Seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wurden in Bayern rund 150.000 ukrainische Flüchtlinge registriert (Stand: 30.4.2023). Von vielen Seiten, auch aus der Politik, kommt immer wieder die Behauptung: Viele dieser Kriegsflüchtlinge kämen nur nach Deutschland und Bayern, um das Sozialsystem auszunutzen und Bürgergeld zu beziehen.
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Daten der Bundesagentur für Arbeit zeigen nun: Gerade in Bayern leben vergleichsweise wenige Ukrainer und Ukrainerinnen, die einen Unterstützungsbedarf nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs haben – also regelleistungsberechtigt sind. Insgesamt sind es im Dezember 2022 rund 88.500, die finanzielle Hilfe vom Jobcenter, beispielsweise für ihre Unterkunft, erhalten können. Kurz gesagt: Nur rund die Hälfte der Ukrainerinnen und Ukrainer, die in Bayern registriert wurden, hat Anspruch auf Bürgergeld.
In Bayern leben verhältnismäßig wenige ukrainische Leistungsberechtigte
Ukrainische Flüchtlinge können Sozialleistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB II), seit Januar 2023 auch Bürgergeld genannt, über die kommunalen Jobcenter bekommen. Die Daten darüber, wie viele das in den einzelnen Bundesländern sind, stammen von der Bundesagentur für Arbeit. Die Behörde hat die Anzahl der Sozialleistungsberechtigten nach SGB II nun erstmals auf Gemeindeebene dem Team von SWRdata zur Verfügung gestellt.
Vergleicht man die Bundesländer miteinander, fällt sofort auf: In Bayern kommen auf 1.000 Einwohner und Einwohnerinnen die wenigsten ukrainischen Flüchtlinge mit Unterstützungsbedarf.
Die folgende Grafik zeigt den Unterschied in der Verteilung:
Das Bayerische Staatsministeriums des Innern schreibt dazu auf Anfrage, dass der Hauptgrund die gute Integration der ukrainischen Flüchtlinge in den bayerischen Arbeitsmarkt sei. Derzeit seien in Bayern so viele ukrainische Staatsangehörige sozialversicherungspflichtig beschäftigt wie in keinem anderen Bundesland. "Mit 8,7 Prozent hat Bayern bundesweit die niedrigste Arbeitslosenquote von Ausländern. Auch die SGB II-Quote von Ausländern ist mit 11,7 Prozent in Bayern bundesweit am niedrigsten."
In manche Kommunen leben viele Flüchtlinge mit Unterstützungsbedarf – in anderen gar keine
Doch nicht nur zwischen den Bundesländern gibt es große Unterschiede. Auch die Jobcenter der verschiedenen Kommunen innerhalb von Bayern sind für unterschiedlich viele Kriegsflüchtlinge zuständig, die einen Anspruch auf finanzielle Unterstützung haben.
Interessant ist die Verteilung im Verhältnis zur Gesamtzahl der Einwohner. In der Gemeinde Gößweinstein in Oberfranken beispielsweise kommen auf 1.000 Einwohner 45 Ukrainerinnen und Ukrainer mit einem Anspruch auf Leistungen nach SGB II. Insgesamt hat die Gemeinde rund 4.100 Einwohner – 184 dort lebende Ukrainerinnen und Ukrainer waren im Dezember 2022 regelleistungsberechtigt.
In vielen anderen Gemeinden leben nur ein bis fünf Flüchtlinge mit Anspruch auf Unterstützung vom Jobcenter – in manchen Kommunen gibt es überhaupt keine regelleistungsberechtigten Menschen aus der Ukraine. Die folgende Karte zeigt, wie unterschiedlich sich die Lage in Bayern darstellt:
Laut dem Bayerischen Innenministerium werden innerhalb Bayerns Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine grundsätzlich proportional zur Einwohnerzahl der Landkreise und kreisfreien Gemeinden verteilt. Aber: "Insbesondere da Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine von Anfang an arbeiten und privat wohnen dürfen, sind hier Abweichungen möglich", erklärt eine Sprecherin. Ursächlich sei dafür vor allem ein unterschiedliches Arbeitsangebot.
Große Unterschiede bei Kosten für Unterbringung pro Person
Die laufenden Kosten für die Unterbringung der leistungsberechtigten Flüchtlinge müssen die Kommunen tragen. Auch hier gibt es Unterschiede. In Bayern reicht die Spanne dieser monatlichen Unterbringungskosten innerhalb der Kommunen, in denen mehr als 100 Ukrainer Anspruch auf finanzielle Unterstützung vom Jobcenter haben, von zehn Euro bis rund 360 Euro pro Person. Im Mittel sind es 165 Euro.
