Entlang von Flüssen, wo Überschwemmungsflächen ausgewiesen werden sollen, wird um fast jede Maßnahme im Hochwasserschutz gestritten. Der Staat will nicht jeden Preis zahlen, Landwirte wollen angemessen entschädigt werden. Viele Bürgerinnen und Bürger fragen, warum es so lange dauert, bis genehmigte Polder und Rückhaltebecken tatsächlich gebaut sind. Gerade in Orten wie Dinkelscherben südlich von Augsburg, wo manche Häuser wiederholt geflutet worden sind.
Glaubers "scharfes Schwert" soll noch schärfer werden
Bayerns Umweltminister Glauber (Freie Wähler) hat zum Beispiel für das geplantes Rückhaltebecken in Dinkelscherben angekündigt, dass das Enteignungsverfahren gegen die Bauern nun durchgezogen werden soll. Aber sorgen Enteignungen auch wirklich für schnelleren und besseren Hochwasserschutz oder braucht es auch schärfere Gesetze? Glauber will dazu das Bayerische Wassergesetz ändern. Auf Anfrage von BR24 sagte er, es sei geplant, in das Gesetz eine Regelung aufzunehmen, die festschreibt, "dass Maßnahmen des Hochwasserschutzes im überragenden öffentlichen Interesse liegen." Dadurch bekäme der Hochwasserschutz gegenüber konkurrierenden Belangen in behördlichen Abwägungen ein noch stärkeres Gewicht, hofft der Minister.
Das gelte auch für sich möglicherweise anschließende gerichtliche Verfahren. Außerdem würde die Bedeutung des Hochwasserschutzes in der öffentlichen Wahrnehmung gestärkt und "dadurch Gespräche mit Grundeigentümern im Einzelfall möglicherweise erleichtert."
Jahrelange Verhandlungen ohne Ergebnis in Dinkelscherben
Vor einem halben Jahr, Ende 2023, ist ein Enteignungsverfahren in der Gemeinde Dinkelscherben wieder aufgenommen worden. Das Wasserwirtschaftsamt Donauwörth hat die "vorzeitige Besitzeinweisung“ beantragt, weil eine gütliche Einigung auch nach jahrelangen Verhandlungen nicht zustande gekommen sei. Das hat das Umweltministerium auf BR-Anfrage bestätigt.
Doch dieses Vorgehen ruft beim Bürgermeister der Marktgemeinde Dinkelscherben, Edgar Kalb, Unverständnis hervor: "Eine Enteignung in Deutschland, das ist ein harter Tobak. Vor allem, wenn man weiß, dass es zweimal eine einvernehmliche Einigung über die Preise gegeben hat."
Maßnahme vertagt wegen Geldknappheit?
Es gibt seit gut zehn Jahren Baurecht für das Rückhaltebecken am Ortsrand. Die Verhandlungen zwischen Wasserwirtschaftsamt und insgesamt 90 betroffenen Bauern seien weit fortgeschritten gewesen. Bereits 2019 haben erste Bauern verkauft, doch dann sind weitere Notartermine geplatzt, die Einigung war dahin, so Edgar Kalb. Er zeigt sich im Gespräch mit BR24 erbittert über die Trägheit der Behörden, schließlich habe es eine Einigung gegeben, aber die wurde eben nicht umgesetzt. Seine Vermutung: Es sei nicht mehr genug Geld für den Dammbau da gewesen, dann habe man auch den Grundstückskauf nicht mehr vorangetrieben.
Enteignungsverfahren wegen Hochwasserschutz sind selten
Enteignungsverfahren zum Bau von Straßen oder Energieversorgungsleitungen gibt es relativ oft, für Hochwasserschutzmaßnahmen sind sie sehr selten – aber fürs Allgemeinwohl sind sie möglich, so der Spezialist für öffentliches Recht, Christoph Krönke. Er verweist darauf, dass Enteignungen verhältnismäßig sein müssen und dass eben Betroffene, die ein Sonderopfer für die Gemeinschaft erbringen, entschädigt werden müssen.
Diese grundlegenden Voraussetzungen sind verfassungsrechtlich abgesichert. Nur: Die Frage, wie hoch die finanzielle Entschädigung sein soll, die zieht das Verfahren fast immer in die Länge.
Streit über die angemessene Entschädigung
In Fall von Dinkelscherben gab es bisher keine Einigung zwischen den Anwälten der Landwirte und denen des Landratsamts Augsburg, das das Enteignungsverfahren durchführt. Gutachter begründen die Höhe der Forderung mit allgemein gestiegenen Grundstückspreisen. Nicht nur Bauland ist teurer geworden, auch landwirtschaftlich genutzte Grundstücke. Bauern brauchen Ersatz für Flächen, die sie nur noch eingeschränkt bewirtschaften können, diese müssten sie am Markt kaufen oder pachten.
