Die Angeklagte wird in den Gerichtssaal des Münchner Oberlandesgerichts geführt (Archiv).
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Reichsbürger-Prozess: Angeklagte Ärztin sagt aus

Reichsbürger-Prozess: Angeklagte Ärztin sagt aus

Sie sollen geplant haben, die Bundesregierung gewaltsam zu stürzen. Deshalb müssen sich acht Angeklagte aus dem Reichsbürger-Milieu vor dem Oberlandesgericht München verantworten. Jetzt hat eine angeklagte Ärztin umfangreich ausgesagt.

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"Live in the Moment – Lebe im Moment!", steht auf dem Jute-Beutel, den Melanie R. bei sich trägt, als sie in Handschellen in den Gerichtssaal geführt wird. Im Moment spielt sich das Leben der Hausärztin aus der Region Braunschweig vor allem zwischen Gefängniszelle und Gerichtssaal ab. Die Ausflüge in den Saal A101 des Münchner Justizzentrums, wo seit bald acht Monaten gegen die mutmaßlichen Terroristen verhandelt wird, dürften eine willkommene Abwechslung zum Haftalltag darstellen.

Die 58-Jährige scheint ihren Auftritt denn auch durchaus zu genießen. Gefasst, oft lächelnd trägt die Angeklagte ihre vorab verfasste schriftliche Erklärung vor, die über 350 Seiten umfasst. Dabei geht es vor allem darum, das Bild, das die Bundesanwaltschaft in ihrer Anklage von Melanie R. gezeichnet hat, zu widerlegen. "Man kann mir alles vorwerfen, aber wenn ich eines nicht gewollt habe, dann ist es Gewalt", erklärt sie gleich zu Beginn ihrer Aussage.

Berichte über Treffen mit anderen Angeklagten

Die 58-Jährige spricht mit angenehmer ruhiger Stimme, flüssig und ohne zu stocken. Nur als sie von ihrer schwierigen Kindheit, ihrem meist abwesenden und notorisch lügenden Vater und ihrer ebenso notorisch lügenden Schwester erzählt, versagt ihr kurz die Stimme. Später, als sie über die Treffen mit ihren Mitangeklagten und dem mutmaßlichen Kopf der Verschwörer, Heinrich Prinz Reuß, spricht, klingt sie fast ironisch distanziert.

Was sie zu erzählen hat, ist auch schwer zu glauben, geschweige denn ernst zu nehmen: Es geht um eine Geheimarmee, die seit Jahrzehnten im Untergrund agieren soll – eine sogenannte Allianz – es geht um unterirdische Tunnelsysteme, um Wunderheilung, aber auch um antisemitische Verschwörungsmythen, Survival-Trainings und Schießübungen für den Tag X, also den Tag, an dem die bestehende Ordnung angeblich zusammenbrechen wird. Dafür wollte sich die Gruppe vorbereiten. Was die Angeklagte als wenig ernstzunehmend abtut, ist für die Bundesanwaltschaft "Bildung einer terroristischen Vereinigung" sowie "Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens" – sprich die Vorbereitung eines Staatsstreichs.

Sie will keine Antisemitin, Corona- oder Holocaustleugnerin sein

Für die angeklagte Ärztin stellte sich das alles ganz anders dar, als lockere Treffen mit Menschen, die sie kaum gekannt haben will. Immer wieder betont sie, dass sie weder Antisemitin sei, noch Corona- oder gar Holocaust-Leugnerin – und auch keine Esoterikerin. Und doch ließ sie sich auf die kruden esoterisch-verbrämten Verschwörungsmythen der mutmaßlichen Terrorgruppe rund um den Frankfurter Immobilienhändler Prinz Reuß ein. Zur Gruppe gehörten durchaus skurrile Figuren wie ein selbsternannter Seher und eine Astrologin, die als spirituelle Beraterin der Gruppe fungierte, aber auch militärisch geschulte einstige Elitesoldaten.

Die Gruppe war offenbar zu allem bereit, laut Überzeugung der Bundesanwaltschaft selbst dazu, politische Gegner und Repräsentanten des Staates umzubringen. Die 58-jährige Ärztin will das alles nicht ernst genommen haben, es sei auch nie davon die Rede gewesen, dass sie tatsächlich – wie in der Anklage ausgeführt – für die Zeit nach einem geplanten Putsch als Gesundheitsministerin vorgesehen war. In allen Einzelheiten schildert sie die Treffen, die Survival-Trainings und betont dabei immer wieder ihre Zweifel. Ihre Aussage will sie am Mittwoch fortsetzen und sich danach den Fragen der Prozessbeteiligten stellen.

Erst die dritte Aussage in 54 Verhandlungstagen

Melani R. ist die dritte der acht Angeklagten, die eine Aussage macht. Bislang wurden in dem Verfahren erst wenige Zeugen gehört, obwohl der Prozess schon acht Monate dauert. Parallel dazu wird auch noch an den Oberlandesgerichten in Stuttgart und Frankfurt gegen weitere Mitglieder der Reuß-Gruppe verhandelt.

Ein Ende ist laut Gerichtssprecher Laurent Lafleur noch nicht absehbar: "Dieses Verfahren ist für alle Beteiligten eine große Herausforderung. Die Komplexität des Tatvorwurfs, die große Zahl an Angeklagten bedingen, dass dieses Verfahren Zeit braucht." Auch Daniel Ciobano, einer der beiden Verteidiger von Melanie R., geht davon aus, dass der Prozess noch Jahre dauern wird.

Verschwörer-Netzwerk war noch wesentlich größer

Unterdessen hat eine Anfrage der Grünen im Bayerischen Landtag ergeben, dass das Verschwörer-Netzwerk offenbar noch deutlich größer war als bisher angenommen. So hat die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe inzwischen fünf weitere Verfahren im Zusammenhang mit der Reuß-Gruppe an die bayerische Generalstaatsanwaltschaft in München abgegeben. Im Fokus stehen 13 mutmaßliche Verschwörer aus dem Freistaat. Ob es bei ihnen auch Durchsuchungen und Waffenfunde gegeben hat, ließ die Staatsregierung mit Blick auf die laufenden Ermittlungen offen.

Eine kleine Anfrage der Linkspartei im Bundestag hat ergeben, dass der Generalbundesanwalt deutschlandweit 64 Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Tatkomplex an regionale Staatsanwaltschaften abgegeben hat. Allein in Baden-Württemberg gab es daraufhin über ein Dutzend Durchsuchungsaktionen, bei denen auch zahlreiche Waffen gefunden wurden.

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