Franz Eibauer wird mit jedem Satz lauter. "Es geht einfach das Maß und das Ziel bei unserer Bürokratie ab." Der Dingolfinger ist Elektromeister. Ende Januar steht er auf der Münchner Theresienwiese auf einem Ladewagen, der zu einem Podest umgebaut ist. Eibauer hebt die Hand, setzt erneut an: "Es heißt immer von den Politikern, wir müssen etwas tun gegen den ganzen Bürokratieberg und dann werden sie gewählt und tun überhaupt nichts", fährt er fort und winkt mit der Hand ab.
Die Menge auf der Theresienwiese applaudiert, Tröten ertönen. 17 Minuten redet er sich unter Applaus den Frust von der Seele. Dann sagt er: "Bevor ich explodiere, gehe ich lieber."
Die Menschen fürchten um ihren Wohlstand
Seit Wochen protestieren Menschen wie Eibauer: Leute aus dem Mittelstand, der Landwirtschaft, aber auch Bürgerinnen und Bürger aus der Mittelschicht versammeln sich. Zum Protest Ende Januar auf der Theresienwiese waren laut Polizeiangaben rund 7.000 Menschen gekommen. Eibauer ist dort einer von vielen Rednern. Es geht unter anderem um Bürokratiehürden, Zukunfts- und Existenzängste.
"Wir erleben eine Verunsicherung in breiten Teilen der Bevölkerung", sagt Politikwissenschaftler Albrecht von Lucke. Als Redakteur der Monatszeitschrift "Blätter für deutsche und internationale Politik" analysiert er politische Ereignisse und bringt sie in einen größeren zeithistorischen Zusammenhang. Die aktuellen Proteste beschäftigen ihn seit Wochen. "Diese Menschen fürchten darum, dass der eigene Wohlstand nicht mehr gesichert ist. Und deswegen geht dieser Teil der Bevölkerung immer mehr auf die Straße", erklärt er. In den letzten zwanzig Jahren habe sich viel angestaut. "Wir erleben momentan einen Problemstau, eine Polykrise und dadurch eine große Verunsicherung", so Lucke.
Die Sorgen sind vielfältig
Anfang Februar: Vor dem Gelände des Bayerischen Rundfunks in Unterföhring versammeln sich rund 250 Menschen. Die Stimmung ist friedlich. Kritik gibt es an der Berichterstattung der Medien und der Politik der Ampel-Regierung: "Die Politik hat den Bezug zum Bürger verloren", sagt ein Maurermeister. "Die Steuergelder werden im Ausland verschleudert und daheim müssen die Leute zum Flaschensammeln gehen", sagt ein Schreiner. Im Gespräch mit den Demonstrierenden zeigt sich, dass ihre Sorgen vielfältig sind. Da beschweren sich die einen, dass die Politik den Bezug zum Bürger verloren hat, die anderen fürchten gar um ihre Existenz. Und wieder andere sagen: "Wir haben gar kein Einnahmen-, sondern ein Ausgabenproblem". Es würde zu viel Geld ins Ausland fließen.
Wie sich der Frust über die Ampel auf die Gesellschaft auswirkt
Diese unterschiedlichen Sorgen haben für von Lucke einen gemeinsamen Kern: "Die Ampel-Regierung hat das Vertrauen weiter Teile der Bevölkerung verspielt", sagt er. Immer mehr Menschen würden an der Handlungsfähigkeit der Ampel zweifeln. Die Sorgen der Menschen beträfen sehr stark die "wirtschaftliche Stabilität", verbunden mit der Sorge, dass die Wirtschaft wieder in Schwung kommt – das sieht Lucke als "Kardinalproblem". Der Regierung müsse es gelingen, eine "geschlossene, neue Wirtschaftspolitik zu propagieren und dann auch umzusetzen". Private Investitionen müssten stärker befördert werden, "neuer Optimismus" gestiftet werden. Gelingt das nicht, werde "das Staatsvertrauen weiter erodieren. Das wäre fatal, auch für die Zustimmung zur Demokratie."
Für von Lucke steht schon jetzt fest: "Wir haben eine zunehmende fatale Spaltung in der Gesellschaft", sagt er. Auf der einen Seite stünden die, die glauben, dass die demokratischen orientierten Parteien der Mitte in der Lage sind, weiter das Land zu regieren. "Auf der anderen Seite wächst aber der populistisch angetriebene, ja Ressentiments-Rand immer mehr", sagt von Lucke.
"Ampelparteien müssen schnellstens geschlossen agieren"
Im Juni findet die Europawahl statt, im September wird in Sachsen, Thüringen und Brandenburg ein neuer Landtag gewählt. "Es ist Eile geboten", sagt von Lucke. Anstatt sich gegenseitig zu profilieren, müssten die Ampelparteien schnellstens geschlossen agieren und so vor der Europawahl Statur und Autorität bekommen, um die wirtschaftlichen und außenpolitischen Herausforderungen zu bewältigen. Gelinge das nicht, "wird die Zerstrittenheit weitergehen", warnt von Lucke.
Diskussion in der Münchner Runde
"Mittelstand in Sorge: Was muss die Politik jetzt tun?" Darüber diskutiert die "Münchner Runde" heute Abend live um 20.15 Uhr mit Ulrike Scharf, Staatsministerin für Familie, Arbeit und Soziales und stellv. Ministerpräsidentin in Bayern (CSU), mit Michael Schrodi, dem finanzpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sowie mit Thomas Dettendorfer, Logistiker, Julia Giehrl, Landwirtin, Bastian Kadach, Pflegedienstinhaber und Elisabeth Würz, Friseurmeisterin. Moderation: Christian Nitsche.
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