"Ich krieg keine Luft mehr," sagt die Patientin, auf die der Rettungsdienstunternehmer Liam Klages und seine Kollegen an diesem Sonntagabend in München treffen. Die Notfallsanitäter untersuchen sie und entscheiden: Die Patientin muss ins Krankenhaus.
Die 88 Jahre alte Frau hat heute Glück, dass der Rettungsdienst sich um sie kümmern kann, denn an vielen Tagen fehlt das Personal, um alle Einsätze zu erfüllen. Die Folge: Patienten müssen längere Wartezeiten in Kauf nehmen oder gar abgewiesen werden. Fast wäre es heute auch der 88-Jährigen so gegangen. Dem Bayerischen Rettungsdienstbericht 2022 zufolge sind Rettungsfahrten in den vergangenen zehn Jahren um 24 Prozent gestiegen – mit spürbaren Konsequenzen für Rettungsdienste und die betroffenen Patienten.
815 Millionen Euro für Bayerns Rettungsdienste
Die Anzahl der Einsätze steigt, die Kosten jedoch auch. Und diese sind für die Rettungsdienste immer schwerer zu stemmen: Rund 815 Millionen Euro gaben die Krankenkassen in Bayern 2022 für die Finanzierung der Rettungsdienste aus. Nun planen sie, die Kostenerstattungen um ein bis zwei Prozent anzuheben.
Aber reicht das für kleine Rettungsdienste wie den von Liam Klages aus, um wirtschaftlich überleben zu können? Neben den hohen Spritkosten machen sich auch die steigenden Ausgaben für medizinisches Material bemerkbar: "Das bedeutet in der Kalkulation, dass wir aktuell schon an dem Punkt sind, dass wir eigentlich draufzahlen, um den Rettungsdienst sicherzustellen", sagt Klages gegenüber Kontrovers.
Patienten werden vertröstet
Den Engpass in der Notfallversorgung hat auch Rezgar Dawod aus München zu spüren bekommen. Dawod leidet an hohem Blutdruck, gilt deswegen als Risikopatient. Als der Münchner an einem Tag unter Schwindel und hohem Fieber leidet, wählt er den Notruf, bittet um Hilfe.
Erst nachdem er in mehreren Anrufen auf seine Vorerkrankung hinweist, erhält er nach einer halben Stunde die Antwort: Es sei kein Rettungswagen verfügbar. Rezgar Dawod solle sich stattdessen Wadenwickel machen. Eine riskante Situation, die in Dawods Fall glimpflich ausgeht, obwohl er erst am nächsten Tag ärztliche Versorgung erhält. Doch seitdem hat er Angst, in einer medizinischen Notlage nicht die nötige Behandlung zu erhalten.
70 Prozent der Rettungsfahrten sind Fehleinsätze
Aber nicht nur die hohe Zahl an Rettungsfahrten sowie die inflationsbedingt steigenden Kosten machen den Rettungsdiensten zu schaffen. Einer Schätzung des Bayerischen Roten Kreuzes zufolge sind etwa 70 Prozent aller Einsätze, zu denen ein Rettungstransportwagen bestellt wird, Fehleinsätze: Situationen, die von den Patienten selbst falsch eingeschätzt werden oder von der Notfallzentrale am Telefon schlichtweg schwer zu beurteilen sind.
Doch in der Konsequenz bedeutet das: Notfallsanitätern und Notärzten fehlt es dadurch noch häufiger an Zeit und Geld. Bei 1,4 Millionen Einsätzen allein im vergangenen Jahr braucht es jedoch beides dringend, um eine zuverlässige medizinische Notfallversorgung in Bayern gewährleisten zu können.
Anfeindungen im Dienst
Das BR-Politikmagazin Kontrovers begleitet Liam Klages und sein Team zu einem weiteren Einsatz. Diesmal geht es in ein Münchner Restaurant: Der Patient ist die Treppe hinuntergestürzt. Doch die Versorgung des Patienten ist an diesem Abend nicht die einzige Herausforderung für den Rettungsdienst.
Plötzlich beschimpft ein Restaurantgast das Team des Rettungsdienstes lautstark, die Situation droht zu eskalieren. Der Grund: Das Auto des Gastes wurde von dem Rettungswagen zugeparkt. Klages und seine Kollegen rufen die Polizei hinzu. Als sie am Einsatzort eintrifft, ist der Gast längst verschwunden. Die Sanitäter verzichten auf eine Anzeige, denn der Patient muss jetzt schnell ins Krankenhaus.
Es ist nicht das erste Mal, dass ein Einsatz auf diese Art und Weise erschwert wird, berichtet Rettungsdienstunternehmer Klages: "Das passiert schon immer wieder. Nach einer gewissen Zeit nimmt man das nicht mehr so ernst und stumpft ab." Doch für Sanitäter wie Klages und sein Team muss es Lösungsansätze geben. Andernfalls werde es in Zukunft immer schwieriger, Personal für die Rettungsdienste zu finden, betont er.
"Wenn es einem Spaß macht, anderen Menschen zu helfen, dann nimmt man eben auch einige Bürden auf sich, und lässt sich manche Dinge gefallen […]. Die Frage ist, wie lange das noch funktioniert", sagt Klages.
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