Mit steigenden Corona-Zahlen spitzte sich die Lage im Gesundheitswesen in den vergangenen Jahren zu. Die Kliniken gelangten an ihre Limits. Etwa 40 Prozent der Pflegekräfte in Deutschland erwägen gar, den Beruf zu wechseln, wie eine Umfrage der Alice Salomon Hochschule Berlin (ASH) zeigt.
Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek fordert nun einen "Marshallplan" für das deutsche Gesundheitssystem. "Die Corona-Pandemie war die schwerste Gesundheitskrise seit dem Zweiten Weltkrieg, sie war überhaupt eine der größten gesellschaftlichen Herausforderungen seit Jahrzehnten", begründete der CSU-Politiker dies am Donnerstag in München.
Holetschek: System vereinzelt zu überarbeiten "wird nicht reichen"
Die Pandemie habe schonungslos Defizite des Gesundheitswesens aufgezeigt und auch finanziell Löcher gerissen. Die Gesetzliche Krankenversicherung brauche ein stärkeres finanzielles Fundament. Und die Digitalisierung müsse dringend Fahrt aufnehmen. Als weiteren Punkt nannte Holetschek die sichere Versorgung mit Medikamenten. Auch bei der Wappnung gegen eventuelle neue Pandemien sieht Holetschek, so erklärte er vor wenigen Tagen, einige Schwachstellen.
Jetzt sei nicht die Zeit für Kleinklein, so der Minister. "Hier ein Reförmchen, da ein Gesetzentwurf – das wird nicht reichen. Die Ampel-Koalition in Berlin muss Gesundheit ganzheitlich und ressortübergreifend denken", forderte Holetschek. Er denke an eine große Reformstrategie, die das Gesundheitswesen fit und stabil mache. Das Gesundheitssystem sei "auf Kante" genäht, betonte er zudem im Interview mit dem BR-Politikmagazin "Kontrovers".
Gesundheitsgremium: Gesundheitswesen ist ein "Schönwettersystem"
Ein Gutachten des Sachverständigenrats Gesundheit kam kürzlich zu einem ähnlichen Schluss: Das deutsche Gesundheitswesen sei sehr komplex und fragil, nicht sehr reaktionsschnell, wenig anpassungsfähig, quasi ein "Schönwettersystem". Das Gremium machte einige Vorschläge, etwa eine "eindeutige Zuweisung von Kompetenzen und Aufgaben an die verschiedenen Stakeholder". Zudem sei es nötig, in der Bevölkerung das Bewusstsein für potenzielle Krisen und den Katastrophenschutz zu stärken.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) lobte die Erkenntnisse des Gremiums als "Rückenwind für die geplanten schwierigen, aber dringend notwendigen Reformen: "Wir ordnen die Krankenhausstruktur neu, machen Arzneimittelversorgung sicherer, sorgen mit niederschwelligen Angeboten für gute Medizin für alle".
Lauterbach rechnet mit Gesetzesentwurf zur Klinik-Reform bis zum Sommer
Erste Schritte in Richtung einer Reform des Gesundheitswesen sind bereits gegangen. Konkret kündigte Lauterbach etwa an, das Fallpauschalen-System im Bereich der Kliniken reformieren zu wollen. Bis zum Sommer wollen sich Bund und Länder auf einen Gesetzesentwurf einigen. Durch die Reform sollen wieder die medizinischen Aspekte in den Vordergrund rücken anstelle der ökonomischen Aspekte. Problematisch ist derzeit etwa, dass Spitzenkliniken dieselben Fallpauschalen wie kleine Krankenhäuser erhalten, die weniger gut mit Geräten und spezialisiertem Personal aufgestellt sind.
Um Arzneimittelengpässe künftig zu verhindern, kündigte Lauterbach zudem an, die Preisgestaltung der Medikamente zu ändern. Kurz gesagt würden Maßnahmen zur Preissteuerung beendet, die Gewinnspanne der Hersteller steige, wodurch mehr Anreiz für Lieferungen nach Deutschland entstehe. Eine Reform im Bereich der Pflege kündigte der Gesundheitsminister ebenfalls an, Details sind jedoch noch nicht bekannt.
Holetschek will Pflege-Personal vor psychischer Überlastung schützen
Für den Freistaat kündigte der bayerische Gesundheitsminister nun eine Maßnahme gegen psychischen Überlastungssituationen und Erkrankungen wie Burnout oder Depressionen bei Pflegekräften an. Oftmals sei das Personal in der Langzeitpflege oder in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung am Limit, sagte er. Laut dem Barmer Pflege-Report fühlen sich 70 Prozent der Kräfte immer oder oft erschöpft. Mehr Menschen für Pflege- und Gesundheitsberufe zu begeistern, sei eine Schlüsselaufgabe für die kommenden Jahre.
Körperliche und seelische Überlastungssituationen müssten rechtzeitig erkannt werden. Daher stelle das Gesundheitsministerium für dieses und kommendes Jahr insgesamt 17,8 Millionen Euro für Präventionsmaßnahmen zur Verfügung. Diese Mittel könnten die Pflegeeinrichtungen beispielsweise für Resilienz-Workshops oder Team-Coachings einsetzen. Es gehe "nach der langen und sehr intensiven Zeit der außerordentlichen Belastungen" nun darum, die Leistungsfähigkeit und das Wohlbefinden der einzelnen Mitarbeiter und auch der Teams in den Blick zu nehmen.
Mit Informationen von dpa und epd.
Holetschek im Interview
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