Geschicktes Grundstücksmanagement in Kempten
Dass es anders geht, zeigt ein Blick an die Günz im Unterallgäu. In den 16 Jahren, seit Karl Schindele Leiter des Wasserwirtschaftsamts in Kempten ist, hat es in seinem Bereich keine Enteignung geben, wohl aber den Bau von Rückhaltebecken für die Günz. Schindele lobt seinen "sehr guten Mann für den Grunderwerb, dem es gelungen sei, durch sein Verhandlungsgeschick "alle Grundstücke, die man braucht, zu erwerben."
Dafür sind laut Schindele sehr viele Gespräche notwendig gewesen. "Mit den Landwirten müssen oft viele Flächen auch getauscht werden, zwei, drei Mal hin und her." Das Amt versuche immer, sich in den Planungen nach den Landwirten zu richten. Grundlegende Bedingung ist aber für Schindele auch: Es muss genug Geld da sein. An der Günz sind zwei große Rückhaltebecken fertig, drei weitere sind im Bau oder in Planung, Grundstücksfragen sind weitgehend geregelt.
Lange Verfahren machen Hochwasserschutz teuer
Im Fall von Dinkelscherben haben sich die Baukosten für das geplante Rückhaltebecken seit 2014 von 3,5 auf sieben Millionen verdoppelt, wegen der allgemeinen Teuerung und wegen des langwierigen Verfahrens. Experten für öffentliches Recht sehen Enteignungsverfahren daher auch kritisch. Besser sei es in jedem Fall, wenn die Beteiligten sich vorher einigen. Denn laut Martin Burgi, Lehrstuhlinhaber für Öffentliches Recht an der LMU in München, gibt es nur wenige Stellschrauben im Gesetz, um Verfahren zu verkürzen.
Bauernverband gegen Enteignungen
Beim Bauernverband erinnert Stefan Meitinger an den Eigentumspakt, den die Staatsregierung mit der Landwirtschaft geschlossen hat und an den Zukunftspakt Bayern. Diese passten nicht in "das Konzept, dass eben gerade dem Eigentum eine besondere Bedeutung gibt."
Landwirtschaftsministerin Kaniber kritisiert Umweltminister Glauber
"Gleich mit Enteignungen der Bäuerinnen und Bauern aufzuwarten," das sei nicht der richtige Weg, heißt es aus dem Landwirtschaftsministerium. CSU-Ministerin Michaela Kaniber vermisst die oft zitierte Solidarität mit den Bauern. Enteignungen dürften nur das allerletzte Mittel sein.
Gemeindetag fordert Förderung für kleine Hochwasserschutz-Maßnahmen
Das Thema Hochwasserschutz ist riesig, Polder – Rückhaltebecken alleine reichten da ohnehin nicht aus, sagt Juliane Thimet vom Bayerischen Gemeindetag. Es brauche einfach mehr Fördergeld und für kleine Schutzmaßnahmen müsste rechtlich ein Zwang zur Duldung möglich sein, fordert Thimet, damit Hochwasserschutz insgesamt eine stärkere Bedeutung bekommen könne. Das oberste Ziel ist für Thimet, dass nicht sehr viele Menschen ihr Hab und Gut verlieren in den besiedelten Bereichen. Das müsse möglich sein, ohne gleich ein Planfeststellungsverfahren einzuleiten.
Kommunikation und Geld sind die entscheidenden Faktoren
Am wichtigsten für guten Hochwasserschutz ist eine gute Kommunikation zwischen den Beteiligten und ausreichend Geld für den Ankauf von Flächen und die Entschädigung der Landwirte. Im Fall Dinkelscherben ist das nicht gelungen. Enteignungsverfahren bleiben hoch umstritten.
Vielleicht erhöhe das Enteignungsverfahren in Dinkelscherben ja die Kompromissbereitschaft aufseiten der Landwirte, auch in anderen Regionen, wo die Verhandlungen stocken, hofft Minister Glauber. Er wirbt auch dafür, das Wassergesetz anzupassen. Dafür braucht Glauber allerdings die Zustimmung der CSU, die Enteignungen für Hochwasserschutz ablehnt. Landwirtschaftsministerin Kaniber warnt: "Die Keule der Enteignung stärkt nicht das gute Miteinander, das wir so dringend brauchen."
Im Video: Bayerns Umweltminister Glauber im Interview
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