Bayern ist das Bundesland mit den meisten Wasserkraftwerken. Von bundesweit 7.300 Anlagen stehen alleine 3.493 im Freistaat. An insgesamt fünf bayerischen Standorten untersuchte das Team vom Lehrstuhl für Aquatische Systembiologie der Technischen Universität (TU) München Flüsse vor und nach dem Einbau von modernen Wasserkraftanlagen: Au (Iller), Großweil (Loisach), Baierbrunn (Isar), Heckerwehr (Roth) und Eixendorf. Gerade an diesen Standorten gab es zuletzt Neu- bzw. Umbauten mit innovativen Konzepten für Wasserkraftanlagen, die die Ökosysteme eigentlich deutlich mehr schonen sollten als traditionelle Anlagen.
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Untersuchung zeigt: Wasserkraftwerke schädigen Ökosysteme
Bei der Untersuchung wurden nicht nur Fische, sondern auch Kleinstlebewesen, Wasserpflanzen und Algenbewuchs betrachtet. An allen Standorten seien "signifikante Unterschiede" der Lebensbedingungen festgestellt worden, so Prof. Jürgen Geist, der Leiter der Studie.
"Wir sehen, dass insgesamt ein sehr starker Rückgang der Biodiversität in den Gewässern passiert, der ist sogar deutlich stärker als der Rückgang der Biodiversität an Land." Prof. Jürgen Geist, Aquatische Systembiologie, TU-München
Querbauwerke stellen großes Problem dar
In den untersuchten Gewässern gebe es besonders dramatische Bestandseinbrüche bei den spezialisierten Fließgewässerarten, die auf ein gut durchströmtes Kieslückensystem angewiesen sind, so Geist. Ebenso bei wandernden Fischarten, die zum Ablaichen zwischen Meer- und Süßwasser wandern müssen. Viele Arten seien bereits aus den bayerischen Gewässern verschwunden. Stark gefährdet seien zum Beispiel auch der Huchen oder die Äsche.
Besonders ungünstig sei die Tatsache, dass die meisten Wasserkraftanlagen quer in Gewässern verbaut sind: "Das führt dazu, dass die Strömungsgeschwindigkeit reduziert wird, die Wassertiefe ansteigt und sich mehr sauerstoffarmer Feinsediment-Schlamm ablagert", so Geist. Fischarten, die zum Laichen ein sauerstoffreiches Kiesbett benötigen, haben immer weniger Laichplätze zur Verfügung.
Hohe Fisch-Sterblichkeit bei Gewässern mit vielen Wasserkraftanlagen
Ein weiteres Problem seien die schlecht funktionierenden Konzepte zum Fischschutz. Während viele moderne Kraftwerke bei der Planung durch Studien und Modellberechnungen ursprünglich mit einem gut funktionierenden Fischschutz gerechnet hatten, würden diese in der Realität die Fische nicht vom Passieren der Turbine abhalten. Professor Geist zeigt zahlreiche Aufnahmen von durchtrennten Fischkörpern.
Besonders Aale überwinden mit ihren langen, schlangenartigen Körper sehr leicht die Schutzgitter und bieten dann sehr viel Angriffsfläche für die Turbinenschaufeln. Die Drehgeschwindigkeit und Beschaffenheit der Turbine spiele bei der Mortalität (Sterblichkeit) eine entscheidende Rolle, so Geist.
Teils ist es den Fischen von außen zunächst nicht anzusehen, woran sie gestorben sind. Erst in Röntgenaufnahmen ist die Todesursache erkennbar: gebrochene Wirbelsäule, höchstwahrscheinlich durch den Kontakt mit einer Turbine.
"Wenn ein Aal aus dem oberfränkischen Main Richtung Meer abwandern möchte, dann hat er mehr als 30 Wasserkraftanlagen zu überwinden. Wir sprechen hier von kumulativen Effekten", so Geist. Selbst wenn ein einzelnes Wasserkraftwerk eine Sterberate von "nur" zehn Prozent habe, sei deshalb die Sterblichkeitsrate mit den weiteren Kraftwerken zu verrechnen. "Das kann dann kumulativ zu einer sehr starken Populationswirkung kommen", so Geist.
Bayerisches Start-up will Wasserkraft revolutionieren
Das Start-up Energyminer aus Gröbenzell im oberbayerischen Landkreis Fürstenfeldbruck will diese Probleme mit einem neuartigen Konzept umgehen und die Wasserkraft revolutionieren, wie die Energyminer selbst sagen.
