Fast 300.000 Euro hatte die 32-Jährige ergaunert – durch fingierte Rechnungen an einen Pflegedienst in Seeg und die Kasse, die das Geld aus dem Corona-Rettungsschirm verwaltete. Das gab die Angeklagte heute in der Verhandlung vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth unumwunden zu. Sie legte ein umfassendes Geständnis ab und hatte auch schon im gesamten Betrugsverfahren an der Aufklärung mitgewirkt und der Polizei wichtige Hinweise gegeben. Deshalb verurteilte sie das Gericht nur zu einer Strafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung – eine sehr milde Strafe, wie der Vorsitzende Richter betonte.
Geld aus Betrug sollte Schulden tilgen
Das Geld, das sich die Frau des Pflegedienstleiters von Seeg unrechtmäßig aneignete, sollte dabei helfen, die drückenden Schulden der Familie zu tilgen. Da waren zum einen die Verbindlichkeiten ihres Ehemannes, der schon einmal wegen Betrugs verurteilt worden war. Zum anderen waren da die drei Kinder – die Zwillinge, zwei Buben, geboren 2018, und das Mädchen, das genau ein Jahr später auf die Welt kam. Die hohe Miete für das Haus, in dem die große Familie lebte. Und die vom Seeger Bürgermeister Markus Berktold (CSU) versprochene Gehaltserhöhung ihres Mannes sei ausgeblieben, berichtete die Angeklagte, das Gehalt nicht immer pünktlich gezahlt worden.
Fingierte Rechnungen von Zeitarbeitsfirmen
Die 32-Jährige ist selbst examinierte Altenpflegerin, so wie ihr Mann. Nicht ohne Stolz berichtet sie vor Gericht von ihrer Ausbildung, die sie ohne Unterstützung von zu Hause meisterte – die Angeklagte kam als Jugendliche ins Heim, weil ihre Eltern mit ihrer rebellischen Tochter nicht zurechtkamen. Doch nach der Geburt der Kinder habe sie zunächst nicht in ihrem Beruf arbeiten können, sondern für den Pflegedienst in Seeg die Abrechnung gemacht, schilderte sie heute vor Gericht. Sie gab Rechnungen an den Pflegedienst in ein Computerprogramm ein. Das Geld wurde anschließend vom Bürgermeister zur Zahlung freigegeben. Nachfragen gab es nie.
Da kam die Frau auf die Idee, fingierte Rechnungen zu stellen. Die Forderungen stammten angeblich von speziellen Zeitarbeitsfirmen, die Pflegekräfte ausleihen. Doch tatsächlich leitete die Angeklagte das Geld, insgesamt rund 21.000 Euro, auf das Konto ihres Sohnes um. Über den Corona-Rettungsschirm ließ sie sich zudem rund 270.000 Euro auszahlen. Das Geld wollte sie für den Aufbau ihres eigenen Pflegedienstes verwenden.
Angeklagte zahlte Geld an Pflegedienst zurück
Die rund 21.000 Euro, die sie dem Seeger Pflegedienst abknöpfte, hat sie längst zurückgezahlt. Doch für die rund 270.000 Euro aus dem Corona-Rettungsschirm muss sie Wertersatz leisten. Das bedeutet: Sobald es ihr möglich ist, muss sie zahlen. Weitere Bewährungsauflagen erlegte ihr das Gericht nicht auf. Jemanden, der bereits am Boden liege, wolle man nicht noch mit Füßen treten, sagte der Vorsitzende Richter zur Begründung.
Denn neben ihren Betrugstaten, für die sie heute verurteilt wurde, hat sie auch mehrere Schicksalsschläge zu bewältigen. Kurz nach Beginn der Ermittlungen gegen sie, ihren Mann und den Seeger Bürgermeister Markus Berktold war bei der 32-Jährigen ein Hirntumor diagnostiziert worden. Zwei Operationen hat sie hinter sich und eine lange Rehazeit. Dass sie heute wieder gehen könne, sei ein Wunder, so die Angeklagte. Doch noch immer könne sie sich nur schwer konzentrieren, auch habe sie Wortfindungsstörungen. Erst vor Kurzem starb zudem ihr Schwiegervater, der die Familie stets unterstützte.
Richter: "Sie müssen sich zusammenreißen"
Doch bei allem Verständnis: In den drei Jahren Bewährungszeit dürfe sie sich keinesfalls etwas zuschulden kommen lassen, betonte der Vorsitzende Richter. "Sie müssen sich wirklich zusammenreißen. Sie sind ganz von selbst, ohne ihren Mann, auf den Gedanken gekommen: In diese Kasse greif' ich." Wenn sie unter Bewährung irgendeine Straftat begehe, besonders was Vermögensdelikte angeht, "wenn sie in dieser Zeit mit dem Gesetz zammrumpeln, dann schepperts", redete ihr der Vorsitzende Richter ins Gewissen.
Angeklagte bedauert und will Schaden gutmachen
Dass der Angeklagten dies bewusst ist, machte sie in ihrem letzten Wort deutlich. Sie bedaure zutiefst, was sie getan habe. Sie wolle nun alles tun, was in ihrer Macht stehe, um den Schaden wiedergutzumachen. Dies gelte für sie, aber auch für ihren Mann im Gefängnis. Sie unterstützten sich weiterhin gegenseitig, schilderte die Frau, "wir wollen zusammenhalten, mein Mann und ich, wir bauen aufeinander auf", und sie wollten auch gemeinsam die Schulden zurückzahlen.
Angeklagte verzichtet auf Revision
Auf die Möglichkeit der Revision verzichtete die Angeklagte. Das Urteil ist damit rechtskräftig. Auch ihr Ehemann hat seine Verurteilung von drei Jahren und elf Monaten Haft unter anderem wegen Betrugs akzeptiert. Der Seeger Bürgermeister Markus Berktold hingegen hält seine Revision aufrecht. Das Landgericht Nürnberg-Fürth hatte ihn im Januar zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Berktold soll zusammen mit seinem Pflegedienstleiter Coronahilfen in Höhe von zwei Millionen Euro für das örtliche Pflegeheim und einen Pflegedienst unrechtmäßig abgerechnet haben – Berktold bestreitet das. Wann sich der Bundesgerichtshof mit seiner Revision befassen wird, ist noch unklar. Solange kann es in Seeg keine Neuwahlen geben.
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