Schuldig oder unter falschem Verdacht? Langjährige Haft wegen Mordes – oder Freispruch? Im Indizienprozess um den Tod der Studentin Hanna aus Aschau im Chiemgau am Traunsteiner Landgericht gehen die Auffassungen von Anklage und Nebenklage einerseits und Verteidigung andererseits über den Nachweis der Schuld des Angeklagten diametral auseinander.
Jugendstrafrecht, weil zur Tatzeit noch keine 21 Jahre alt
Die Staatsanwaltschaft hat für den Angeklagten neuneinhalb Jahre Haft nach Jugendstrafrecht verlangt; der Angeklagte war zur Tatzeit noch keine 21 Jahre alt. Der Prozess habe vollumfänglich bestätigt, dass dieser "ohne jeden Zweifel Täter dieses Tötungsdelikts ist", sagte Staatsanwalt Wolfgang Fiedler. Laut Anklagevorwurf soll der Mann die 23-jährige Medizinstudentin am frühen Morgen des 3. Oktober 2022 auf ihrem Heimweg von dem Club Eiskeller in Aschau im Chiemgau aus sexuellen Motiven angegriffen, schwer verletzt und dann in den Bärbach geworfen haben. Dort ertrank sie.
Staatsanwalt: Tatbestand eines Verdeckungsmordes gegeben
Die These, dass die 23 Jahre alte Medizinstudentin ohne fremdes Zutun in den Bach stürzte, sei widerlegt, sagte Fiedler. An den 33 Tagen der Hauptverhandlung sei "im wahrsten Sinne des Wortes jeder Stein umgedreht" worden. Beweise und Indizien, die den Angeklagten entlasteten, gebe es nicht. Zunächst sei es um Körperverletzung gegangen, dann aber, als ihm bewusst geworden sei, was er angerichtet hatte, habe er die junge Frau in den Bärbach geworfen, um die vorherige Tat zu verdecken. Damit sei der Tatbestand eines Verdeckungsmordes gegeben.
Anwalt der Eltern: Frage nach "Warum" bleibt unbeantwortet
Für die Eltern, die den Prozess als Nebenkläger verfolgten, stelle sich "tausendfach die Frage: warum?", sagte deren Anwalt Walter Holderle in seinem Plädoyer. Diese Frage der Eltern sei in dem Prozess "bedauerlicherweise unbeantwortet" geblieben. Die Frage, wer ihre Tochter umbrachte, sei hingegen ganz klar beantwortet worden. Er schließe sich somit dem Antrag der Staatsanwaltschaft zu einer Verurteilung des Angeklagten zu neuneinhalb Jahren Haft an.
Holderle kritisierte erneut, interne Aktenteile aus dem Prozess seien nach außen gegeben worden. Er hat deshalb Strafanzeige gestellt. Für die Eltern sei schwer verständlich, dass ein erwachsen wirkender Mann, der wenige Wochen nach der mutmaßlichen Tat 21 Jahre alt wurde, nach Jugendstrafrecht zu verurteilen sei, sagte Holderle weiter. Jedoch sei hier den Gutachtern zu folgen.
Es gehe um den Tod eines "liebenswerten jungen Mädchens", eines "allseits beliebten jungen Menschen", der "sein ganzes Leben noch vor sich hatte", sagte Holderle weiter. Ein Unfall – den die Verteidigung für möglich hielt – sei ausgeschlossen. Ein Video an der Garderobe des Clubs zeige, dass die junge Frau wegen des Alkoholgenusses keineswegs körperlich eingeschränkt war.
Verteidigung stellt Zeugenaussagen infrage
Die Anwälte des Angeklagten sahen hier in Hannas Bewegungen hingegen Unsicherheiten. Sie stellten in ihren Plädoyers auch wichtige Zeugenaussagen infrage, die den Mordvorwurf der Anklage stützen. Eine Bekannte des Angeklagten hatte angegeben, dieser habe ihr bereits am 3. Oktober 2022 vom gewaltsamen Tod einer jungen Frau berichtet – als der Fall noch gar nicht öffentlich bekannt war. Später allerdings schwieg die Zeugin – möglicherweise traf sie den Angeklagten erst einen oder zwei Tage später, als der Fall zentrales Gesprächsthema in der Region war. "Die Zeugin hat falsche Angaben gemacht, wenn auch durchaus die Möglichkeit besteht, dass sie sich schlichtweg nur geirrt hat", sagte Pflichtverteidiger Harald Baumgärtl.
