"Bayern nach dem Hochwasser – Was lernen wir aus der Katastrophe?", so lautete das Thema bei der Bürgerdiskussion "jetzt red i". Rund 90 Menschen aus den besonders stark von der Flutkatastrophe betroffenen Gebieten waren am Mittwochabend ins BR-Studio Unterföhring gekommen, um genau darüber zu diskutieren und ihre Forderungen an die Politik zu stellen.
Zu viel Planung, zu wenig konkrete Ergebnisse
Hochwasserschutzmaßnahmen, die seit Jahren nicht realisiert werden, waren eines der Themen von Christine Hall-Walleser aus Schrobenhausen. "Ich habe im Hochwasser mein Büro, mein Archiv, sämtliche Kundenunterlagen, alles verloren. Was mich sehr wundert und sehr zornig macht ist, dass Hochwasserschutzmaßnahmen in der Region überhaupt nicht funktionieren." Es könne nicht sein, dass in ihrer Region seit Jahren "geplant, umgeplant und in all das viel Geld reingesteckt werde". Und doch nichts realisiert wird. "Die Zuständigkeiten werden nur hin- und hergeschoben", so Hall-Walleser.
Enteignungen – im Extremfall ja
Lange Planungsverfahren – ein Problem, das CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek bei "jetzt red i" einräumte. Wie schwierig die Realisierung von Hochwasserschutzmaßnahmen sei, kenne er aus seiner 12-jährigen Amtszeit als Bürgermeister von Bad Wörishofen. In vielen Fällen war und sei es schwierig an Grundstücke zu kommen, die für Hochwasserschutzbauten notwendig sind. "Weil es Widersprüche gibt, Einsprüche. Weil das Thema Allgemeinwohl nicht immer überall ankommt. Ich bin kein Freund von Enteignungen, ich will das mal klipp und klar sagen. Ich glaube man muss auf anderen Wegen überzeugen. Aber als aller-, allerletztes Mittel muss es dann auch mal möglich sein."
Enteignungen bezeichnete auch Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze als "allerletztes Mittel". Davor müsste aber alle Kraft in Verhandlungen mit betroffenen Grundstückseigentümern gesteckt werden. Und davor sei auch mehr Personal zum Beispiel in den Wasserwirtschaftsämtern vor Ort notwendig, sagte Schulze.
Forderung nach Pflichtversicherung für Elementarschäden
Hubert Hegele aus der Region Zusmarshausen fasste zusammen, was viele umtreibt: Um sein durch das Hochwasser stark beschädigtes Haus wieder aufbauen zu können, brauche er vor allem Sicherheit – etwa durch eine verpflichtende Elementarschadenversicherung und stärkere Investitionen in einen effektiven Hochwasserschutz. Forderungen, denen sich auch Unternehmerin Sarah Nuffer bei "jetzt red i" anschloss. "Uns hat das Hochwasser sehr überraschend getroffen. Bei uns waren allen Werkhallen 60 Zentimeter unter Wasser. Wir reden von einem Schaden in Millionenhöhe." Wie viel die Versicherung bezahlen wird, ist demnach noch unklar.
Ein klares – und somit parteiübergreifendes – Ja zur Pflichtversicherung kam sowohl von Klaus Holetschek als auch von Katharina Schulze. Angesichts der Tatsache, dass Extremwetterereignisse zunehmen werden, müssten die "Lasten auf mehrere Schultern" verteilt werden, so Grünen-Politikerin Schulze. Eine Pflichtversicherung würde letztendlich die "Kosten für alle reduzieren."
Schulze will Verdoppelung des Hochwasserschutz-Etats
Ein zentraler Punkt für Schulze: "Wir brauchen den technischen Hochwasserschutz, mit den Flutpoldern, den Deichen. Aber natürlich brauchen wir auch den so genannten natürlichen Hochwasserschutz. Es gilt, dass das Wasser, wenn es kommt, Platz hat zu versickern." Dafür müssten Moore und Auen renaturiert werden. So könne vermieden werden, dass sich kleine Bäche und Flüsse zu reißenden Strömen entwickeln.
Die Grünen-Fraktionschefin forderte bei "jetzt red i" eine Verdoppelung des bayerischen Etats für Hochwasserschutzmaßnahmen. Nach der Flutkatastrophe Anfang Juni müssen allen klar sein, dass "massive Investitionen in den technischen und den natürlichen Hochwasserschutz" nötig seien. Die Grünen würden diese Themen seit Jahren im Landtag einbringen.
Gewandt an CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek sagte Schulze: "Ich hoffe, dass jetzt nach dieser schreckliche Katastrophe nicht wieder die Hochwasser-Amnesie einsetzt, so nach ein paar Wochen ist es halbert vergessen, sondern dass jetzt da auch mehr Geld in die Hand genommen wird."
"Keine Zeit, um verzweifelt zu sein"
Man habe "keine Zeit, um verzweifelt zu sein": So fasste Katrin Antoncic, Leiterin des Pflegeheims St. Georg in Schrobenhausen ihren Gemütszustand zusammen. 93 Bewohnerinnen und Bewohner hätten beim Hochwasser ihr Zuhause verloren. Nach ihrer Evakuierung mussten sie auf sieben andere Standorte verteilt werden, einige mussten zwischenzeitlich nochmals umziehen. "Jetzt kämpfen wir um jeden Cent, um das Haus wieder aufzubauen", so Antoncic. Auf unbürokratische Hilfe würden sie noch immer warten.
Klaus Holetschek zeigte sich bei "jetzt red i" deutlich angefasst. Als ehemaliger bayerischer Pflegeminister würde ihm dieser Bereich nach wie vor sehr am Herzen liegen. Heimleiterin Antoncic bat er deshalb bei "jetzt red i" um Kontaktaufnahme und versprach Unterstützung.
Klimakrise bekämpfen – jetzt!
Wut machte sich dagegen bei Amrei Küsel breit. Die CSU würde einen "Limbo-Tanz um die Klimakrise" veranstalten, so die Fridays-for-Future Aktivistin. Dabei seien die Auswirkungen der Klimakrise zu sehen, es werde immer schlimmer. Es müsse jetzt gehandelt werden. So seien die bürokratischen Auflagen zum Beispiel beim Bau von Windkraftanlagen "lächerlich".
Der Konter von CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek: "Wir sind bei den Erneuerbaren Energien an der Spitze." Vor dem Engagement der Klima-Aktivisten habe er Respekt – das Festkleben auf Straßen, um so Klimaziele zu erreichen, lehne er allerdings ab.
Rettungskräfte rechnen mit heftigeren Fluten
Vor Ort, in den betroffenen Gemeinden, stellt man sich in Zukunft auf immer größere Hochwasser ein. Christian Nitschke, Kreisbrandrat in Pfaffenhofen sagte bei "jetzt red i", die Juni-Flut habe in seinem Zuständigkeitsgebiet alles bisher da Gewesene übertroffen. Für alle Fluten, die er in seiner aktiven Zeit als Retter miterlebt habe, gelte: "Jedes Hochwasser hat ein noch größeres nach sich gezogen. Das muss man auf dem Schirm haben."
Für Nitschke steht deshalb fest: "So bitter, wie es klingt, wir sind überzeugt in der Blaulichtfamilie: Das nächste Hochwasser wird schlimmer werden."
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