Am Oberlandesgericht München hat der Spionageprozess gegen einen 30-jährigen Russen begonnen. Als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Materialforschung an der Universität Augsburg soll Ilnur N. Informationen zum europäischen Raketenprogramm Ariane an den russischen Auslandsgeheimdienst SWR geliefert haben. "Geheimdienstliche Agententätigkeit" lautet der Vorwurf.
Geheime Informationen gegen Bezahlung?
Zum Beginn des ersten Prozesstags am Donnerstag hat die Vertreterin der Bundesanwaltschaft detailliert aufgeführt, wann und wo der Angeklagte sich von November 2019 bis Juni 2021 mindestens zwölf Mal mit einem Mitarbeiter des russischen Generalkonsulats in München getroffen haben soll: Nach den Vorgaben von Leonid S. soll der Angeklagte dann Informationen recherchiert und schließlich auf USB-Sticks weitergegeben haben: Über künftige Entwicklungsstufen des europäischen Ariane-Raketenprogramms, aber auch etwa zu elektrischen Antrieben künftiger Flugzeuge. Als Gegenleistung habe Ilnur N. bis zu seiner Festnahme im vergangenen Sommer insgesamt 2.500 Euro erhalten.
Russen hatten Interesse an Trägerrakete und neuen Werkstoffen
"Das Aufklärungsinteresse des Nachrichtendienstes lag insbesondere in den verschiedenen Entwicklungsstufen der europäischen Trägerrakete Ariane und der Werkstoffforschung des Angeschuldigten", heißt es in einer Mitteilung der Bundesanwaltschaft. Dass Ilnur N. die laut Anklage begehrten Informationen zu seinen eigenen Arbeiten - er forschte am Augsburger Institut für Materialforschung zu Materialien, die für den Einsatz in extremer Kälte entwickelt werden - ebenfalls weitergegeben hat, bestreitet er allerdings.
Angeklagter bestreitet einen Vorsatz
Ebenfalls bestreitet Ilnur N., der in der Verhandlung schüchtern und zurückhaltend, aber auch sehr sachlich auftrat, jeden Vorsatz zu der ihm vorgeworfenen "geheimdienstlichen Agententätigkeit": Er habe nicht gewusst, dass sein Kontaktmann die Informationen an den russischen Geheimdienst weitergebe. Der Mitarbeiter des Konsulats sei anfangs im Rahmen einer vermeintlich zufälligen Begegnung auf ihn zugekommen, um sich von ihm interessante "Investitionsprojekte" vorschlagen zu lassen. Er habe angenommen, der Konsulatsmitarbeiter beschaffe die Informationen für eine Bank, für die er als Nebenverdienst noch tätig sei. So etwas sei "in Russland nicht unüblich".
"Keine Ahnung" von technischen Fachthemen
Der Mann habe offensichtlich "keine Ahnung" von den technischen Fachthemen gehabt, über die der Angeklagte ihn informieren sollte. Deshalb habe er seine Expertise nutzen wollen, so der Eindruck von Ilnur N. nach eigener Aussage. Der Kontakt sei nett gewesen und auch er hätte sich damit etwas dazu verdient.
Beschaffte Informationen laut Anwalt nicht geheim
Einer der beiden Verteidiger des Angeklagten ergänzte, die von seinem Mandanten beschafften Informationen seien allesamt in öffentlich zugänglichen wissenschaftlichen Datenbanken, Dokumentationen von Konferenzen oder Fachzeitschriften über das Internet abrufbar und – wenn auch mit einigem Aufwand – für jedermann mit einem Internetanschluss zu recherchieren. Dies müsste auch einem russischen Geheimdienst bekannt und möglich sein, ohne dafür einen Informanten anzuheuern.
Nächste Woche werden abgehörte Telefonate gehört
Zum Abschluss des ersten Prozesstags gab der vorsitzende Richter bekannt, dass beim nächsten Verhandlungstermin am Mittwoch kommender Woche (23.2.) mit Beginn der Beweisaufnahme Ton und Videoaufnahmen von Gesprächen und Treffen der beiden eingesehen werden sollen. Entsprechende Datenträger wurden vorab auch an die Verteidiger des Angeklagten übergeben. Es handelt sich dabei einerseits um vom Verfassungsschutz abgehörte Telefonate: Die Überwachung des russischen Konsulatsmitarbeiters hatte die Ermittler nämlich erst auf die Spur von Ilnur N. gebracht. Aber auch das Video einer Überwachungskamera in einem McDonalds-Restaurant in Augsburg ist dabei. Dort hatten N. und S. sich getroffen, wie der Angeklagte bestätigte.
Angeklagter in JVA Stadelheim verlegt
Bislang sind zwölf Prozesstage am Oberlandesgericht in München angesetzt. Für die bessere Erreichbarkeit wurde der Angeklagte, der seit seiner Festnahme am 18. Juni 2021 in Untersuchungshaft sitzt, aus dem Gefängnis Gablingen nördlich von Augsburg nach München in die JVA Stadelheim verlegt.
Auch die Frage, ob im Prozessverlauf Details zu den Aktivitäten des russischen Auslandsgeheimdiensts in Deutschland - über den aktuellen Fall hinaus - bekannt werden, steht noch im Raum.
- Zum Artikel: "Anklage - Bundestagsgebäude für Russland ausspioniert"
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