Hubert Aiwanger schweigt. Der Wirtschaftsminister, der sonst nicht um ein Gespräch, eine Anekdote oder einen Witz verlegen ist, steht im Wald bei der Gemeinde Berg, hat die Hände vor dem Bauch übereinandergelegt, und ist still. Um ihn herum rauschen die Blätter der Bäume im Wind. Es nieselt. Etwas mehr als 100 Menschen haben sich um ihn herum auf dem Forstweg gesammelt. Sie sollen lauschen. "Was hören Sie lauter?", fragt Aiwanger in die Runde. "Den Regen auf den Blättern? Oder das Windrad?"
Es ist sein Versuch, die Menschen mitzunehmen und zu überzeugen: von einem Projekt, das für die Staatsregierung von großer Bedeutung ist. Es geht um die Energieversorgung in Bayern, um ein Signal für die bayerische Industrie, um die Frage, wie viel Bürger bei solchen Projekten mitreden dürfen.
Pläne für einen Windpark im Chemiedreieck stocken
Aber von vorne. Bis 2030, so steht es im Koalitionsvertrag, will die Staatsregierung 1.000 neue Windräder auf den Weg bringen, den Bestand in Bayern also etwa verdoppeln. Damit das gelingt, müssen alle Regionen in Bayern mitziehen – auch der Südosten, in dem bislang noch verhältnismäßig wenige Windkraftanlagen stehen. Und genau dort, im Landkreis Altötting, soll einer der größten Windparks in Bayern entstehen und die Chemieindustrie mit einem Teil ihres Stroms versorgen. Ein Symbolprojekt: wegen seines Standortes, der Größe und der Bedeutung für die heimische Wirtschaft. Aber das Projekt stockt.
Ende Januar stimmten die Bürger aus Mehring gegen die Pläne. Von 40 Anlagen schrumpfte das Vorhaben auf 29. Und auch in den Nachbargemeinden regt sich Widerstand. In Marktl soll zur Europawahl am 9. Juni ein Ratsbegehren stattfinden. In Haiming ist zwar noch keines angesetzt, aber der Bürgermeister rechnet damit, dass das noch kommen dürfte. Dann könnten die Pläne um weitere Windräder gestutzt oder verzögert werden. Davor warnt die Industrie im Chemiedreieck bereits.
Wirtschaftsminister Aiwanger will jetzt also den Wind drehen.
Vor Ort von der Lage überzeugen
Und da will er bei diesem Termin keine Zeit verlieren. Als er am Treffpunkt im Landkreis Starnberg ankommt, lässt er sich nicht lange aufhalten. Er läuft zackig durch die Menschenmenge, die bereits auf ihn warten. "Starten wir!", sagt Aiwanger, "bevor es anfängt zu regnen."
Die Bayerischen Staatsforsten, die zu seinem Ministerium gehören, haben eine Busreise organisiert: von Altötting in den Landkreis Starnberg, wo seit 2015 vier Windräder stehen: ähnlich Modelle, ebenfalls im Staatswald und gut 1.200 Meter von der nächsten Gemeinde entfernt. Die Bedingungen sind in etwa so, wie es auch im Landkreis Altötting geplant ist. Wer ein Windrad mit eigenen Augen sieht, der sehe, dass es nicht so schlimm sei, so Aiwangers Argument. Aber sind dafür alle zugänglich?
Windkraft dort, wo sie Sinn macht?
Die Gruppe, die an der Reise teilnimmt, ist gemischt. Jeder, der sich zur Fahrt angemeldet hat, durfte mitkommen. Da ist zum Beispiel Annelie, die gar nichts gegen den geplanten Windpark hat – im Gegenteil – und nur aus Interesse dabei ist. Da ist der ältere Herr mit Kappe, der seinen Namen nicht sagen möchte, und meint: Es gebe schon "genug" in der Region: die Industrie selbst, geplante Stromtrassen. "Ich will nicht noch mehr." Und da ist Hans, der sich einen Eindruck davon machen möchte, wie laut die Windräder sind. Er sagt: "Ich bin nicht gegen Windkraft. Aber ich bin dafür, dass sie dahin kommt, wo sie Sinn macht."
Es ist ein Argument, das auch die Bürgerinitiative "Gegenwind Altötting" immer wieder anführt - und das nicht vollkommen von der Hand zu weisen ist. Laut Windatlas Bayern weht der Wind tatsächlich schwächer im Südosten Bayerns. Trotzdem hält der Windkraftverband BWE die sogenannte Standortgüte für ausreichend – zumal ein Betreiber ab einer bestimmten Standortgüte Zuschläge erhält. Hinzu kommt: Neue Generationen von Windrädern, die höher sind und längere Rotoren haben, können auch bei weniger Wind gut Energie erzeugen.
Staatsregierung muss Menschen mitnehmen
Dass viele Menschen trotzdem noch denken, Windkraft mache in Bayern keinen Sinn, ist laut Windkraftverband BWE das Verschulden der Staatsregierung. Die hat zwar Ende 2022 die strikte 10-H-Regel gelockert und so mehr Windkraft in Bayern ermöglicht. Gleichzeitig hat CSU-Ministerpräsident Markus Söder im Landtagswahlkampf immer wieder betont: "Im Süden scheint's, im Norden pfeift's".
Auch Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger stand in der Kritik, weil er kurz vor dem Bürgerentscheid in Mehring einen Termin in der Gemeinde abgesagt hatte und stattdessen auf mehreren Bauern-Demos war. Jetzt sagt Aiwanger dazu: Der eine Termin hätte nichts verändert. Aber dann sei es nötig gewesen, nach dem negativen Votum, "sich hier sehen zu lassen". Seitdem ist Aiwanger unterwegs, um zuzuhören und das Projekt zu erklären. Auch heute.
Zwei Windräder sollen nicht kommen
Immer wieder kommen Leute auf ihn zu, stellen ihm Fragen. Aiwanger nimmt sich Zeit, hört zu. Und dann kommt Andrea Hecht auf ihn zu. Lange silberblonde Haare, in den Händen hat sie eine Karte von den Plänen des Windparks. Zu sehen ist darauf der Ortsteil Schützing, der zur Gemeinde Marktl gehört. Rund um den Ortsteil stehen die Windräder. "180 Grad", sagt Andrea Hecht. Aiwanger nimmt das Papier in die Hand. "Ich schaue mir das an." Dann zieht er sich mit dem Bürgermeister von Marktl und anderen Beteiligten zurück. Wenige Minuten. Als er wieder auf Andrea Hecht zumarschiert, sagt er: "Windrad 17 und 18 kommen weg!" Andrea Hecht fällt ihm um den Hals.
Planungen im Dialog voranbringen
Es dürfte die Botschaft sein, die Aiwanger an diesem Tag senden wollte: Gemeinsam, im Dialog, gehen solche Projekte am besten voran. "Wir sind kompromissbereit", so Aiwanger. Was er aber auch sagt: Wenn Bürger "auf stur schalten", dann würden Planungen in Zukunft im Rahmen des rechtlich Möglichen einfach erfolgen und Bürger weniger gehört werden. An entsprechenden gesetzlichen Änderungen wird bereits gearbeitet. Was also auch über dem Termin schwebt: Die Windräder werden kommen. Die Frage ist nur, wann und wie.
Zum Video: Windpark-Projekt - Energieminister Aiwanger auf Werbetour
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