Seit dem 24. November gilt für Bayerns Wirtshäuser und Restaurants: Um 22 Uhr ist Schluss. Doch die Corona-Sperrstunde steht zunehmend in der Kritik – auch weil die Krankenhäuser in der aktuellen Omikron-Welle bislang deutlich weniger belastet sind. Zudem darf die Gastronomie in vielen anderen Bundesländern länger öffnen, seit vergangenem Wochenende gibt es auch in Baden-Württemberg keine Sperrstunde mehr. Die 2G-Regel gilt dort aber weiterhin.
Weite Teile der bayerischen Opposition – SPD, FDP und AfD – drängen auf ein Ende der Sperrstunde auch in Bayern. SPD-Fraktionschef Florian von Brunn fordert via Twitter für die Gastronomie "2G plus, aber mit Aufhebung der Sperrstunde". Er spricht sich auch dafür aus, mit der 2G plus-Regel Eckkneipen grundsätzlich wieder zu öffnen. Reine Schankwirtschaften sind im Freistaat seit vielen Wochen genau wie Diskotheken und Bars geschlossen.
Waldmann zur Sperrstunde: "Bevormundung"
SPD-Gesundheitsexpertin Ruth Waldmann sagt auf BR-Anfrage mit Blick auf die Sperrstunde: "Es wird Zeit, dass sich da endlich mal was tut. Ich fordere das ja schon lange." Ihrer Einschätzung nach sollte die Gastronomie im Freistaat mindestens bis 24 Uhr geöffnet sein dürfen, eigentlich könne man die Sperrstunde auch ganz streichen. "Es bringt überhaupt nichts, die Leute früher nach Hause zu schicken, wenn sie stundenlang zusammengesessen haben." Das sei "eher Symbolpolitik" und eine "unangemessene Bevormundung", ohne dass es dafür eine wirkliche Begründung gebe.
Zwar wäre laut Waldmann 2G plus in der Gastronomie sinnvoller als die aktuelle Sperrstunde. Allerdings sieht die SPD-Gesundheitsexpertin aktuell keinen Grund für allgemeine strengere Maßnahmen: "Angesichts der jetzigen Entwicklungen würde ich nicht unbedingt noch mal mit Verschärfungen kommen."
Hagen: "Virus nach 22 Uhr nicht gefährlicher"
"Die Belastung der Intensivstationen ist seit Wochen rückläufig", sagt FDP-Fraktionschef Martin Hagen auf BR-Anfrage. Das Virus sei nach 22 Uhr nicht gefährlicher als vorher. "Und deswegen gibt's auch keinen Grund, dass die Wirte ihre Gäste um zehn vor die Tür setzen müssen", findet Hagen. Schon vergangene Woche twitterte der FDP-Bundestagsabgeordnete Daniel Föst: "Die Corona-Sperrstunde in Bayern ist so lächerlich."
In einem aktuellen Dringlichkeitsantrag der FDP-Landtagsfraktion heißt es: "Die aktuelle Sperrstunde für die Gastronomie schränkt die Berufsfreiheit der Gastronomen massiv ein." Es sei insgesamt nicht nachvollziehbar, welche positive Rolle die Einschränkung der Öffnungszeiten spielen solle – entscheidend sei, dass die Hygiene- und Abstandsregelungen greifen. "Die Staatsregierung wird daher aufgefordert, die landesweite coronabedingte Sperrstunde in der Gastronomie abzuschaffen und gastronomische Leistungen auch nach 22 Uhr wieder zu erlauben."
Kabinett berät am Dienstag über weitere Corona-Politik
Am kommenden Dienstag berät das bayerische Kabinett über die weitere Corona-Politik im Freistaat. Generell werden die Rufe nach Lockerungen zuletzt immer lauter – Intensivmediziner plädieren allerdings für einige weitere Wochen Abwarten. Ob die bayerische Corona-Sperrstunde als eine von vielen Maßnahmen bald fällt, ist offen - innerhalb der Staatsregierung wird aber dem Vernehmen nach darüber diskutiert.
Ministerpräsident Markus Söder (CSU) hatte zuletzt mehrfach für weitere Lockerungen plädiert - und unter anderem von "mehr Möglichkeiten" in der Gastronomie gesprochen, ohne weitere Details zu nennen. Somit blieb unklar, ob dies als Appell an die anderen Bundesländer zu verstehen ist, von 2G plus auf 2G umzuschwenken, oder als Hinweis auf mögliche Änderungen bei der Sperrstunde in Bayern.