Damit machen die laufenden Kosten für die Unterbringung einen großen Teil der Gesamtkosten aus, die Kommunen für Ukrainer mit Anspruch auf Bürgergeld tragen. In Kommunen, in denen mehr als 100 leistungsberechtigte Ukrainer leben, liegen diese Gesamtkosten im Mittel pro Person bei 584 Euro im Monat. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit bilden die Zahlungsansprüche auch die tatsächlich ausgezahlten Geldleistungen für die Person beziehungsweise Bedarfsgemeinschaft ab.
Bayern landet auf den "billigen Plätzen"
Schaut man die Unterbringungskosten im bundesweiten Vergleich an, landet der Freistaat auf dem vorletzten Platz. Weniger Geld für die Unterkunft wurde pro Person im Mittel nur in Thüringen benötigt. Absolut gesehen trägt die Gemeinde Harzgerode in Sachsen-Anhalt mit 1.249 Euro die höchsten laufenden Wohnungskosten für regelleistungsberechtigte Flüchtlinge aus der Ukraine pro Kopf.
"Ein zentraler Grund ist, dass der Freistaat Bayern sehr großzügig auch dann noch Kriegsflüchtlinge in staatlicher Unterbringung duldet, wenn sie SGB II beziehen und sich daher selbst Wohnungen suchen müssen, aber keine finden", erklärt das Bayerische Innenministerium. Aktuell befinden sich nach Angaben des Ministeriums rund 42.000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in staatlicher Unterbringung. Dafür würden nur sehr geringe Gebühren erhoben, so dass bayerischen Kommunen hier deswegen geringere Kosten zur Last fallen.
Bei den Gesamtkosten ist Bayern sogar auf dem letzten Platz. Sprich: In keinem anderen Bundesland entstehen im Mittel weniger Kosten für die finanzielle Unterstützung von Ukrainern und Ukrainerinnen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuchs. Die folgende Grafik zeigt, wie unterschiedlich die Spannweite der kommunalen Kosten in den Bundesländern ist:
Über die Daten:
Die Daten wurden BR24 vom datenjournalistischen Team des SWR (SWRdata) zur Verfügung gestellt. Quelle ist eine Anfrage an die Bundesagentur für Arbeit, der Datenstand ist Dezember 2022. Aus Gründen der statistischen Geheimhaltung werden Zahlenwerte von eins oder zwei und Daten, aus denen rechnerisch auf einen solchen Zahlenwert geschlossen werden kann, von der Bundesagentur für Arbeit anonymisiert. Um dennoch mit den Werten rechnen zu können, sind entsprechende Kommunen mit dem Wert 1,5 in Berechnungen eingegangen.
Regelleistungsberechtigt nach dem zweiten Buch (II) des Sozialgesetzbuchs (SGB) sind Personen mit Anspruch auf Bürgergeld. Dazu zählen Personen, die beispielsweise Anspruch auf den notwendigen Lebensunterhalt oder die Kosten der Unterkunft haben. Mit dem Bürgergeld-Gesetz traten ab Januar 2023 neue Begrifflichkeiten in Kraft (z. B. Bürgergeld). Die neuen Begriffe gelten auch für Berichtsmonate vor Inkrafttreten der Neuregelungen.
Bei der Analyse der Zahlungsansprüche wurde sich auf Kommunen beschränkt, die für mindestens 100 ukrainische regelleistungsberechtigte Personen verantwortlich sind, um größere Ausreißer zu vermeiden und ein generelles Bild zu vermitteln.
Zur Berechnung der Kosten wurde sich auf die Zahlungsansprüche von Bedarfsgemeinschaften in Euro nach Staatsangehörigkeit der Regelleistungsberechtigten in der Rolle Hauptperson/Partner bezogen. Betrachtet wurden die Bedarfsgemeinschaften mit mindestens einem ukrainischen Regelleistungsberechtigen in der Rolle der Hauptperson/Partner. Eine Bedarfsgemeinschaft ist eine Konstellation von Personen, die in einem Haushalt leben und gemeinsam wirtschaften. Zahlungsansprüche bilden die tatsächlich ausgezahlten Geldleistungen für die Person beziehungsweise Bedarfsgemeinschaft ab.
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