In einer alten Fabrikhalle im Nürnberger Stadtteil Mögeldorf stehen meterhohe Regale voller Seifenkisten: Schnelle Flitzer in den unterschiedlichsten Farben und Formen, gestreift, gepunktet oder im Tigerlook. Es gibt aber auch eine fahrende Harfe, ein weißes Pony mit rosa Mähne oder einen rasenden Bleistift. Der 14-jährige Jean-Pascale Becker versetzt seiner selbst entworfenen Seifenkiste den letzten Schliff. Er hat sich einen schwarzen Truck mit einem roten Adler auf der Motorhaube gebaut. Noch ein paar Schrauben, dann sitzt der Kofferraum eins a fest.
Seifenkiste der Größe angepasst
Es sind die letzten Handgriffe vor dem großen Seifenkistenrennen am Sonntag. Jean-Pascale ist in den vergangenen Monaten kräftig gewachsen. Deshalb musste er sein Gefährt etwas umbauen. "Hätten wir das nicht gemacht, wäre ich nicht in die Seifenkiste gekommen und könnte auch nicht mitfahren", erklärt er und präsentiert stolz seine Idee: Er hat den Kofferraumdeckel in drei Teile gesägt und mit Scharnieren verbunden. Jetzt kann er ihn zurückklappen, bequem einsteigen und hinter sich wieder zuklappen. Und damit die Kiste wegen zu hohen Gewichts unterwegs nicht stehenbleibt, hat er zusätzlich die Bretter innen ausgehöhlt. Jean-Pascale mag seinen Truck. "Ich finde das super, dass ich so was hab, was nicht jeder hat."
Bau von Seifenkisten ein "Familiending"
Auf Geschwindigkeit kommt es bei Fantasie-Seifenkisten wie der von Jean-Pascale nicht an. Ins Ziel kommen soll sie und mit ihrem Aussehen begeistern, sagt der Vorsitzende des Vereins Nürnberger Seifenkistenfreunde, Norbert Bauer. Er mag die Fantasie-Kisten ganz besonders, weil die Kinder hier ihre Ideen ausleben können. Beim Bau sei oft die ganze Familie dabei, Kinder, Eltern und Großeltern, "das ist so schön", schwärmt Bauer. "Das ist ein Miteinander, ein Familiending."
Und selbst kleine Kinder können mithelfen, wie etwa bei der Lokomotive, die der "Emma" aus Michael Endes "Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer" verblüffend ähnelt. Die haben vor vielen Jahren die beiden Freundinnen Hannah und Bea aus Pappmaché gebaut – im Alter von nur sechs Jahren. Am Renntag steckten sie eine Sonnenblume in den Schornstein und eine der beiden läutete bei der Fahrt mit einer alten Schulglocke. Hannah und Bea sind inzwischen groß. Beim Rennen werden deshalb andere Kinder mit ihrer Emma fahren – zum ersten Mal eine echte Emma.
In der Kiste den Burgberg hinunter
Beim Seifenkistenrennen ist Dabeisein alles – zumindest fast, denn natürlich ist jedes Kind stolz, wenn es einen Pokal bekommt. Das war schon 1948 so, als in Nürnberg das erste Seifenkistenrennen stattfand. Damals rasten die Kinder mit ihren schnellen Flitzern auf Kopfsteinpflaster den Burgberg hinunter zum Hauptmarkt. Die Initiative ging von amerikanischen Soldaten aus, auch wenn die Idee für Kindermobile ohne Motor eigentlich aus Deutschland stammt. Das erste Rennen fand 1904 in Oberursel bei Frankfurt am Main statt. Nach ein paar Jahren war die Ära schon beendet, die Begeisterung überlebte aber in den USA.
Historische Seifenkiste aus Marktredwitz überlebte in Garage
Von 1948 bis 1993 gab es fast ununterbrochen Seifenkistenrennen in Nürnberg, über lange Zeit organisiert vom Jugendamt. Doch als der zuständige Mitarbeiter in Ruhestand ging, endete die Renn-Ära. Im Jahr 2009 ließen die Nürnberger Seifenkistenfreunde die Tradition wiederaufleben. Im Jugendamt war man hocherfreut und schenkte dem Verein zwei alte Kisten mit Nürnberger Stadtwappen darauf.
Vielleicht fährt dieses Mal auch ein echtes Schmuckstück mit, das Norbert Bauer kürzlich kaufen konnte: Eine Seifenkiste, die über Jahrzehnte in einer Garage in Marktredwitz im oberfränkischen Landkreis Wunsiedel stand. Der Marktredwitzer Werner Kusa hatte sie in den 1960er-Jahren zusammen mit seinem Vater gebaut und seine Mutter hütete sie wie ihren Augapfel – bis heute.
Verschiedene Klassen beim Seifenkistenrennen am Sonntag
Das Nürnberger Seifenkistenrennen findet am Sonntag, den 23. Juni, statt. Ab 11.00 Uhr sausen Kinder und Jugendliche zwischen sechs und 21 Jahren in verschiedenen Klassen die hölzerne Rampe in der Tullnaustraße hinab. Unter anderem entscheidet sich, wer zur Bayerischen Meisterschaft fahren darf, aber auch ein Stadtmeister wird ermittelt.
Zum ersten Mal wetteifern die Kinder auch um einen Pokal der Nürnberger Schulen. Damit sie unfallfrei ins Ziel kommen, gibt ihnen Norbert Bauer stets drei gute Ratschläge: Lenker gerade, Bremsen testen und "macht es euch gemütlich". Und los geht die rasante Fahrt in der Seifenkiste – ganze 600 Meter weit.
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