50 Jahre Olympische Sommerspiele in München – dieses Jubiläum wird heuer gefeiert. Was viele nicht wissen: Der weltberühmte Olympiapark sollte eigentlich ein bisschen anders aussehen. Verändert hat die ursprünglichen Planungen ein Mann, der als Väterchen Timofej in die Münchner Geschichte eingegangen ist – und den Menschen dank seiner Sturheit ein Gartenparadies mit ungewöhnlichen Bauwerken hinterlassen hat.
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Schwarzbauten nach Marienvision
1952 hatte Timofej Wassiljewitsch Prochorow aus Russland mit seiner Lebensgefährtin Natascha das Gelände neben dem Schuttberg am Oberwiesenfeld sozusagen okkupiert und dort einfach gebaut: Aus Kriegsschutt und Fundmaterialien erschufen sie Wohnhaus, Kapelle, eine Kirche. Baugenehmigungen hatte er dafür nicht. Die Gottesmutter Maria habe ihm in einer Vision aufgetragen, für sie eine Kirche zu errichten, hatte er immer gesagt.
Reitanlage musste in Münchner Osten verlegt werden
Timofej ist auch nicht gegangen, als in den 1960er-Jahren genau dort der neue Olympiapark angelegt wurde. Für Alt-Oberbürgermeister Christian Ude, der den Einsiedler oft besucht hat, ist es bis heute eine unglaubliche Geschichte: "Er hat sich gegen die Bundesrepublik Deutschland, den Freistaat Bayern, die Landeshauptstadt München und das Olympische Komitee durchgesetzt", schmunzelt er. "Die Reitanlagen mussten in den Münchner Osten verlegt werden, damit er hier sein Paradies weiter aufrechterhalten konnte."
Abrissbirnen hätten Image zerstört
Geholfen hat ihm wohl auch, dass niemand das Image von den heiteren Spielen im neuen friedlichen Deutschland gefährden wollte. Ude erinnert sich an ein Gespräch mit Hans-Jochen Vogel, der Oberbürgermeister von München war, als der Olympiapark entstand. "Da durften doch nicht plötzlich gepanzerte Fahrzeuge mit Abrissbirnen gegen eine Kirche vorgehen", habe Vogel gesagt, "das wären doch entsetzliche Bilder gewesen."
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Jahrzehnte später wurden die Schwarzbauten legalisiert. Sie stehen bis heute inmitten eines herrlichen Obstgartens, und auch das Sommer-Kulturfestival "Tollwood" wird immer darum herum aufgebaut. Der technische Leiter, "Biwi" Labermeier, hat hier schon zu Lebzeiten Timofejs immer wieder Kraft getankt. Man habe mit ihm gar nicht viel reden müssen, erinnert er sich. Allein die Ruhe, die der alte Mann ausgestrahlt habe, sei "immer recht angenehm" gewesen.
Kirchendecke aus Schokoladenpapier
Sergey Kaiser, den Timofej zu seinem Nachfolger bestimmt hat, kommt täglich, um die Anlage und die kleine Kirche, die Väterchen Timofej und Natascha mit ihren eigenen Händen errichtet haben, zu pflegen. Es ist ein eigenwilliges Gotteshaus – voll mit Bildern, Plastikblumen, Kerzen und Devotionalien aller Art. Christbaumkugeln baumeln an einem Kronleuchter unter der silbern tapezierten Decke. Es sei "Schokoladenpapier und Alufolie", erzählt Kaiser, alles "Fantasie von Väterchen Timofej".
2004 ist der Eremit gestorben – angeblich im Alter von 110 Jahren. Heute kümmert sich eine Stiftung um das Gelände, die Türen sind täglich geöffnet. Es kämen Besucher aus aller Welt, und eine Ost-West-Friedenskirche sei heute eigentlich nötiger denn je, findet Sergey Kaiser: Verbindungen zwischen unterschiedlichen Religionen, Kulturen, Mentalitäten und Charakteren zu schaffen, "das ist heute sehr aktuell".
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