Flapsige Bemerkung, aber kein Geständnis
Sein Kollege Anwalt Markus Frank dröselte teils widersprüchliche Aussagen von anderen Bekannten des Angeklagten auf. Eklatante Punkte passten hier nicht zusammen, sagte Frank. Ihr Mandant hatte das Gefühl, dass man ihm eh nicht glaube. Darum habe er bei einer befreundeten Familie gesagt: "Dann war ich's halt." Das sei eine flapsige Bemerkung gewesen, aber kein Geständnis.
Bei einem Mithäftling, der den Angeklagten belastet hatte, gehe es wiederum um einen jungen Mann, "der es mit der Wahrheit als andere als genau nimmt", sagte Frank, der hierfür Beispiele anführte. Der Häftling hätte ursprünglich später vor derselben Kammer seinen Prozess gehabt – und habe sich somit durch die Aussage Erleichterungen im eigenen Verfahren erhofft.
Wahlverteidigerin Rick: "Sie haben nichts"
Wahlverteidigerin Regina Rick sprach unter anderem erneut einen Mail-Wechsel zwischen dem Staatsanwalt und der Vorsitzenden Richterin Anfang Januar an, bei dem sich beide über den möglichen Tatablauf ausgetauscht haben sollen. Rick hatte deshalb einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht gestellt, den aber eine Vertretungskammer zurückwies. Zum Gericht sagte Regina Rick am Schluss ihres Plädoyers: "Sie haben nichts, was für den Jungen spricht" – also für ihren Mandanten als Schuldigen.
Hannas Mutter kämpft mit den Tränen
Im Namen der Eltern bedankte sich Anwalt Holderle explizit bei der Staatsanwaltschaft für das schlüssige Plädoyer und bei der Sonderkommission der Polizei, die so akribisch ermittelt habe. Als Staatsanwaltschaft Fiedler den Tathergang aus seiner Sicht zusammenfasste, griff Hannas Mutter immer wieder nach einem Taschentuch, um sich Tränen abzuwischen. Ihr Mann hielt ihre Hand.
Angeklagter verzichtet auf letztes Wort
Der inzwischen 22 Jahre alte Angeklagte hatte in dem Prozess geschwiegen. Auch auf ein letztes Wort verzichtete er. Er war jedoch kurz nach der Tat als Zeuge vernommen worden, weil er in der Tatnacht beim Joggen gesehen wurde. Damals gab er an, er habe für einen Halbmarathon trainiert.
Während der Staatsanwalt sprach, vermied der Angeklagte Blickkontakt mit den Eltern. Beim Plädoyer des Anwalts der Eltern blickte er diesem mehrmals in die Augen – wobei der Anwalt so vor dem 22-Jährigen stand, dass sich Blickkontakt nicht vermeiden ließ. Der Angeklagte wirkte sehr ruhig, sehr gelassen, seine Hände hatte er übereinander gelegt. Wie an allen anderen Prozesstagen saßen seine Eltern und andere Familienmitglieder im Publikum.
Erhöhte Sicherheit nach Hinweisen auf einen Amoklauf
Im Saal war es ungewöhnlich ruhig – und es herrschte eine gewisse Anspannung. Verantwortlich waren Hinweise auf einen Amoklauf. Deshalb hatte es am Morgen besonders strenge Polizeikontrollen gegeben. Schon eineinhalb Stunden vor Saalöffnung hatte sich eine 30 Meter lange Schlange gebildet. "Wir haben alles im Griff, wir haben alles getan", sagte die Vorsitzende Richterin Jacqueline Aßbichler vor Beginn der Verhandlung im mit 100 Menschen voll besetzten Gerichtssaal. Wer aus diesem Grunde nun den Raum verlassen wolle, könne dies tun. Vorsorglich wurden die Vorhänge des Gerichtssaals zugezogen, um keine Blicke von außen zu ermöglichen.
In eineinhalb Wochen, am 19. März, wird das Urteil erwartet.
Mit Material von dpa
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