Kurz nach Mitternacht im unterfränkischen Volkach: Ein junger Mann trägt ein Ortsschild unter dem Arm, der Schriftzug "Volkach" ist gut sichtbar. Er spaziert in Richtung einer Gruppe Jugendlicher, die mit Bollerwagen auf ihn wartet. Als ein Passant den Mann anspricht, lässt er das Ortsschild fallen und läuft mit seinen Freunden davon.
"Tatort" Kitzingen: 20 verschwundene Ortstafeln seit 2019
Es ist ein Vorfall, wie er im unterfränkischen Landkreis Kitzingen in letzter Zeit häufig vorkam. Selten ist jedoch, dass die Täter wie in Volkach auf frischer Tat ertappt werden. Zwei weitere Ortstafeln, die der Seinsheimer Ortsteile "Iffigheim" und "Wässerndorf", bleiben seit vergangener Woche verschwunden. Nur ein leerer Metallrahmen prangt dort, wo eigentlich eine Tafel Autofahrern den Beginn der Ortschaft ankündigen sollte. Insgesamt 20 verschwundene Ortstafeln meldet das Landratsamt Kitzingen seit 2019, die Tendenz steigend. In drei weiteren Fällen wurde das Schild wieder aufgefunden – so wie am Wochenende in Volkach. Die Wahl der Orte ist dabei scheinbar willkürlich und unabhängig vom Ortsnamen. Die Ortstafel "Gaibach" wurde sogar bereits fünfmal entwendet.
Täter schrecken auch vor Sachbeschädigung nicht zurück
Die Mitarbeiter des Kreisbauhofs Kitzingen wissen nicht mehr weiter. Um es den Dieben zu erschweren, wurden Schilder mit verschiedenen Schraubenarten befestigt und die Schraubengewinde zerstört, damit sie auch mit passendem Werkzeug nicht mehr lösbar sind. Im Fall "Gaibach" wurden die Schrauben zuletzt sogar verschweißt, berichtet Andreas Schneider, Leiter des Kreisbauhofs Kitzingen. Doch auch das half nichts. "Die müssen wirklich mit einer Flex unterwegs sein", so Schneider. "Langsam sind wir mit unserem Latein am Ende."
Eine neue Ortstafel muss individuell angefertigt werden und kostet den Landkreis jedes Mal 250 bis 300 Euro. Hinzu kommen Reparaturen für Sachbeschädigungen und der Arbeitsaufwand.
Unfallgefahr durch fehlende Geschwindigkeitsbegrenzung
Das eigentliche Problem sei jedoch die Gefahr für die Verkehrsteilnehmer, verdeutlicht Martin Kuhn, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Unterfranken. Bei Entwendung eines Ortseingangsschildes mache man sich strafbar wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr. Das Schild signalisiere dem Fahrer, dass ab jetzt nur noch 50 km/h erlaubt sind. Eine auch unwissentliche Missachtung könnte daher Unfälle nach sich ziehen.
Hinzu kommt die Entwendung des Gegenstands an sich: Auch das sei kein "Kavaliersdelikt", so Kuhn, sondern Diebstahl gemäß § 242 des Strafgesetzbuches.
Ippesheim oder Ipsheim? Ortsschilder vertauscht
Dennoch kommt es nicht nur im Landkreis Kitzingen immer wieder zu Diebstählen. Die Fallzahlen seien in ganz Unterfranken bis 2021 gestiegen, so Polizeisprecher Kuhn, 2022 jedoch wieder leicht gesunken. Ein Trend lasse sich nur schwer feststellen. Insbesondere, da sich landesweite Zahlen laut Staatsministerium statistisch kaum erheben lassen. Dennoch ziehen immer wieder neue Vorfälle die Aufmerksamkeit auf sich. Erst Anfang Januar wurden im mittelfränkischen Landkreis Neustadt an der Aisch-Bad Windsheim die Schilder der beiden Orte Ippesheim und Ipsheim nicht nur abgeschraubt, sondern danach vertauscht.
"Jeder Fall ernstgenommen": Medienaufrufe und Nachbarschaftsbefragungen
Wo die Schilder landen, die tatsächlich mitgenommen werden, ist unklar. Die Spekulationen in Kitzingen bewegen sich vom persönlichen Souvenir über den Deko-Gegenstand im Partyraum bis hin zum Verkauf des Aluminiums. Viele schmunzeln über die Vorfälle, doch Martin Kuhn vom Polizeipräsidium Unterfranken betont, dass bei jedem Vorfall, der entdeckt wird, auch Ermittlungen folgen. Durch Medienaufrufe und Nachbarschaftsbefragungen werde versucht, die Täter dingfest zu machen. "Jeder Fall wird ernst genommen", so Kuhn. "Für uns ist jede Straftat eine zu viel."
Dass es aufgrund der fehlenden Geschwindigkeitsbegrenzung tatsächlich bereits zu Unfällen kam, sei ihm jedoch nicht bekannt. Das läge aber auch an der guten Arbeit der Bauhöfe, die regelmäßig die Strecken kontrollieren und übergangsweise sofort ein 50 km/h-Verkehrszeichen anbringen. Die Anfertigung eines neuen Ortsschildes dauere nämlich bis zu sechs Wochen, so der Kitzinger Bauhofleiter Schneider.
In Volkach zumindest haben seine Mitarbeiter das ursprüngliche Schild bereits wieder befestigt – am Ortseingang, dort wo es eben hingehört.
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