"Energyfish" heißt ihre Anlage, die nur etwa zwei mal drei Meter groß ist und ein bisschen aussieht wie ein kleiner Pottwal. Während herkömmliche Wasserkraftwerke fest verbaut sind und die Fall-Energie des aufgestauten Wassers nutzen, wandelt der "Energyfish" die Fließgeschwindigkeit des Gewässers, also kinetische Energie, in Strom um und schwimmt direkt im Fluss. Ein Kabelstrang überträgt den Strom ungefährlich im Niedervoltbereich über eine Landbox direkt ins Stromnetz und sorgt dafür, dass der "Energyfish" nicht davonschwimmt. Kontrolliert wird er auch per Internetverbindung in die Cloud des Start-ups.
"Nach genauerer Analyse haben wir festgestellt, gerade die kinetische Wasserkraft ist die Form der Wasserkraft, die faktisch noch gar nicht genutzt wird. Das heißt, dass wir hier viel Potenzial haben, in Europa, aber auch weltweit", so Energyminer-Gründer Richard Eckl.
Pro Standort sollen dann ganze "Energyfish"-Schwärme entstehen, bis zu 100 Einheiten pro Anlage. Schon mehrere Standorte in Bayern stehen kurz vor der Genehmigung. Ein einziger "Energyfish" soll für bis zu fünf Haushalte Strom liefern können, eine Anlage also für rund 500 Haushalte. Zielgruppe der Energyminer sind vor allem kleine Gemeinden, die sie dann lokal und dezentral mit nachhaltiger Energie versorgen wollen. Allein in Bayern sehen sie ein Potenzial von umgerechnet 1.000 Windrädern.
Grundlastfähig und fischverträglich
Anders als bei Wind- und Sonnenenergie ist der "Energyfish" grundlastfähig, er liefert also durchgängig Strom und ist nicht abhängig vom Wetter - zumindest, solange das Gewässer fließt. Ein Meter pro Sekunde Fließgeschwindigkeit ist die Grundvoraussetzung für die Installation einer Anlage. Bei Hochwasser taucht der "Energyfish" selbständig unter und produziert weiter Strom.
"Es war von Anfang an unser Traum und unsere Vision, dass wir ein Wasserkraftwerk aufbauen, ohne dass man irgendwo in die Ökologie groß eingreifen muss oder irgendwo groß mit Beton riesige Staumauern baut." Georg Walder, Gründer von Energyminer
Ebenso wichtig war den Gründern die hohe Fischverträglichkeit der Anlage. Dabei geht es ihnen nicht nur darum, ihr ökologisches Gewissen zu beruhigen. Ihnen war klar, dass sie bei den Behörden nur eine Chance auf erfolgreiche Genehmigungsverfahren haben, wenn sie die Fischverträglichkeit garantieren können.
Zum einen soll die Bauart und das von herkömmlichen Wasserkraftwerken stark abweichende Konzept des frei schwimmenden "Energyfish" zur Fischverträglichkeit beitragen. Zum anderen soll sich die speziell entwickelte Turbine ohne scharfe Kanten nur so schnell drehen, dass keine Fische verletzt werden. Das Start-up hat sich von einer externen Firma die Fischverträglichkeit bestätigen lassen: "Die Fischstudie, die uns nun vorliegt, ist für uns natürlich ein Durchbruch, das ist sehr wichtig für uns, weil wir damit zeigen können, dass unsere Anlagen absolut Fisch-verträglich sind und es nahezu ausschließen können, dass ein Fisch in unseren Anlagen verletzt wird", so Richard Eckl.
Professor Geist von der aquatischen Systembiologie ist, was den "Energyfish" angeht, vorsichtig optimistisch: "Die Fische können hier in dem Gewässer sozusagen an dieser relativ kleinen kompakten Anlage vorbeischwimmen. Es gilt aber auch hier zu überprüfen, wie es aussieht, ob das Fische wirklich gut erkennen können, ob sie abgeleitet werden von dieser Anlage und wie die tatsächliche Schädigung bei verschiedenen Fischarten aussieht, die eben nicht ausweichen, sondern unmittelbar dort in die Turbine gelangen."
Das Start-up steht kurz vor dem Durchbruch und wurde jetzt für den Bayerischen Innovationspreis nominiert.
Im Video: "Energyfish" - neuartiges Wasserkraftwerk aus Bayern
Dieser Artikel ist erstmals am 5.5.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.
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