Markus Söder (CSU) will sich nicht abfinden mit dem jetzt vollzogenen Ausstieg aus der Kernenergie. Der bayerische Ministerpräsident ist überzeugt, dass die abgeschalteten Meiler - wie Isar 2 - so schnell wie möglich wieder ans Netz gehen sollten. Die Verantwortung dafür müsse vom Bund auf die Länder übergehen, fordert Söder in der "Bild am Sonntag".
"Bis zum Ende des Jahrzehnts jede Form von Energie nutzen"
Die aktuelle Lage sei eine andere als nach der Katastrophe von Fukushima: So hat Söder schon in den vergangenen Tagen erklärt, warum er seine Haltung zur Atomenergie geändert hat. Und er bleibt dabei: Solange die Energie-Krise nicht beendet und der Übergang zu den Erneuerbaren nicht gelungen sei, "müssen wir bis zum Ende des Jahrzehnts jede Form von Energie nutzen". Bayern sei dazu bereit, so Söder.
Nur der Bund wird dazu wohl kaum bereit sein: Die Ampel-Regierung müsste das Atomgesetz entsprechend ändern, um den Ländern die Zuständigkeit zu übertragen. Was sich dann auch auf die Frage der Endlagerung auswirken dürfte. Bis jetzt hat die bundesweite Suche nach einem Endlager für den angefallenen Atommüll bekanntlich noch kein Ergebnis gebracht. Und Bayern steht auf der Bremse, was ein solches Lager auf dem eigenen Staatsgebiet angeht.
Das Bundesumweltministerium riet dem bayerischen Ministerpräsidenten, sich mit seinem Vorstoß nach einer Länderzuständigkeit zur Weiterführung der abgeschalteten Atomkraftwerke, doch direkt an den Bundesrat zu wenden. "Ich denke, ich sage kein Geheimnis, dass auch der Bundesrat Initiativen zur Änderung des Grundgesetzes ergreifen könnte", sagte Ministeriumssprecher Bastian Zimmermann am Montag in der Regierungspressekonferenz in Berlin. "Und auch kein Geheimnis, dass Bayern Mitglied des Bundesrates ist. Insofern muss Herr Söder diese Forderung gar nicht an den Bund richten, sondern kann, wenn er will, selbst tätig werden im Bundesrat."
Grüne: "Durchsichtiges Wahlkampfmanöver"
"Reine Parteitaktik": Das sagen die Grünen zum neuen Vorstoß von Markus Söder in Sachen Atomenergie. Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion Britta Haßelmann sprach gegenüber der dpa von einem "durchsichtigen Wahlkampfmanöver" und betonte, wenn Söder jetzt den Rückbau eines Atomkraftwerks verhindern und verzögern wolle, dann müsse man prüfen, "ob das nicht Haftungsansprüche gegenüber dem bayerischen Umweltministerium auslöst".
Ein bisschen Seriosität müsse man doch auch von Markus Söder erwarten können, stichelte Haßelmann. Statt rückwärtsgewandte Debatten zu führen, wäre Söder gut beraten, in Bayern jetzt endlich den Turbo beim Ausbau der Windkraft und der Stromnetze einzulegen, so die Grünen-Politikerin.
Münchens OB Reiter: "Einigermaßen dreist"
Mehr als ablehnend hat sich auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) geäußert: "Ich finde es schon einigermaßen dreist, wenn man als Führungspersonal sagt, wir wollen das jetzt fortsetzen, gleichzeitig aber sagt: In meinem schönen Land darf es kein Endlager geben", so Reiter beim Sonntags-Stammtisch im BR Fernsehen.
Mit am Stammtisch saß die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch. Auch sie machte klar, dass sie nichts von Söders Vorstoß hält: "Das wäre Irrwitz, wenn jetzt die Länder zuständig wären für den Atommüll oder das Betreiben von Kernkraft."
Spahn fordert "pragmatische Lösungen"
Bei der CDU findet Söder hingegen Befürworter seiner Idee. Unionsfraktionsvize Jens Spahn schrieb auf Twitter, es brauche jetzt pragmatische Lösungen. "Wenn Bayern bereit ist, die politische und fachliche Verantwortung für den Weiterbetrieb zu übernehmen, sollte der Bund dies ermöglichen", betonte er. Der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), sagte der "Rheinischen Post": Die Kernenergie aufzugeben, sei eine Fehlentscheidung. "Es ist deshalb richtig und Ausdruck seiner Verantwortung als Ministerpräsident, wenn Markus Söder alle Möglichkeiten in Betracht zieht, um diesen groben Fehler doch noch abzuwenden."
SPD und Grüne feiern Ende der Atomkraft
Umfragen zeigen: Die Mehrheit der Bürger in Deutschland sieht den Atomausstieg zum jetzigen Zeitpunkt skeptisch. SPD und Grüne dagegen feiern das Ende der 60 Jahre langen Kernkraft-Ära: "Atomkraft? Und tschüss", twitterte die SPD-Bundestagsfraktion kurz und knapp.
Für die Grünen unterstrich Bundesumweltministerin Steffi Lemke, die Energieversorgung sei gewährleistet - auch ohne Atomenergie, und auch im nächsten Winter. Grünen-Chefin Ricarda Lang betonte, der Atomausstieg bedeute den "endgültigen Einstieg ins Zeitalter der Erneuerbaren Energien". Und Fraktionschefin Katharina Dröge ergänzte auf Twitter, man beende jetzt einen "teuren, gefährlichen Irrweg".
Die FDP wiederum wäre dafür gewesen, die letzten drei noch verbliebenen Meiler in Reserve zu halten, also nicht rückzubauen. Außerdem sehen die Liberalen - wie die CSU in Bayern - eine große Chance in der Entwicklung der Kernfusion. Fraktionschef Christian Dürr sagte dazu, die Kernfusion produziere stabil umweltfreundliche Energie - unabhängig von Wind und Sonne.
RWE: "Das Kapitel ist nun abgeschlossen"
Während die Diskussion über den Atomausstieg also weiterläuft, drängt der Chef-Atomaufseher des Bundes, Gerrit Niehaus, auf einen schnellen Rückbau der verbliebenen Anlagen. "Wir arbeiten nach Recht und Gesetz, und da ist es eindeutig, dass der Leistungsbetrieb ab dem 16. April eine Straftat wäre", betonte Niehaus als Abteilungsleiter für Nukleare Sicherheit und Strahlenschutz im Umweltministerium.
Ähnlich klingt das beim Chef des Emsland-Betreibers RWE, Markus Krebber: "Das Kapitel ist nun abgeschlossen." Nach seinen Worten kommt es jetzt darauf an, "die ganze Kraft dafür einzusetzen, neben Erneuerbaren Energien auch den Bau von wasserstofffähigen Gaskraftwerken möglichst schnell voranzutreiben".
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