Aiwanger: "Rückkehr zur Normalität vollziehen"
Klare Sympathien für ein Sperrstunden-Aus lässt mittlerweile auch Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (Freie Wähler) erkennen, wenngleich er es noch nicht explizit als eigene Forderung formuliert. Aktuell werde sehr stark verlangt, die Sperrstunde zu lockern oder gleich ganz aufzuheben, sagte Aiwanger im Interview mit der "Augsburger Allgemeinen". Und weiter: "Wir müssen die Rückkehr zur Normalität vollziehen, sobald es die Krankenhauslage irgendwie zulässt."
Die Gesundheitsexpertin seiner Freie-Wähler-Fraktion, Susann Enders, positioniert sich eindeutig. "Wenn sich der Trend der milden Omikron-Verläufe fortsetzt, die Intensivstationen durch Corona weiterhin nicht belastet sind, muss die Sperrstunde zeitnah nach hinten verschoben, mindestens 23 Uhr, und baldmöglichst ganz aufgehoben werden", betont sie auf BR-Anfrage. Wenn sich das Infektionsgeschehen abschwäche, müsse das auch zu einer spürbaren Entschärfung der Schutzmaßnahmen führen.
Bergmüller: "Zur Normalität zurückkehren"
Die Landtags-AfD fordert schon lange, die Corona-Sperrstunde genau wie andere Maßnahmen abzuschaffen. Franz Bergmüller, wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion, erklärt: "Die milde Omikron-Variante bietet uns jetzt eine Chance, endlich zur Normalität zurückkehren zu können!" Besonders unter den Maßnahmen gelitten habe die Gastronomiebranche. "Die Folge ist nun, dass tausende Wirte und Angestellte vor dem existentiellen Aus stehen – ganz zu schweigen von den Betreibern von Clubs, Bars und Schankgaststätten, die keine Aussicht auf Öffnung haben."
Für Bergmüller - jahrelang selbst Wirt - ist klar: "Dass die bayerischen Wirte ihre Gäste um 22 Uhr auf die Straße setzen müssen, ist unverhältnismäßig und bringt im Kampf gegen das Virus keinerlei positiven Effekt. Ganz im Gegenteil: Während im Restaurant die Einhaltung der Hygienekonzepte garantiert ist, werden die Treffen so in den privaten Bereich verschoben – genau dorthin, wo nachweislich die meisten Infektionen stattfinden." Der AfD-Abgeordnete spricht sich auch dafür aus, die 2G-Regel in der Gastronomie zu kippen.
Dehoga- Geschäftsführer: "Die Zeit wäre reif"
Auch der Branchenverband Dehoga hält naturgemäß wenig von der 22-Uhr-Grenze. "Aus unserer Sicht wäre die Zeit reif, die Sperrstunde aufzuheben", sagte Landesgeschäftsführer Thomas Geppert zuletzt der "Süddeutschen Zeitung." Die Vergangenheit habe gezeigt, dass die Branche einen sicheren Betrieb gewährleiste, der derzeitige Wissensstand zu Omikron komme hinzu. Alternativ könne schon eine Stunde mehr, also 23 statt 22 Uhr, sehr viel bringen.
Aiwanger: Kontaktbeschränkungen und 2G beim Friseur bald weg?
Bayerns Wirtschaftsminister Aiwanger wiederum brachte neben einem Sperrstunden-Aus weitere Lockerungen ins Spiel. Auch die aktuellen strengen Kontaktbeschränkungen für Geimpfte wie für Ungeimpfte und das Verbot von körpernahen Dienstleistungen wie den Friseurbesuch für Ungeimpfte könne man nicht monatelang aufrechterhalten, wenn die Intensivbelegung weiter deutlich sinke, sagte der Freie-Wähler-Chef.
SPD: "Die Leute wissen nicht, woran sie sind"
SPD-Gesundheitspolitikerin Waldmann nimmt das bayerische Kabinett in die Pflicht. Die Staatsregierung beschließe seit Wochen nichts und lasse alles laufen. Dringend nötig sei ein neues Richtwertsystem. "Die Inzidenzen gelten nicht mehr, die Krankenhausampel ist gescheitert, die Hotspot-Regel ausgesetzt. Wir haben ersatzlos alles gestrichen."
Das von der Staatsregierung schon vor Wochen angekündigte neue Regelwerk lasse weiter auf sich warten. "Die Leute wissen gar nicht, woran sie sind." Dabei seien Vertrauen und Mitwirkungsbereitschaft der Menschen im Kampf gegen Corona entscheidend. Die SPD-Politikerin verlangt einen von Experten entwickelten Richtwert, der mehrere Faktoren berücksichtige: Inzidenz, Belastung der Krankenhäuser, R-Wert, Impfquote. "Die Maßnahmen dürfen nicht nur auf dem politischen Basar zwischen Söder und Aiwanger ausgehandelt werden."
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