In Augsburg sieht es ähnlich aus. Sobald die Temperaturen ab November unter null Grad Celsius fallen, fährt der Kältebus des SKM (Katholischer Verband Soziale Dienste) öffentliche Plätze in der Stadt an und verteilt warme Getränke, Schlafsäcke oder Winterkleidung. Außerdem werden aufgefundene Personen an die Übergangswohnheime vermittelt. "Wir rufen in solchen Fällen die Polizei, die die Obdachlosen bei Bedarf in die Unterkünfte bringt", so eine Mitarbeiterin des Augsburger Kältebusses auf BR-Anfrage.
Mehr Bedürftige in Bayern, darunter viele Menschen aus der Ukraine
Wohnungs- und obdachlose Menschen sowie Bedürftige stehen gerade vor einem harten Winter. Laut Verena Zillig von der Stiftung Obdachlosenhilfe Bayern haben sich bei den Anlaufstellen wie Wärmestuben oder Tafeln zuletzt immer mehr Menschen gemeldet. Dies hänge vermutlich mit der schwierigen wirtschaftlichen Lage und den enormen Preissteigerungen zusammen, so die Einschätzung der Stiftung. Zudem seien unter den Hilfesuchenden viele Menschen, die aus der Ukraine geflüchtet seien.
Wie viele Obdachlose es derzeit überhaupt in den bayerischen Städten gibt, ist unklar. Das Münchner Sozialreferat schätzt die Zahl der Obdachlosen im Stadtgebiet auf etwa 550. Für sie unterhält die Landeshauptstadt Anlaufstellen, Essensangebote und Kleiderkammern. Zudem gibt es in der Stadt zahlreiche ehrenamtliche oder kirchliche Hilfsangebote, wie die Obdachlosenhilfe des Klosters St. Bonifaz. Auch auf dem Gelände der ehemaligen Bayern-Kaserne im Stadtteil Freimann können Obdachlose schlafen und duschen.
Wohnungslos waren nach Angaben der Stadt München zuletzt knapp 8.900 Menschen - dazu zählen auch Kriegsgeflüchtete. Der Krieg in der Ukraine habe zu einem deutlichen Anstieg der Wohnungslosenzahl geführt, teilte ein Sprecher des Sozialreferats mit. Die Betroffenen seien teils in der städtischen Wohnungslosenhilfe untergebracht, andere lebten in dezentralen Unterkünften, Gemeinschaftsunterkünften oder Einrichtungen von Hilfsverbänden.
Mit Informationen der dpa
💡 Wohnungs- oder Obdachlos?
Allgemein spricht man von "Wohnungslosen", wenn Menschen keine eigene Wohnung besitzen oder mieten und beispielsweise in Gemeinschafts-, Notunterkünften oder bei Freunden untergekommen sind. Als "Obdachlose" bezeichnet man Menschen, die keinen festen Wohnsitz und keine Unterkunft haben und daher meist im öffentlichen Raum übernachten.
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